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Landtags-Grüne fordern wesentlich mehr Politische Bildung in Schulen

Antrag im Bildungsausschuss

08. Juli 2024

Mit Blick auf die derzeitige gesellschaftliche und politische Lage sowie die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen fordern die Landtags-Grünen mehr Demokratie-Unterricht in den Schulen sowie mehr Mitbestimmung durch Schüler*innen. Zudem braucht es mehr qualifizierte Lehrkräfte für politische Bildung (viele unterrichten fachfremd).

Die Forderungen werden in Form eines Antrags der Landtags-Grünen nächste Woche am Do, 11.7., im Bildungsausschuss beraten. (Es handelt sich hierbei um einen zweiten Dringlichkeitsantrag aus dem Plenum vom Mi, 3.7., der direkt in die Ausschusssitzung am 11.7. verwiesen wurde.)

 

Zudem haben die Landtags-Grünen heute die Antworten auf eine Anfrage zum Plenum erhalten, die Ergebnisse finden sich im nachfolgenden Text.
 

 

Wo die Probleme liegen:

 

Beim Unterricht ist Bayern Schlusslicht im nationalen Vergleich:

Bayerische Schüler*innen haben viel weniger Unterricht in Politischer Bildung als diejenigen in anderen Bundesländern. Das legt die jährlich erscheinende Studie der Uni Bielefeld offen. Demnach belegt Bayern seit Jahren die letzten Plätze des nationalen Rankings Politischer Bildung am Gymnasium und an der nichtgymnasialen Sekundarstufe I.

Beispiel: Gymnasiast*innen etwa aus Nordrhein-Westfalen, Hessen oder Schleswig-Holstein haben mehr als acht Mal so viel Unterricht im Bereich Politische Bildung als Schüler*innen in Bayern (siehe Seite 17 des Rankings). In NRW beispielsweise haben Gymnasiast*innen in der Sekundarstufe I mindestens acht Wochenstunden „Wirtschaft-Politik“ (ab Klasse 5). In Bayerns Gymnasien hingegen wird das Fach „Politik und Gesellschaft“ erst ab Klasse 10 einstündig und in Klasse 11 zweistündig unterrichtet. In NRW haben Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I also 320 Stunden „Wirtschaft-Politik“. In Bayern haben sie in der Sekundarstufe I hingegen nur 117.  Auch an den Realschulen in Bayern beginnt das Fach „Politik und Gesellschaft“ erst in der 10. Klasse.

 

Fachfremde Lehrkräfte:

Bayerische Lehrkräfte unterrichten oft fachfremd, viele sind für das Fach „Politik und Gesellschaft“ gar nicht ausgebildet. Einer Anfrage der grünen Landtagsfraktion vom Dezember 2022 zufolge wurden im Schuljahr 2021/2022 an Realschulen rund 51 Prozent der Stunden fachfremd unterrichtet. An Gymnasien waren es 10,2 Prozent. Die Folge: Die Qualität der politischen Bildung in Bayern ist nicht in jedem Fall gewährleistet.

Kurios: Aktuelle Zahlen für 2023 gibt das Kultusministerium auf die aktuelle Anfrage der Landtags-Grünen hin nicht heraus. Es verweist stattdessen auf eine Anfrage vom Juni 2023, in welcher steht: „Der Anteil des von Lehrkräften ohne die entsprechende Lehrbefähigung erteilten Unterrichts im Fach Sozialkunde bzw. Politik und Gesellschaft lässt sich in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht belastbar ermitteln.“ Diese Begründung zweifeln die Landtags-Grünen an – denn im Dezember 2022 stellte es für das Ministerium offensichtlich kein Problem dar, im gleichen Zeitraum die entsprechenden Zahlen zu ermitteln.

Doch warum überhaupt müssen so viele Lehrer in Bayern fachfremd Politik unterrichten?
Weil das Studienangebot nicht attraktiv genug ist. Derzeit kann man das Unterrichtsfach „Politik und Gesellschaft“ (PuG) für Lehramt Gymnasium in Bayern nur in Kombination mit Deutsch oder Englisch studieren. Das Unterrichtsfach PuG für Lehramt Realschule ist nur in Kombination mit dem Fach Wirtschaft möglich. Hier braucht es dringend alternative Fächerkombinationen sowie ein verbindliches Modul „Politische Bildung" für alle Lehramtsstudierenden (mehr dazu siehe unten) – und eine entsprechende Ressourcenausstattung der Universitäten.

