Bildung | Wissenschaft
Sexualisierte Gewalt ist keine Kirchliche Angelegenheit
Anhörung zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen in der Kirche
21. April 2023
Die Debatte um sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche reißt nicht ab. Erst diese Woche erschütterten Enthüllungen aus dem Bistum Freiburg die bundesweite Öffentlichkeit und auch in Bayern wurden erst kürzlich neue Fälle bekannt. Das Dunkelfeld ist noch immer gewaltig. Die Landtagsgrünen arbeiten seit Jahren intensiv daran, die Aufklärung und Aufarbeitung in Bayern trotz der massiven Blockadehaltung der CSU voranzubringen.
Um den Handlungsspielraum des Freistaats in diesem komplexen und gesellschaftspolitisch höchst relevanten Thema genauer zu untersuchen, haben die Landtagsgrünen schon im Herbst des vergangenen Jahres eine Sachverständigenanhörung im Bayerischen Landtag mit einem Minderheitsvotum durchgesetzt. Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist keine kirchliche Angelegenheit und auch kein Phänomen, dass nur in kirchlichen Strukturen auftritt. Deshalb gilt es, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Aufarbeitung und Aufklärung auch in allen anderen Bereichen unserer Gesellschaft konsequent vorangetrieben werden kann. Die Grünen hatten zur Anhörung die Sachverständigen Prof. Dr. Stephan Rixen, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Staatsrecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht und Direktor des Instituts für Staatsrecht der Universität zu Köln und Prof. Dr. Heiner Keupp, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in Berlin geladen. Beide beschäftigen sich seit vielen Jahren umfassend mit der Aufarbeitung und Aufklärung der sexualisierten Gewalt in der Kirche.
Pünktlich, zwei Tage vor der Anhörung am gestrigen Donnerstag, kam auch in Bayern wieder Bewegung in die Debatte: Familienministerin Scharf verkündete eine unabhängige Anlauf- und Lotsenstelle für Betroffene von sexuellem Missbrauch und Gewalt. Die Landtagsgrünen fordern diese Stelle schon seit geraumer Zeit. Ministerin Scharf hatte sich kürzlich noch vehement dagegen gewehrt. Ein Erfolg für die Grünen im Landtag.
Die Ankündigung dieser Stelle wurde im Rahmen der Anhörung von den acht geladenen Expert*innen begrüßt, wenn auch kritisch hinterfragt. Denn über Ausstattung und Aufgabe dieser Stelle ist noch nichts bekannt. Außerdem ist diese Maßnahme mitnichten ausreichend, um die Strukturen sexualisierter Gewalt umfassend aufzuarbeiten, wie es für eine gelungene Prävention unumgänglich wäre. Strukturen für Aufarbeitung und Aufklärung müssen auch auf Landesebene gestärkt werden, so die weitgehend einhellige Meinung der geladenen Expert*innen. In Analogie zum Bund sollte ein*e Missbrauchsbeauftragte*r benannt, eine landesweite und unabhängige Aufarbeitungskommission berufen und ein Betroffenenbeirat gegründet werden. Die personelle und finanzielle Ausstattung all dieser Stellen ist wesentlich für eine gelungene Aufarbeitung. Aber auch die notwendigen Rahmenbedingungen und Verantwortlichkeiten, ebenso wie die Aufgaben und Befugnisse dieser Stellen, müssen klar umrissen sein. Genau hier liegt aktuell das Problem bei den bestehenden Stellen, deren Auftrag oft nicht klar und transparent definiert ist. Einen Rahmen könnte dabei ein Bayerisches Aufarbeitungsgesetz schaffen.
Bayern hätte die Möglichkeit, hier wirklich einmal Vorreiter in einem gesellschaftlich höchst relevanten Feld zu ein. Denn sexualisierte Gewalt findet statt – nicht nur in Kirchen und Heimen, in Sportvereinen oder Schulen, sondern auch zu Hause. Jeder Fall sexualisierter Gewalt ist einer zu viel. Konsequente Aufklärung und Aufarbeitung sind wesentliche Bestandteile für gelungene Prävention. Auch über die Strukturen, in denen sexualisierte Gewalt stattfindet, weiß man noch zu wenig, weswegen eine Dunkelfeldstudie zu den Fällen sexualisierter Gewalt dringend notwendig wäre.
Die geladenen Expert*innen waren sich einig: Es gibt noch viel zu tun. Die Staatsregierung hat ihren Handlungsspielraum bisher nicht umfassend ausgeschöpft, und auch die bayerische Justiz hat sich in der Vergangenheit nicht mit Ruhm bekleckert. Die Passivität der CSU-Abgeordneten während der Anhörung spricht ebenfalls für sich. Die Landtagsgrünen sind deshalb gefragt, den Druck auf die Staatsregierung aufrecht zu halten, damit auch jeder* einzelne erkennt, dass Wegschauen und Vertuschen keine Lösung ist.