Bildung | Wissenschaft
Grünes Hochschulfreiheitsgesetz
„Mehr Demokratie, mehr Zukunft“
10. Mai 2021
Die letztere größere Hochschulreform fand vor 14 Jahren statt und rief damals aufgrund der Einführung von Hochschulräten und der Konzentration von Entscheidungsbefugnissen auf die Präsidien Kritik hervor. In der Zwischenzeit hat sich ein erheblicher Reformbedarf aufgestaut, der auch in den letzten zwei Jahren diskutiert wurde. Von einem Umbruch, der in der bayerischen Wissenschaftslandschaft keinen Stein auf dem anderen lassen soll, war jedoch keine Rede – bis zur Regierungserklärung von Ministerpräsident Söder im Herbst 2019, in der er sein Prestigeprojekt Hightech-Agenda zum Vorbild seiner Hochschulpolitik machen wollte.
Nachdem im vergangenen Jahr ein Vorschlag des Wissenschaftsministeriums noch im Ministerrat gestoppt wurde, wurde – offenbar auf Druck aus der Staatskanzlei – an einem „Eckpunktepapier“ gearbeitet, das nach der Sommerpause geleakt wurde. Vor diesem Hintergrund hatten die Landtags-Grünen bereits im Herbst eine Anhörung im Wissenschaftsausschuss durchgesetzt. In dem Eckpunktepapier, das offiziell erst nach der Anhörung vorlag, fand sich unter anderem eine komplette Entkernung der Gremienstruktur, ein höchst umstrittenes neues Modell für die Rechtsform der Hochschulen und die Fortführung des anderswo längst wieder ad Acta gelegten Prinzips der „unternehmerischen Hochschule“ wieder.
Daraufhin entbrannte massiver Protest unter Studierenden ebenso wie Forscher*innen und Lehrenden. Es gab große Demonstrationen unter anderem in München, Nürnberg und Augsburg, offene Briefe von jeweils über 1.000 Hochschul- und Universitätsprofessor*innen und Stellungnahmen diverser Verbände von Studierenden über Mittelbau bis hin zu den Senatsvorsitzenden der Universitäten.
Der ursprünglich kommunizierte Plan der Staatsregierung, die Gesetzesvorlage noch vor der Sommerpause 2021 in den Landtag zu bringen, wurde wieder revidiert. Die Grüne Landtagsfraktion setzte daraufhin gemeinsam mit der SPD-Fraktion im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst eine Anhörung zur geplanten Reform des Bayerischen Hochschulgesetzes durch. Diese wurde zunächst für den 21./ 22. Mai 2021 angesetzt, wird nun aber voraussichtlich erst am 11./12 Juni 2021 stattfinden, da der Gesetzentwurf bisher noch nicht im Kabinett behandelt wurde und erst in die Verbändeanhörung gehen soll, bevor er in die Anhörung im Ausschuss geht.
Das grüne Hochschulfreiheitsgesetz
Aus grüner Sicht ist ein kompletter Neuanfang bei der Hochschulreform notwendig. Die von uns durchgesetzte Anhörung soll nochmal grundlegend aufzeigen, welche Probleme an den Hochschulen wirklich herrschen und damit die Basis für eine Gesetzesreform geben, die Innovationen fördert und unsere Hochschulen zukunftsfest aufstellt. Wir Grüne haben nach vielen Gesprächen mit Vertreter*innen aus allen Hochschularten und allen Statusgruppen einen eigenen Gesetzentwurf erarbeitet, der wichtige Impulse für die Zukunft der Hochschullandschaft in Bayern geben will und so auch eine Art Gegenentwurf zu den Plänen der Söder-Regierung darstellt. Als Hochschulfreiheitsgesetz soll es durch eine Ausfinanzierung der Hochschulen, durch demokratische Strukturen, durch Transparenz und durch gute Arbeitsbedingungen die Grundlagen für den Erhalt der Wissenschaftsfreiheit in Bayern legen, die aktuell durch Unterfinanzierung, zentralistische Tendenzen und prekäre Arbeitsbedingungen bedroht sind. Zu den wichtigsten Eckpunkten des Grünen Gesetzentwurfs gehören:
- Demokratische Governance
Wir wollen den bisherigen rechtlichen Status der Hochschulen beibehalten. Der Freistaat darf sich nicht aus seiner wissenschaftspolitischen Verantwortung, dazu gehört auch die Verantwortung zur Ausfinanzierung der Hochschulen, ziehen, indem er die Hochschulen einfach aus der staatlichen Hand entlässt.
Wissenschaft ist ein Diskussionsprozess auf Augenhöhe. Sie ist in ihrer Arbeitsweise demokratisch. Entsprechend müssen die Beteiligungsstrukturen der Hochschulen demokratisch sein. Wir wollen Hochschulgremien in Bayern gruppenparitätisch besetzen, nachdem viele Hochschulen in anderen Bundesländern damit bereits sehr gute Erfahrungen machen.
