Bildung | Wissenschaft
Hochschulgesetz der Staatsregierung sorgt überall für Unzufriedenheit
Heftige Kritik der Sachverständigen am Hochschulgesetz-Entwurf der CSU-Regierung
14. Juni 2021
Genese:
Vergangenes Jahr waren trotz Corona-Bedingungen viele hunderte Studierende und Hochschulbeschäftigte auf die Straße gegangen, es gab offene Briefe von tausenden Professor*innen und Gewerkschaften und andere Verbände liefen Sturm gegen das geplante Hochschulgesetz der Staatsregierung. Am 11. und 12. Juni fand nun auf unseren gemeinsamen Antrag mit der Landtags-SPD hin eine erneute Sachverständigenanhörung zum Bayerischen Hochschulgesetz im Landtag statt. Anders als bei der ersten Anhörung im vergangenen Jahr lag nun ein konkreter Gesetzentwurf der Staatsregierung vor, anhand dessen man diskutieren konnte. Wenigen Wochen zuvor hatten wir als grüne Landtagsfraktion bereits unseren eigenen Gesetzentwurf für ein Hochschulfreiheitsgesetz der Öffentlichkeit vorgestellt ( https://www.gruene-fraktion-bayern.de/themen/bildung-wissenschaft-forschung/2021/gruenes-hochschulfreiheitsgesetz/?L=0 ).
Neue Anhörung:
Die Regierungsfraktionen wollten kritische Stimmen bei der Anhörung möglichst vermeiden, daher hatten sie erst nur Sachverständige aus Hochschulpräsidien nominiert, die ihre Auffassung der Umbildung der bayerischen Hochschulen nach einem unternehmerischen Vorbild teilten. Durch unsere grüne Intervention war es noch möglich, dass auch Studierende, Beschäftigte, Gewerkschaften und die Frauenbeauftragten an der Anhörung beteiligt werden konnten. Doch schon am Anfang wurde deutlich: Mit diesem Gesetzentwurf der Staatsregierung ist am Ende niemand zufrieden. Einem Teil der Sachverständigen geht die Umbildung hin zum Top-Down-Prinzip und die Entstaatlichung der Hochschulen gar nicht schnell genug; anderen sind wichtige Themen wie demokratische Organisationsstrukturen, Studium und Lehre, gute Beschäftigungsbedingungen und das Thema Nachhaltigkeit im Gesetz der Staatsregierung viel zu unterrepräsentiert.
Kritik:
„Das Ganze ist ein Hochschul-Entdemokratisierungs- und Entstaatlichungsgesetz“, stellte Verena Osgyan, Sprecherin für Wissenschaft und Hochschule fest. Größter Diskussionspunkt am ersten Tag der Anhörung war die Entlassung der Hochschulen aus der Staatlichkeit zugunsten eines Körperschaftsmodells. Verschiedene Sachverständige konnten keine Vorteile und nur Risiken in diesem Vorgehen erkennen. Für die Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften, die einen großen Teil des Protests gegen die Pläne der Staatsregierung getragen hatte, steht mit dieser Regelung auch der verfassungsmäßige Auftrag des Kulturstaats in Frage. Der Freistaat zieht sich mit dem Aufdrängen eines Körperschaftsmodells aus seiner Verantwortung für die Hochschulen zurück, um sie in einen jahrelangen Strukturprozess zu zwingen – das wird die bayerische Hochschullandschaft schwächen und verunsichern.
Ein weiterer zentraler, über alle Statusgruppen von Studierenden über Beschäftigte bis hin zu Hochschullehrer*innen geteilter, Kritikpunkt ist die Schwächung der hochschulinternen Selbstverwaltungsgremien, etwa des Senats. Unter anderem die Landes-ASten-Konferenz kritisierte diese Verschiebung in Richtung der Exekutivgremien deutlich. Auch die Landtagsgrünen halten diesen Teil der Hochschulreform für einen gravierenden Fehler: Gremien werden entmachtet und demokratische Strukturen zugunsten eines Top-Down-Prinzip über Bord geworfen. Die Frage, in welchen Punkt das Innovation befördern soll, bleibt offen.