Aktuelle Zahlen dazu: Die Anfrage der Landtags-Grünen vom Juni 2023 zeigt, dass es aktuell nur sehr wenige Studienanfänger*innen für das Unterrichtsfach „Politik und Gesellschaft“ gibt. Für den Bereich Realschulen waren es 2023 nur 38 Studienanfängerinnen und -anfänger. Auch bei den Referendar*innen und Referendaren sieht demnach die Lage nicht viel besser aus: An den Realschulen absolvieren im Schuljahr 2023/24 nur 10 Personen das Referendariat. Für den Bereich Gymnasium sind es im Schuljahr 2023/2024 nur 44 Referendarinnen und Referendare. Hier lässt sich in den vergangenen vier Jahren ein besonders deutlicher Rückgang feststellen: Die Zahlen der Referendarinnen und Referendare für Politik und Gesellschaft sind laut den Angaben des Kultusministerums um zwei Drittel(!) gesunken. Zum Vergleich: Im Schuljahr 2022/2023 waren es 55 Personen, im Schuljahr 2021/2022 waren es 67 Personen, im Schuljahr 2020/2021 waren es 81 Personen und im Schuljahr 2019/2020 waren es noch 133 Personen.

 

Interesse an Demokratie und Beteiligung wird zu spät geweckt:

Menschen, die bereits in Kindheit und Jugend die Erfahrung machen, durch ihr Engagement etwas bewegen zu können, sind auch später aktiver. Das bestätigen mehrere Studien (z.B.: Was sagt die empirische Partizipationsforschung zu Bürgerbeteiligung? | SpringerLink). Deshalb bedeutet Demokratie-Bildung auch: Wir müssen von klein auf Interesse und Lust an Beteiligung wecken!  

Beispielsweise über partizipative Formate wie Klassenräte oder Schülerparlamente. Aber diese sind – ebenso wie ein Mitbestimmungsrecht – im bayerischen Schulgesetz nicht verbindlich vorgesehen. Daher gibt es solche Gremien an Bayerns Schulen nur äußerst selten. Das zeigt auch die aktuelle Anfrage der Landtags-Grünen: Das Ministerium erhebt keinerlei Zahlen dazu. Aktuell gibt es lediglich einen Modellversuch für Schülerparlamente an 25 weiterführenden Schulen, der noch bis Ende des Monats läuft.

 

KZ-Gedenkstätten sind wichtige Lernorte – werden aber nicht von allen Schüler*innen besucht:

KZ-Gedenkstätten sind äußerst wichtige außerschulische Lernorte, die Schüler*innen die Bedeutung von Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit aus einem anderen Blickwinkel heraus vermitteln können. Trotzdem besucht nur ein Drittel der Mittelschüler*innen und nur knapp 40 Prozent der Realschüler*innen eine solche Gedenkstätte. Bei Förderschüler*innen sind es nur 10 Prozent, während fast 70 Prozent der Gymnasiast*innen eine solche Gedenkstätte besuchen. Hier zeigt sich eine deutliche Kluft zwischen den Schularten. (Die Zahlen haben wir auf Grundlage der Statistik der Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit ausgerechnet und beziehen sich auf das Jahr 2022.)

