Untersuchungsausschuss zur 2. Stammstrecke
Wann wusste die Staatsregierung von den Kostensteigerungen und Terminverzögerungen bei der zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München? Hat sie irgendetwas unternommen, um diese katastrophale Entwicklung noch abzuwenden? Und warum wurde die Öffentlichkeit nicht informiert? Das sind die Kernfragen für einen Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags, den Bündnis 90/Die Grünen, SPD und FDP an diesem Donnerstag offiziell beantragt haben.
Die demokratischen Oppositionsparteien im Landtag wollen mit dem Untersuchungsausschuss klären, ob der Staatsregierung ein Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Die Klärung dieser Frage ist die Politik den Bürgerinnen und Bürgern schuldig – sowohl aus der Perspektive der Steuerzahler heraus als auch aus der der täglich rund 800.000 Fahrgäste, die sich ein zuverlässiges S-Bahn-System wünschen. Die Kosten der Stammstrecke haben sich von 3,8 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf nunmehr 7 Milliarden Euro erhöht, statt 2028 soll das für die Verkehrswende so wichtige Projekt erst 2037 in Betrieb genommen werden. Die bayerische Staatsregierung, das geht aus einer offiziellen Chronologie des Verkehrsministeriums hervor, wusste spätestens im Frühjahr 2020 von dieser Entwicklung, informierte die Öffentlichkeit aber erst im Sommer 2022.
Ziel ist es, den Untersuchungsausschuss noch im Dezember einzusetzen. Der offizielle Fragenkatalog, der Teil des heute eingereichten Antrags ist, umfasst 72 Fragen in zehn Themenkomplexen. Dem Ausschuss sollen elf Mitglieder angehören (CSU: fünf Mitglieder, Grüne: zwei Mitglieder, Freie Wähler: ein Mitglied, SPD: ein Mitglied, FDP: ein Mitglied, AfD: ein Mitglied). Die demokratischen Oppositionsfraktionen erwarten sich von den Regierungsparteien CSU und Freie Wähler volle Transparenz und Mitwirkung – auch um für künftige Großprojekte ein vergleichbares Fiasko zu vermeiden. Geplant ist neben vollständiger Akteneinsicht auch die Befragung mehrerer Zeugen, darunter Ministerpräsident Markus Söder und der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer.
Dr. Markus Büchler, Sprecher für Mobilität der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Die Aufklärung des Desasters ist nicht nur ein historisches Interesse, sondern politisch wichtig für die Zukunft. Es geht darum, wie derart eklatantes politisches Führungsversagen bei wichtigen Infrastrukturprojekten künftig verhindert werden kann. Schließlich warten die leidgeprüften Fahrgäste in ganz Bayern auf rasche Verbesserungen bei der Bahn.“
Inge Aures, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion: „Augen zu, Ohren zu – und bloß nichts den Wählern sagen. Wir fürchten, dass CSU und Freie Wähler dieses Motto vor Augen hatten, als sie sich kurz vor der Bundestagswahl entschieden, keine Informationen über das Stammstrecken-Fiasko nach außen zu geben. Dass die Stammstrecke zu Söders Berliner Flughafen geworden ist, müssen nun Fahrgäste und Steuerzahler ausbaden. Sie haben es verdient, dass wir der Sache auf den Grund gehen. Wir sind gespannt, wie Markus Söder das Desaster im Zeugenstand erklären wird.“
Sebastian Körber, Sprecher für Bauen, Wohnen und Verkehr der FDP-Landtagsfraktion: „Das Milliardendesaster 2. Stammstrecke muss endlich aufgeklärt werden. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass das Projekt am Ende zehn Milliarden kostet und 2040 noch immer nicht fertiggestellt ist. Ein Weiter so kann und wird es mit uns nicht geben. Nur ein Untersuchungsausschuss kann jetzt noch Licht ins Dunkel bringen, nachdem die Staatsregierung uns keine Einsicht in Protokolle und Korrespondenz zwischen Bahn, Lenkungskreis und Baubegleitung gibt. Wir müssen wissen, wann und wie die Staatsregierung in die Abläufe eingebunden war, was sie wusste, warum sie die Öffentlichkeit erst so spät informierte und warum bislang nichts unternommen wurde, um Optimierungs- und Beschleunigungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Wenn wir jetzt nicht handeln, bleibt das Projekt auf Sand gebaut.“
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