Die zentrale Entscheidungsgewalt soll in die Hand der demokratischen Hochschulgremien wie Senat und Fakultätsrat zurückgehen. Der Hochschulrat mit seiner externen Expertise soll in die Lage gebracht werden, seine Funktion als Beratungsgremium wirklich wahrzunehmen und wird dafür von Kontrollaufgaben entlastet, die von außen nur schwierig zu bewerkstelligen sind. Dazu sollen insbesondere auch mehr Vertreter*innen aus dem gesellschaftlichen Leben in die Hochschuräte berufen werden.
Für eine gelingende Mitbestimmung ist aber auch auch die Interessenvertretung der Statusgruppen zentral. Die Studierenden sind zwar die größte Gruppe an Bayerns Hochschulen, jedoch auch die, die am meisten von anderen Abhängig ist. Deswegen gehört für uns die Wiedereinführung einer selbstverwalteten Studierendenschaft zwingend zu einer Hochschulrechtsnovelle. Durch diese können dann auch Verträge geschlossen werden, um bspw. deutlich einfacher Semestertickets zu ermöglichen.
- Studium und Lehre
Die Lehre muss ihren Stellenwert als gleichwertige Aufgabe neben der Forschung an den Hochschulen wiedererhalten. Die Errichtung massenhaft neuer Forschungsprofessuren lehnen wir ab, da sie die Einheit von Forschung und Lehre aufweicht.
Zur besseren Vereinbarkeit von Studium und Familie wollen wir ein Recht auf Teilzeitstudium verankern. Das würde auch zu einer besseren Durchlässigkeit zwischen Ausbildung und Studium führen, da ein berufsbegleitendes Studium somit viel einfacher realisierbar wird.
Hochschullehrer*innen sollen mit ihren Doktorand*innen verpflichtende Promotionsvereinbarungen eingehen, in denen Ziele und Qualitätssicherungsinstrumente festgehalten werden. Wir wollten die arbeitsrechtlichen und prüfungsrechtlichen Verstrickungen von Promovierenden voneinander trennen, um ihnen mehr Unabhängigkeit sowohl in Forschung als auch Lehre zuteil werden zu lassen. Gleichzeitig sollen forschungsstarke Fachbereiche der Hochschulen für angewandte Wissenschaften ebenfalls ein Promotionsrecht bekommen.
- Gute Arbeit in der Wissenschaft
Eine auskömmliche Grundfinanzierung soll prekäre Beschäftigungsbedingungen vermeiden. Daueraufgaben sollen in Zukunft auch von Dauerstellen wahrgenommen werden. Wir wollen es ermöglichen, dass Lehrbeauftragte, die oft schon viele Jahre in dem Bereich tätig sind, sich auch auf diese Stellen bewerben können. Die Lehraufträge sollen damit wieder ihren ergänzenden Charakter bekommen. Gleichzeitig sollen die Lehrbeauftragten auch das Recht bekommen, sich in die akademischen Gremien einzubringen.
Für den wissenschaftlichen Nachwuchs braucht es verlässliche Karriereperspektiven. Wir schlagen daher die Einführung eines Lecturer-Modells vor, das wissenschaftliche Karrierewege und dauerhafte Berufsperspektiven neben der Professur bietet. In Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation sollen mittelfristig eigene Karrierewege entstehen, die gute Arbeitsmöglichkeiten für Absolvent*innen bilden.
- Finanzierung und Infrastruktur
Um die Forschung in Sachen Nachhaltigkeit, Klima und Umwelt zu befördern, braucht es aber nicht nur hochschulrechtliche Rahmenbedingungen, sondern insbesondere auch eine sichergestellte Finanzierung. Eine solide Grundfinanzierung schafft die Basis für gute Beschäftigungsbedingungen und wissenschaftliche Freiheit. Forschung, die nur wirtschaftlichen Zwängen unterstellt ist, kann keine Innovationen hervorbringen.
Deswegen setzen wir uns für eine Transparenzklausel bei der Einwerbung von Drittmitteln ein, wie andere Bundesländer es vormachen. So kann leicht recherchiert werden, von wem Forschungsprojekte finanziert werden und ob es wirtschaftliche Interessenskonflikte dabei gibt.
Nicht zuletzt sind auch die Räume, in denen Forschung und Lehre stattfindet, grundlegend für ihr Gelingen. Leider sind es keine Einzelfälle, dass Forscher*innen in Bayern wortwörtlich die Decke auf den Kopf fällt oder Studierende neben sich das Wasser von der Decke tropfen hören, während sie in der Bibliothek über Büchern brüten. Es braucht endlich einen Plan, um den unfassbaren Sanierungsstau der bayerischen Hochschulen von über 5,8 Milliarden Euro allein bei großen Baumaßnahmen abzubauen.