Ursprünglich sah es so aus, als hätte die Staatsregierung das Problem erkannt – sie hat den verpflichtenden Besuch von KZ-Gedenkstätten in ihrem Koalitionsvertrag 2023 festgeschrieben. Aber: Es hat sich seitdem nichts verändert! Der Lehrplan schreibt den Besuch für Mittel- und Förderschulen nach wie vor nicht verbindlich vor. Dort steht lediglich: „Schülerinnen und Schüler erläutern die vielfältigen Funktionen von Gedenkstätten und Gedenkorten der NS-Zeit (zum Beispiel durch eine Exkursion an außerschulische Lernorte wie etwa Dachau oder Flossenbürg). Im Lehrplan für Gymnasien ist der Besuch (in der Regel in der 9. Klasse) verbindlich geregelt. (Anmerkung: Den Rest hab ich jetzt einfach weggelassen. Du braucht daher den Lehrplan für Gymnasien nicht verlinken)

 

 

Die Folgen:

 

Aktuelle Studien zeigen, dass das Interesse der Jugendlichen an politischen Themen begrenzt ist. Die Sinus-Jugendstudie 2024 etwa belegt, dass Jugendliche zwar sensibel für soziale Ungleichheit sind, aber wenig Interesse an Politik haben. Dies liegt unter anderem an einem Gefühl der Einflusslosigkeit und geringem politischen Wissen. Zudem kritisieren die Jugendlichen, dass sie in der Schule zu wenig über Demokratie lernen und kaum Mitsprachemöglichkeiten haben. (Die Ergebnisse können hier nachgelesen werden: https://www.sinus-institut.de/media-center/studien/wie-ticken-jugendliche-2024, S.649 f, S. 651 f.)

Eine weitere Studie der Vodafone Stiftung zeigt, dass sich nur noch fünf Prozent der Jugendlichen politisch engagieren und 63 Prozent politisches Engagement für sich ausschließen. Obwohl insgesamt 99 Prozent der Jugendlichen es für relevant halten, zwischen vertrauenswürdigen und nicht vertrauenswürdigen Quellen unterscheiden zu können, geben nur 16 Prozent der Jugendlichen an, dies in der Schule zu lernen; 41% stimmen hier „eher“ zu. (Die Ergebnisse können hier nachgelesen werden: https://www.vodafone-stiftung.de/wp-content/uploads/2024/05/VodafoneStiftung-Junge-Stimmen-starke-Wirkung.pdf, S.16, S. 13.)

 

 

Das fordern die Landtags-Grünen:

Die Landtags-Grünen fordern die Staatsregierung auf, Demokratie für Schülerinnen und Schüler erfahrbar und greifbar zu machen: Dazu sollen verbindlich vorgeschriebene Beteiligungsformate wie der Klassenrat und Schülerinnenparlamente in das Schulgesetz aufgenommen werden. Zudem sollen Schülerinnen und Schüler ein gesetzlich verankertes Mitbestimmungsrecht in schulischen Belangen erhalten. Denn Demokratie lebt von Mitwirkung und die muss gelernt werden. Das geht nur, wenn Schule ein demokratischer Ort wird.

Kein Schuljahr ohne Politische Bildung: An allen Schularten soll künftig schon ab der 5. Jahrgangsstufe ein zweistündiger Unterricht in „Politik und Gesellschaft“ eingeführt werden! Denn bislang haben die Schüler*innen das Fach „Politik und Gesellschaft“ an Realschulen und Gymnasien erst ab der 10. Klasse. (An Mittelschulen wird Politik bereits ab der 5. Klasse als Kombi-Fach unterrichtet.)

Eine frühere Beschäftigung mit dem Thema „Politik und Gesellschaft“ soll dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche eine höhere politische Urteils- und Handlungskompetenz erwerben. Zudem soll der „Politik und Gesellschaft“-Unterricht auch politische Medienbildung (beispielsweise Quellenkritik oder mehr Handlungskompetenz zum Verhalten in Sozialen Netzwerken in Bezug auf Grundrechte anderer) sowie mediale politische Bildung (beispielsweise die Nutzung von Medien für den Politikunterricht, wie etwa digitale Spiele oder Social Media, um ein Thema aus mehreren Perspektiven zu beleuchten) beinhalten.

Ziel ist es, dass das Fach Politik bzw. politische Bildung künftig mit anderen Fächern kombiniert wird (wie es in der Mittelschule bereits umgesetzt wird). Politische Bildung lässt sich beispielsweise gut mit Geschichte, Wirtschaft und Geografie verbinden. Wichtig hierbei ist, dass dem Fach Politik im Lehrplan klare Kompetenzen zugeschrieben werden!

