Bildung und Wissenschaft

Für eine Berufsbildung mit Zukunft

In Sonntagsreden wird die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung gerne herausgestellt und duale Ausbildungen werden reflexhaft gelobt. Den wirklichen Stellenwert sieht man dann aber im Realitätscheck, so bildungspolitische Sprecher der Landtags-Grünen, Thomas Gehring: "Seit Jahren können beruflichen Schulen nicht mal ihren Kernunterricht abdecken, ländliche Berufsschulen bangen ums Überleben und der Kultusminister hat keinerlei Vision für eine Berufsbildung mit Zukunft."

19. Februar 2016

1.705.257 SchülerInnen sind im beruflichen Schulsystem, an den allgemein bildenden Schulen 1.281.124 (Herbst 2013, Landesamt für Statistik). Knapp zwei Drittel durchlaufen das System beruflicher Schulen, trotzdem sind diese das „Stiefkind der Bildungspolitik", so Thomas Gehring. Immer mehr Betriebe haben größere Schwierigkeiten, junge Leute für eine Ausbildung zu gewinnen. Im Juni 2015 stehen 90.206 Stellen 74.736 BewerberInnen gegenüber. Studien zeigen, dass sich das Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt verschärfen wird. Schon heute gibt es in manchen Bereichen und Regionen Fachkräftelücken.

Im Realitätscheck stellt sich heraus: Die durchschnittliche Unterrichtsversorgung im Pflichtunterricht beträgt 98,5 Prozent. Im  Vergleich der letzten fünf Schuljahre sind die Defizite vor allem an den Berufs-, Fachober- und Berufsoberschulen groß. Für Fortbildungen und Krankheitsfälle besteht somit keine Reserve. Vor allem die Berufsschulen im ländlichen Raum werden vernachlässigt, deren Schulleitungen bangen immer wieder um den Erhalt ihrer Minderklassen. Denn wird eine Minderklasse geschlossen, ist das berufliche Angebot im ländlichen Raum nicht mehr vorhanden und damit geht auch wichtiger Fachkräfte-Nachwuchs verloren.

Zu den Herausforderungen gehört auch die Digitalisierung: Das Tempo des wirtschaftlichen Strukturwandels nimmt speziell durch die Entwicklung neuer Technologien weiter zu. Das führt zu einem Wandel von Berufsbildern, dies wiederum hat Auswirkung auf die Qualifikationserfordernisse. Dazu kommt der demografische Wandel: Die bayerische Bevölkerung schrumpft spürbar (jüngere Altersgruppen) und altert stark (über 60-Jährige). Für den Arbeitsmarkt sind diese Entwicklungen erstens mit einem rückläufigen Angebot an Arbeitskräften verbunden. Zweitens erhöht sich das Durchschnittsalter der Erwerbstätigen.

Thomas Gehring: "Wir Grüne wollen mit einem Konzept die Weichen für die Zukunft stellen und der beruflichen Bildung mit einem Antragspaket mehr Gewicht verleihen". Das beinhaltet die notwendigen Mittel genauso wie die Weiterentwicklung der beruflichen Bildung in Bayern. Lassen sich die Arbeitskräftelücken langfristig nicht schließen und werden die aktuellen Herausforderungen in der Berufsbildung nicht angegangen, dann wird dies erhebliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen. "Wir sehen die Phase der beruflichen Bildung, die nach wie vor ein großer Teil der SchulabsolventInnen in Bayern durchlaufen, als wichtige Reifezeit an. Persönlichkeitsbildung ist für uns daher ein wichtiger Aspekt in der beruflichen Ausbildung." Zudem sei die berufliche Bildung der Schlüssel für die Bewältigung unserer Zukunftsaufgaben. Ziel ist, dass gute Lebensbedingungen für nachfolgende Generationen mindestens genauso gewährleistet sind, wie für die heute lebende
Gesellschaft.

Das grüne Antragspaket beinhaltet sieben Anträge: So muss die personelle und strukturelle Situation der beruflichen Schulen verbessert und die berufliche und akademische Bildung verzahnt werden. "Ein Schlüsselthema ist die Verankerung der Berufsorientierung in allen Schulen. Dafür ist ein einheitliches Konzept nötig", so Thomas Gehring. "Jugendlichen muss zudem eine Ausbildungsgarantie gegeben werden. Dabei muss der Maßnahmendschungel reformiert und unnötige Warteschleifen müssen abgebaut werden." Zum Thema gehört auch die gesicherte berufliche Perspektive für Flüchtlinge. Derzeit gibt es keine Rechts- und Planungssicherheit für Unternehmen und auch die jugendlichen Flüchtlinge sind unsicher. Beide müssen ständig  befürchten, dass der junge Azubi abgeschoben wird. "Wir fordern das Modell 3+2, drei Jahre Lehre plus zwei Jahre Arbeit." Auch in die Teilzeitausbildung müsse investiert werden, die Berufspädagogik weiterentwickelt werden.

Laut dem Verband der Lehrer an Beruflichen Schulen (vlb) in Person von Jürgen Wunderlich, Landesvorsitzender, und Dr. Friedrich Hummelsberger, Landesvorstand, legt das grüne Antragspaket den Finger genau in die richtigen Wunden. "Die Stoßrichtung ist absolut die richtige. Die Unterrichtsversorgung muss deutlich verbessert werden. 100 Prozent sind gut, aber mit dem Fortbildungsdruck noch zu wenig. Wir brauchen mehr individuelle Förderung, Qualitätsmanagement und eine Stärkung der Berufsschulsozialarbeit und -psychologie. Im Bereich der Flüchtlinge muss die Kooperation mit den Jugendämtern verbessert werden. Und dafür brauchen wir Ressourcen."