Einen kleinen Lichtblick gebe es beim Thema Gleichstellung: Ein Kaskadenmodell, bei dem der Frauenanteil auf einer akademischen Stufe sich am Frauenanteil der nächstniedrigen Stufe orientieren soll – also etwa die Zahl der Professorinnen and der Zahl der Habilitandinnen – ist im Gesetz vorgesehen, nachdem wir Grüne das bereits seit vielen Jahren fordern. Für die Sprecherin der Landeskonferenz der Frauenbeauftragten ist das jedoch deutlich zu wenig. Es brauche gezielte Frauenförderung, Mitsprache weiblicher Professorinnen in Entscheidungsgremien und eine Verankerung der Gleichstellung auf Leitungsgebene bzw. die verbindliche Teilnahme der Frauenbeauftragten in der Hochschulleitung.
Ein großer Aufreger und eine Forderung, die nur wenige der Sachverständigen teilten war die Wiedereinführung von Studiengebühren. Nach dem bis zu diesem Zeitpunkt erfolgreichsten Volksbegehren aller Zeiten, das 2013 in Bayern die Campusmaut abschaffte, wagt sich die Staatsregierung nun wieder an das Thema und will Nicht-EU-Ausländer*innen sowie Teilzeitstudierenden zusätzliches Geld abknöpfen.
Weitere wichtige Themen, etwa die Schaffung von mehr Stellen für den akademischen Mittelbau und von Karrierewegen abseits der Professur oder die Themen Studium und Lehre, wurden von einigen der Sachverständigen angesprochen. Leider kamen diese Themen bei der Anhörung, genauso wie im Gesetzentwurf der Staatsregierung viel zu kurz. Im grünen Gesetzentwurf für ein Hochschulfreiheitsgesetz, das gemeinsam mit dem Gesetzentwurf der Staatsregierung im Landtag behandelt werden soll, haben Lösungen für diese Fragestellungen einen deutlich größeren Stellenwert bekommen.
Fazit:
„Am Ende kann mit diesem Gesetzentwurf niemand zufrieden sein“, konstatiert Verena Osgyan. Die Staatregierung müsse den Gesetzentwurf eigentlich komplett neu aufsetzen. „An dem vorgelegten Gesetz hat sich so viel Kritik entzündet, dass es nach dieser Anhörung eigentlich nicht möglich ist, den aktuellen Entwurf der Staatsregierung umzuschreiben ohne einen komplett neuen Vorschlag zu erarbeiten.“ Die Staatsregierung müsse erkennen, dass nicht die Entstaatlichung und Entdemokratisierung der Hochschulen die drängendsten Probleme der bayerischen Hochschulen seien, sondern vielmehr mangelnde Grundfinanzierung, fehlende Karriereperspektiven, zu wenig ausgeprägte demokratische Partizipation, das Thema Nachhaltigkeit und noch einige Themen mehr.
Teilnehmende der Anhörung hatten noch weitere Kritikpunkte, denn nach genauerer Lektüre befürchten viele, dass die Gesetzesänderung viele negative Auswirkungen auf unsere Universitäten, die Forschung und die Lehre haben wird. Insbesondere:
Studiengebühren für internationale Studierende sollen ermöglicht werden
Das neue BayHSchG öffnet Hochschulen die Möglichkeit, von sog. "Bildungsausländern" Studiengebühren zu erheben, mehr noch, die Hochschulen werden explizit darauf hingewiesen. Dies behindert nicht nur den internationalen Austausch, sondern hat auch das Potential, Studierende selektiv zu benachteiligen. Insbesondere Studierende aus finanziell schwächeren Familien werden so stark in ihrer Studienplanung eingeschränkt. Auch wir möchten schließlich im Ausland ohne Studiengebühren studieren.