 

Jeder Schüler und jede Schülerin in Bayern soll, unabhängig von der Schulart, bereits ab dem Schuljahr 2024/25 verpflichtend mindestens einmal während der Schullaufbahn eine KZ-Gedenkstätte besuchen. Die Staatsregierung soll dafür sorgen, dass geführte Rundgänge durch KZ-Gedenkstätten vom Staat gefördert und somit kostenlos für alle Schülerinnen und Schüler sind. Für Lehrkräfte braucht es zudem entsprechende Fortbildungsangebote, die sie dabei unterstützen, diese Besuche entsprechend vor- und nachzubereiten.

 

Es müssen mehr Lehramtsstudierende für das Unterrichtsfach „Politik und Gesellschaft“ (PuG) begeistert werden! Die Staatsregierung muss hier eine Initiative starten sowie die Kombinationsmöglichkeiten für das Unterrichtsfach PuG für das Lehramt Realschule und Gymnasium ausbauen. Derzeit kann man das Unterrichtsfach PuG für Lehramt Gymnasium nur in Kombination mit Deutsch oder Englisch studieren. Das Unterrichtsfach PuG für Lehramt Realschule ist nur in Kombination mit dem Fach Wirtschaft möglich. Hier müssen dringend die Fächerkombinationen, mit denen PUG studiert werden kann, ausgebaut werden. Zudem muss ein verbindliches Modul „Politische Bildung" für alle Lehramtsstudierenden eingeführt werden – damit insgesamt mehr „Politik und Gesellschaft“-Stunden angeboten werden können. Die Professionalität sowie Qualität und schließlich insgesamt die politische Bildung an den Schulen muss hier nachhaltig gestärkt werden – dafür braucht es auch eine entsprechende Ressourcenausstattung der Universitäten.

 

 

Zitate:

Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen:

„Die Söder-Regierung liefert ein Paradebeispiel dafür, warum wir bei der Demokratie-Bildung junger Menschen in Bayern noch nicht weiter sind. Das zeigt die Feigenblatt-Idee des Verfassungs-Viertelstündchen pro Woche. So eine Druckbetankung in 15 Minuten kann nicht die einzige Antwort auf den Rechtsrutsch und den zunehmenden Populismus sein.“

„Deshalb fordern wir, dass an allen Schularten ab der 5. Klasse zwei Stunden Politik und Gesellschaft unterrichtet werden. Politische Bildung muss integraler Bestandteil des Lehrplans sein und sollte entsprechend mehr Zeit und Raum erhalten.“

„Das mangelnde Interesse der Lehramtsstudierenden, Politik und Gesellschaft zu studieren, spiegelt den geringen Stellenwert wider, den die CSU-FW-Regierung der Politischen Bildung beimisst. Den Schülerinnen und Schülern wird vermittelt, dass es ein unwichtiges Fach ist und damit auch der Inhalt vernachlässigbar ist. Kein Wunder, dass nur wenige dann Lehrkraft für so ein vermeintlich nebensächliches Fach werden möchten. Es braucht also auch hier eine Offensive vom Kultusministerium!“

 

Gabriele Triebel, Sprecherin für Bildung:

„Demokratie lernt man vor allem durch Mitmachen. Damit die Schulen keine ,demokratiefreien Zonen‘ bleiben, müssen Kinder und Jugendliche auch an Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Dafür brauchen wir die feste Verankerung von Klassenräten und Schulparlamenten. Das sind wichtige Grundsteine, mit denen Schülerinnen und Schüler demokratisches Verhalten einüben und sich damit zu mündigen und demokratisch denkenden Bürgerinnen und Bürgern entwickeln können.“

„Gedenkstätten sind wichtige Lernorte, die den Jugendlichen die Bedeutung von Menschenwürde und demokratischen Grundrechten vermitteln. Die Staatsregierung muss ihr Versprechen halten und handeln, damit jeder Schüler und jede Schülerin unabhängig von der besuchten Schulform die Möglichkeit hat, diese wichtigen historischen Orte zu besuchen. Zusätzlich muss sie dafür sorgen, dass diese Besuche nicht am Geldbeutel der Eltern scheitern.“