Volksbegehren Artenvielfalt - Zwischenbilanz nach 3 Jahren
Weiterhin klare Mängel trotz vorhandener Fortschritte
In der Bilanz des Trägerkreises des Volksbegehrens überwiegen klar erkennbare Defizite trotz deutlicher Aufwärtsentwicklungen
Am 17. Juli jährt sich zum dritten Mal die Annahme des Volksbegehrens Artenvielfalt – „Rettet die Bienen!“ durch den Bayerischen Landtag. Nachdem 2019 über 1,7 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Staatsregierung mehr Artenschutz ins Hausaufgabenheft geschrieben hatten, kontrolliert seither stellvertretend für diese der Trägerkreis des Volksbegehrens aus ÖDP, LBV, Bündnis 90/Die Grünen und Gregor Louisoder Umweltstiftung (GLUS) einmal jährlich mit wissenschaftlicher Unterstützung, welche Hausaufgaben abgearbeitet wurden und wo noch Nachholbedarf besteht. Grundlage für die Bewertung ist der wissenschaftliche Monitoringbericht von Prof. Dr. Roman Lenz von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen.
Die Daten der dritten Auswertungsphase wurden größtenteils durch Landtagsanfragen erhoben und im Vergleich mit den Werten aus den Vorjahren ausgewertet. Positiv bewertet wird die Zunahme der geförderten Streuobstbäume, der geförderten Flächen entlang von Gewässern und der Förderung für Grüne Bänder und Blühstreifen sowie die Optimierung der Förderprogramme für Weidetierhalter*innen.
Negativ bewerten die Wissenschaftler*innen unter anderem den Ökolandbau, wo sich der Abstand zum linearen Zuwachs, der eigentlich nötig wäre, um die erste gesetzte Zielmarke mit 20 Prozent im Jahr 2025 zu erreichen, vergrößert hat. Besonders schlecht schneiden die staatlich verpachteten Flächen ab. Von den knapp 15.000 Hektar ist bisher nur von rund 1.000 Hektar bekannt, dass sie ökologisch bewirtschaftet werden. Auch der prozentuale Anteil an der Landesfläche bei der „Späten Mahd“ liegt mit 7,3 Prozent noch unter dem Zielwert von 10 Prozent, obwohl er bereits 2020 erreicht werden sollte. Ebenfalls negativ: Die Umsetzung in besonders biodiversitätsrelevanten Bereichen wie Biotopverbund oder Pestizideinsatz geht nur schleppend oder gar nicht voran und sollte deshalb dringend priorisiert werden. Von insgesamt zwölf dieses Jahr bewerteten Indikatoren verfehlen drei (rot*) die Zielkriterien und bei zwei (gelb*) werden die Kriterien nicht in Gänze erfüllt.
Agnes Becker, Beauftragte des Volksbegehrens und ÖDP-Landesvorsitzende:
„Peinlich und bewusst irreführend ist die wiederholte Aussage von Ministerin Kaniber, Bayern sei deutschlandweit ‚Vorreiter‘ beim Ökolandbau. Das ist falsch und das weiß sie auch. Trotz des gesetzlich festgelegten Ausbauziels 30 Prozent Ökolandbau bis 2030, hinkt die Ministerin mit aktuell 13 Prozent sträflich hinterher. Hessen, Brandenburg oder Baden-Württemberg sind längst weiter. Sogar auf den staatlichen Flächen, wo die 30-Prozent-Vorgabe bereits seit 2020 gilt, wird das Ziel krachend verfehlt. Auch der vorgeschriebene Statusbericht zum Ökolandbau ist nur eine dürre zweizeilige Tabelle. Sich für diese Bilanz selbst zu loben, grenzt schon fast an Realitätsverweigerung. Wir brauchen eine maximale Förderung des Ökolandbaus, 30-Prozent-Bioanteil als Pflichtvorgabe in den staatlichen Kantinen und endlich die Beendigung des ministerialen Verwirrspiels um ‚bio‘ und ‚regional‘.“
Dr. Norbert Schäffer, LBV-Vorsitzender:
„Angesichts des Krieges in der Ukraine werden immer wieder Stimmen laut, dass Artenschutz verzichtbarer Luxus sei. Wir freuen uns, dass die Ziele des Volksbegehrens trotzdem weiterhin anerkannt werden, was die Bilanz der Ministerien klar gezeigt hat. Uns ist wichtig, dass alle Maßnahmen aus dem Volksbegehren umgesetzt werden. Der Streuobstpakt ist ein Vorzeigemodell, wie auch schwierige Themen erfolgreich umgesetzt werden können. Er kann als Blaupause für andere Bereiche wie den Ökolandbau, den Biotopverbund und die Pestizidreduzierung dienen. Der Streuobstpakt hat auf eine beeindruckende Art und Weise gezeigt, wie Naturschutz funktioniert, wenn alle an einem Strang ziehen. “
Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag:
„Ein Biotopverbund würde das Gesicht der bayerischen Landschaft zum Besseren verändern. Wir warten aber vergeblich darauf, dass die Staatsregierung Daten und einen Plan zu Umsetzung vorlegt. Was wir bekommen, ist Nicht-Wissen, Nicht-Können und Nicht-Wollen. Was wir nicht bekommen, sind Biotop-bezogene Daten, also Karten und räumlich differenzierte Auswertungen. Diese bräuchten wir dringend. Sie sind die Grundlage dafür, diversen Tier- und Pflanzenarten über den Biotopverbund auch künftig noch eine Heimat in Bayern geben zu können. Unklar ist, wie die bereits vorhandenen 9 Prozent Verbundfläche überhaupt zustande kommen. Straßenränder, Waldränder und Gewässerrandstreifen werden pauschal einberechnet. Damit missachtet die Staatsregierung aber die gesetzlichen Vorgaben, die etwa ökologische Mindeststandards voraussetzen. Wild irgendwelche Flächen zu addieren, wie das bisher der Fall war, reicht nicht aus, um einen effektiven Biotopverbund zu schaffen. Was die Söder-Regierung hier bisher geliefert hat, ist unmotiviert, achtlos und schlicht zu wenig.“
Claus Obermeier, Vorstand der Gregor Louisoder Umweltstiftung:
„Die Bilanz der Ministerien zeigt, dass in vielen Punkten schon gute Arbeit geleistet wurde. So hat das Volksbegehren zu einer der größten Finanzierungsoffensiven für Leistungen der Landwirtschaft im Bereich der biologischen Vielfalt aus Steuertöpfen (Kulturlandschaftsprogramm, Vertragsnaturschutz, Streuobstpakt) geführt, die es jemals in Bayern gab. Enorme Defizite sehen wir aber dort, wo die Staatsregierung Farbe bekennen müsste, wie die Landwirtschaft in Bayern zukunftsfest gemacht werden kann: Reduzierung Pestizideinsatz, Umsetzung Biotopverbund auch in Ackerbaugebieten wie dem Gäuboden, eindeutiges Bekenntnis zu Bio statt Schlingerkurs bio-regional.“
Prof. Roman Lenz, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen:
„Wir konnten bei dieser dritten Auswertung die Machbarkeit der Indikatoren weiter optimieren. Dabei sind insbesondere Fortschritte bei Agrarumwelt und Klimamaßnahmen erkennbar, aber auch deutliche Defizite oder sogar die Verschlechterung einzelner Indikatoren festzustellen. Leider bestehen wie schon in den Vorjahren weiterhin Mängel in der Datengrundlage mit teils widersprüchlichen Angaben verschiedener Quellen und fehlende Daten. Die Auswirkung von ergänzenden Projekten und Maßnahmen wie zum Beispiel des Streuobstpakts sind erst langfristig erkennbar. Die Umsetzung in besonders biodiversitätsrelevanten Bereichen wie Biotopverbund oder Pestizideinsatz ist nach den uns vorliegenden Angaben erneut mangelhaft. Unser Ziel ist weiterhin ein Monitoring im Sinne einer Erfolgskontrolle mit Optimierungshinweisen und der Erfassung von Trends und Entwicklungen.“
Zusätzliche Studie zur Pestizidreduktion
Im Basisbericht der Wissenschaftler*innen von 2020 wurde klar, dass es für das selbstgesteckte Ziel der Staatsregierung, den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel bis 2028 zu halbieren, keine Datengrundlage gibt. Der LBV hatte deshalb eine Studie in Auftrag gegeben, die eine „Baseline“ für den landwirtschaftlichen Pestizideinsatz in Bayern zieht, um der Politik einen ersten Referenzwert für die dringend notwendige Pestizidreduktion zu liefern. Der Pestizid-Experte und Autor der Studie, Lars Neumeister, hat für Bayern auf Grundlage von bundesweit erhobenen Daten des Julius-Kühn-Instituts (JKI) eine Menge von 3.600 Tonnen ausgebrachter Pestizide im Jahr 2019 als Ausgangsbasis ermittelt. Der LBV hat erste Zahlen vorgelegt, jetzt ist die Regierung am Zug, eine Pestizidreduktionsstrategie zu erarbeiten. Der Trägerkreis fordert eine ambitionierte Strategie mit messbaren Zielen, die mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet ist sowie eine Erfolgskontrolle.