Präsidien sollen gestärkt und Hochschulen entdemokratisiert werden
Das Eckpunktepapier stellt die Möglichkeit bereit, an die Stelle von Entscheidungen von Gremien der Fakultäten (in denen auch wir Studierende teilnehmen) direkte Entscheidungen des Präsidiums zu setzen. Dies verhindert die Beteiligung der verschiedenen Statusgruppen (Professor:innen, Mitarbeiter:innen, Studierende), die dann mit diesen Entscheidungen leben müssen. Auch befürchten wir eine deutliche Verschlechterung der Entscheidungen, wenn sie nicht mehr von den Gremien durchdacht werden, die an deren Umsetzung in der Praxis beteiligt sind.
Forschung und Lehre sollen aufgetrennt werden
Auch sollen reine Forschungsprofessuren ermöglicht werden, die - ohne Lehre zu betreiben - nur forschen sollen. Dies steht im Gegensatz dazu, dass in der aktuellen Forschung Fortschritte auch durch Kooperation und Arbeit mit Promovierenden und Studierenden entstehen. Außerdem kann nur so auch die nächste Generation an Wissenschafter:innen ausgebildet und gefördert werden.
Hochschulen sollen sich unternehmerisch betätigen
Des Weiteren soll es den Hochschulen erleichtert werden, sich unternehmerisch zu betätigen und die Kooperation mit der Wirtschaft soll verstärkt werden. Hochschulen können dadurch in Abhängigkeiten geraten und die Freiheit der Forschung und Lehre kann gefährdet werden. Auch haben natürlich nicht-anwendungsbezogene Forschung sowie Geistes- und Sozialwissenschaften deutlich mehr Probleme, Drittmittel von Unternehmen einzuwerben. Wir sehen diesen Vorstoß daher mit Sorge, sowohl mit Hinblick auf die Unabhängigkeit, als auch auf die Auswahl der Forschung.
Diese Befürchtungen werden von vielen geteilt, auch von vielen Professor*innen, Dozierenden, Mitarbeiter*innen und Studierenden a bayernweit. So hat sich auch bereits eine "Initiative für Geistes- und Sozialwissenschaften" gebildet, da diese Fächer potentiell am meisten unter der Reform leiden könnten.
Teilnehmende der Anhörung waren:
- Prof. Dr. Sabine Doering-Manteuffel, Präsidentin der Universität Augsburg und Vorsitzende von Universität Bayern e.V.
- Bernhard Emmer, Landesverband Wissenschaftler in Bayern
- Prof. Dr. Max-Emanuel Geis, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern des Deutschen Hochschulverbandes
- Christiane Glas-Kinateder, Landesfachbereichsleiterin Bildung, Wissenschaft und Forschung bei ver.di LBz Bayern
- Prof. Dr. Johannes Grabmeier, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Technischen Hochschule Deggendorf
- Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang A. Hermann, Präsident Emeritus der Technischen Universität München
- Prof. Dr. Thomas F. Hofmann, Präsident der Technischen Universität München
- Prof. Dr. rer. pol. Bernd Huber, Präsident der Ludwigs-Maximilians-Universität München
- Prof. Dr. Göran Kauermann, Institut für Statistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München
- Dr. Eduard Meusel, Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften sowie Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bayern (GEW)
- Prof. Dr. Dr. h.c. Andrea Schenker-Wicki, Rektorin der Universität Basel
- Prof. Dr. Walter Schober, Präsident der Technischen Hochschule Ingolstadt und Vorsitzender Hochschule Bayern e.V.
- Ausschuss für Wissenschaft und Kunst Seite 2
- Anna-Maria Trinkgeld, Landes-ASten-Konferenz Bayern (LAK)
- Dr. Margit Weber, Sprecherin der Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an bayerischen Hochschulen (LaKoF Bayern)
- Prof. Dr. Georg Winckler, Rektor Emeritus der Universität Wien
Themenkomplexe:
I. Externe Governance – Mehr Eigenverantwortung für die Hochschule
II. Interne Governance und Partizipation
III. Aufgaben der Hochschule
IV. Dienstrechtliche Stellung und Aufgaben des Hochschulpersonals – Beschäftigungsbedingungen, Wissenschaftlicher Nachwuchs, Berufungsrecht
V. Studium und Lehre
VI. Soziale Infrastruktur des Studiums