Bildung | Wissenschaft
Staatliche Ombudsstelle einrichten!
Aufarbeitung von Kindesmissbrauch darf nicht nur der Täterorganisation überlassen werden
27. Januar 2023
Vor gut einem Jahr wurde die “Bilanz des Schreckens” veröffentlich: Das Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) offenbarte die Dimensionen des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche mit brutaler Gründlichkeit. Mindestens 497 Kinder und Jugendliche sind laut der Studie zwischen 1945 und 2019 im Bistum von Priestern, Diakonen oder anderen Mitarbeitern der Kirche sexuell missbraucht worden. Das Gutachten zeigt zum einen das Versagen der Kirche und zum anderen das Versagen der Staatsregierung beim Schutz von Kindern und Jugendlichen. Nach der Veröffentlichung des Gutachtens geht die Aufarbeitung und Aufklärung nur schleppend voran. Die Kirchen sind weitgehend selbst damit betraut, auch wenn die Staatsregierung und auch Justizminister Eisenreich nun zögerlich und auf viel Druck der Landtags-Grünen die eigene Verantwortung für Aufklärung und Aufarbeitung dieser Taten erkennt und annimmt.
Auch die Kirche erkennt ihre Verantwortung an und nehme die Problematik sehr ernst, so beteuerte es Kardinal Marx vergangene Woche auf einer Pressekonferenz zum traurigen einjährigen Jubiläum des WSW-Gutachtens. Dort zähle er auf, was sein Bistum im vergangenen Jahr alles unternommen hat, um die Missbrauchsfälle vollumfänglich aufzuklären. Eine Stabstelle für Seelsorge und Beratung für Betroffene wurde eingerichtet, es gibt Ansprechpartner*innen, deren Kontaktdaten schnell und einfach auf der Homepage des Bistums zu finden sind und auch Begegnungsveranstaltungen mit Betroffenen wurden vom Bistum organisiert. In einem aktuellen Fall verzichtete das Erzbistum München sogar auf die Verjährung und stellt sich somit der Klage eines Betroffenen vor dem Landgericht Traunstein. Ein wichtiger Schritt.
Aber trotz aller mal mehr, mal weniger fruchtbaren Bemühungen der Kirchen bleib der grundlegende Systemfehler bestehen: noch immer ist die Täterorganisation Kirche die erste Ansprechpartnerin für Betroffene und deren Angehörige. Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist aber keine kirchliche Angelegenheit, sie ist auch kein Phänomen der 50er und 60er Jahre. Auch wenn die Kirchen in den vergangenen Jahren im Zentrum der Diskussion standen, dürfen andere Institutionen nicht aus dem Blickfeld verschwinden. Denn sexualisierte Gewalt an Schutzbefohlenen findet statt. Auch heute, auch jetzt. Überall dort wo es Machtstrukturen gibt, gibt es auch Menschen, die diese Strukturen für Gewalttaten missbrauchen. Taten des sexuellen Missbrauchs sind dabei eine Form der Gewalt, deren Aufarbeitung und Prävention in besonderem Maße eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Niemand will, dass ein Kind sexualisierte Gewalt erlebt – nicht auf der Jugendfreizeit, nicht im Fußballverein und nicht in der Schule.
Kinder und Jugendliche, die lange im toten Winkel der bayerischen Landespolitik standen rücken wir Grüne in den Fokus. Für uns gehört die Prävention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt dabei ganz selbstverständlich dazu. Damit Betroffene, deren Angehörige aber auch Beobachter*innen künftig schnell und unkompliziert Hilfe bekommen, fordern wir eine staatliche Ombudsstelle. Aus dem Justizministerium war zuletzt leise Zustimmung zu einer solchen Ombudsstelle zu hören, allerdings nur für Betroffene im kirchlichen Kontext. Sozialministerin Scharf lehnt so eine Stelle immer noch vehement ab.
Für uns Grüne ist jedoch klar, dass wir die Verantwortung für unsere Jüngsten tragen. Damit Lehrkräfte, Jugendleiter*innen, Fußballtrainer*innen mit Verdachtsfällen oder Betroffene, auch zehn Jahre nach dem Vorfall eine Ansprechperson hat, ist eine staatliche Ombudsstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt und deren Angehörige unerlässlich. Diese Stelle muss niedrigschwellig, bayernweit erreichbar und professionell besetzt sein. Um diese Stelle schnell einzurichten und kompetent zu besetzten, müssen die notwendigen Mittel im kommenden Haushalt bereitgestellt werden.