Studiengebühren lehnen wir ab!
- Nachhaltigkeit als Aufgabe
Nachhaltigkeit und sozial-ökologische Fragestellungen sind die zentralen Themen unserer Zeit. Nachhaltiges Handeln muss Aufgabe und Leitbild unserer Hochschulen werden. Sie müssen in die Lage versetzt werden, dass Forschung und Lösungen in Sachen Nachhaltigkeit schnell in die Praxis zu überführen. Wir wollen außerdem tierversuchsfreie Forschung und Lehre zu fördern.
Das Prinzip der Bildung für nachhaltige Entwicklung soll an den Hochschulen verankert werden und so auch Eingang in die Curricula der Studiengänge finden.
- Diversität
Wissenschaft braucht die Diversität ihrer Mitglieder und Fachrichtungen. Hierzu bedarf es offener, diskriminierungsfreier Zugänge zur Hochschule, ein selbstbestimmtes Studium und einer Gleichstellungspolitik, die ihren Namen verdient. Dreh- und Angelpunkt sind Frauenbeauftragte, die ihren Aufgaben vollumfänglich nachkommen können mit ausreichend Rechten, Finanzierung und Personal. Sie sollen auch in wichtigen Gremien wie den Hochschulleitungen und den Hochschulräten ihr Stimmrecht ausüben. Sie sollen mehr Einflussmöglichkeiten auf Berufungen, Einstellungs- und Bleibeverhandlungen erhalten.
Wir stellen uns eine Hochschule vor, in der sowohl die Professorenschaft als auch die Gremien gleichberechtigt besetzt sind. Daher schlagen wir ein Kaskadenmodell für die Berufung von Professor*innen vor, das heißt, als Zielwert gilt der Frauenanteil der nächstniedrigeren Qualifikationsstufe – etwa als Zielwert für Habilitationen der Frauenanteil der Doktorand*innen, als Zielwert für Professuren der Frauenanteil der Habilitierten im Fachbereich.
Wir wollen außerdem Hochschulgremien paritätisch besetzen. So schaffen wir weibliche Rollenvorbilder und bringen auch die Sicht von Frauen in den Gremien ein.
Für andere Formen der Diskriminierung, ebenso wie für sexuelle Belästigung soll es klare Ansprechpartner*innen an den Hochschulen geben, die für Awareness und Beratung zuständig sind, aber auch als Ombudspersonen auftreten sollen.
Zudem braucht es verbindliche Gleichstellungskonzepte. Die Vereinbarkeit von Studium, Lehre und Forschung mit familiären, Betreuungs- und weiteren Verpflichtungen ist für uns ein Muss.
- Wissenstransfer
Die Hochschulen müssen in die Lage versetzt werden, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse auch der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Wie Wissenschaftler*innen das gelingen kann, sieht man in der derzeitigen Corona-Pandemie. Gleichwohl ist das nur ein sehr kleiner Teil sehr engagierter Forscher*innen, die sich die Zeit für Wissenschaftskommunikation nehmen können. Ihnen steht ein ganzes Heer pseudowissenschaftlicher Publizist*innen gegenüber. Wollen wir Fake News und Verschwörungsmythen entgegenwirken, brauchen wir mehr professionelle Wissenschafskommunikation. Dazu braucht es verlässliche Karrierewege in dem Bereich, eine solide Ausstattung und mehr entsprechende Aus- und Weiterbildungsangebote.
Wir streben nach dem baden-württembergischen Vorbild eine obligatorische Open-Acces-Zweitveröffentlichung für Forschungsergebnisse an, die mit öffentlichen Mitteln erlangt wurden. So kann nicht nur die Allgemeinheit an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen teilhaben, sondern man wirkt auch dem Oligopol der wenigen großen Wissenschaftsverlage entgegen.
Der bisherigen Praxis der Unternehmensbeteiligung von Hochschulen wollen wir klare gesetzliche Regeln geben: An Erfindungen, die unter dem Einsatz von Steuergeldern entstanden sind, soll die Allgemeinheit einen Anteil haben. Gleichzeitig sollen für solche Hochschulausgründungen auch tarifrechtliche Vorgaben gelten, ebenso wie die Grundsätze einer demokratischen Governance und Mitbestimmung.
Studierenden, Alumni und Forscher*innen sollen die Hochschulen Unterstützung in Form von Räumlichkeiten, IT- und Bibliotheksinfrastruktur zur Verfügung stellen um ihnen damit bei der Gründung von Start-Ups, gemeinnützigen Unternehmen und vor allem auch zivilgesellschaftlichen Initiativen unter die Arme zu greifen. Mit Zugriff auf öffentliche Forschungsergebnisse können sie ihre Gründungsideen weiter unterfüttern.