Demokratie | Gegen Rechts
Wertegeleitete Realpolitik und strategische Allianzen
Kernpunkte grüner Sicherheitspolitik im Landtag vorgestellt
17. Februar 2023
Anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz hat die friedenspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen Anne Franke zu einer öffentlichen Veranstaltung in den Bayerischen Landtag eingeladen, um mit prominenten Gästen die Grundlagen grüner Sicherheitspolitik vorzustellen und nach bayerischen Handlungsoptionen zu fragen. Als Reaktion auf den völkerrechtswidrigen Angriff Putins ist es Grüner Konsens, die Ukraine schnell und umfassend zu unterstützen – auch mit Waffen. Mit diesen Worten begrüßte Gastgeberin Anne Franke die Zuhörerinnen und Zuhörer, um anschließend sogleich klarzumachen: Das wichtigste friedenspolitische Ziel der Grünen ist und bleibt die Krisenprävention. Es gilt darauf hinzuwirken, dass Konflikte gar nicht erst entstehen.
In seinem Grußwort erinnerte sich der Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen Ludwig Hartmann an seine Herkunft aus einem friedensbewegten Elternhaus. Der Balkankrieg in den 90er Jahren sei für ihn prägend geworden. Als jugendlicher Ehrenamtlicher kam er 1996 nach Mostar und lernte dort: Militär ist manchmal notwendig, auch, um ein Nichtschießen durchzusetzen; das allein bringt aber noch nicht den Frieden. Fast 30 Jahre danach läuft auf dem Balkan auch heute nicht alles so, wie es sollte. Ludwig Hartmanns Fazit: Wir haben die Verantwortung, auch weiter auf den Balkan zu schauen, wir dürfen nicht die Friedensarbeit an anderen Konflikten vergessen. Friedensprozesse voranzubringen, sei eine Aufgabe, vor die auch Bayern gestellt sei.
Jürgen Trittin, Grünen-Abgeordneter und Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags, warf zu Beginn seines Vortrags einen Blick auf die Situation ein Jahr nach dem Beginn von Putins Krieg gegen die Ukraine. Angesichts der veränderten Bedrohungslage hat die Bundesregierung entschieden, eine nationale Sicherheitsstrategie zu erarbeiten. Leitgedanke dabei ist der Begriff der Integrierten Sicherheit, der drei Dimensionen umfasst: die Sicherheit des Lebens, angesichts der unmittelbaren Bedrohung von Krieg; die Sicherheit der Freiheit, also unsere Möglichkeit so zu leben, wie wir in einer demokratischen Gesellschaft unter der Herrschaft des Rechts leben wollen; und schließlich die Sicherheit unserer Lebensgrundlagen.
Die Welt, in der wir heute leben, werde in wenigen Jahren völlig anders aussehen, dieses Zitat von Olaf Scholz brachte Trittin von der Eröffnungsrede des Bundeskanzlers auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit. Wir steuern auf eine multipolare Welt zu, umso mehr komme es entscheidend auf die Herrschaft des Rechts an, betonte Trittin. Als Kern der nationalen Sicherheitsstrategie bezeichnete er eine „wertegeleitete Realpolitik“. Ein Punkt, der den Grünen besonders wichtig ist und für Streit insbesondere mit dem Koalitionspartner FDP sorgt: Um die Strategie praktisch umzusetzen, muss die Bundesregierung mehr Geld in die Hand nehmen – in dem Maße, wie die Ausgaben für das Militär wachsen, müssen auch die Ausgaben für Entwicklung und für Diplomatie 1: 1 wachsen, so die Position der Grünen.
MdB Jamila Schäfer gehört dem Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag an und ist dort Berichterstatterin der Grünen für die Sicherheitskonferenz im Bereich Länder des zentralen und südlichen Afrikas. Sie hob die Wichtigkeit hervor, möglichst viele Bündnispartnerinnen und -Partner in der Welt und besonders auch in den demokratischen Ländern des globalen Südens zu finden, um eine regelbasierte internationale Ordnung zu verteidigen und das Völkerrecht zu stabilisieren. Dafür ist es zentral, aktive Diplomatie zu betreiben. Angesichts von Klimawandel und Ereignissen wie dem Erdbeben in der Türkei und Syrien oder der Corona-Pandemie ist klar, dass wir globale Krisen vor uns haben, die nur dann zu bewältigen sind, wenn es solidarische Kooperation gibt. Es ist unabdingbar, mit den Ländern des Südens auf Augenhöhe umzugehen und strategische Allianzen einzugehen. Also: weg von neokolonialen Machtstrukturen, Fragen von sozialer Sicherung und Gesundheitsversorgung müssen in den Blick kommen. Rohstoffe dürfen nicht nur exportiert werden, vielmehr muss die Wertschöpfung auch vor Ort stattfinden. Wirtschafts- und Entwicklungspolitik habe immer auch eine sicherheitspolitische Dimension. Denn: „Wenn wir es nicht schaffen, dass genügend Menschen von einer regelbasierten Weltordnung profitieren, dann ist diese Ordnung auch nicht stabil.“
Weitere Problemfelder, die auf dem Podium Erwähnung fanden, waren eine notwendige Reform der UN, der fragwürdige Umgang mit Menschenrechten an den europäischen Außengrenzen, kritische Waffenlieferungen an autoritäre Staaten oder auch die deutsche Abhängigkeit beim primären Energiebedarf. Anstelle der Abhängigkeit von Russland ist, in Trittins Worten, nun eine „Diversifizierung von Autokratien“ getreten. Das Verhältnis von Import und Eigenproduktion müsse umgedreht werden – andernfalls ist das Maß an Sicherheit, das wir brauchen, nicht zu erreichen.
Die Abhängigkeit von China betrifft drei Sphären: Erstens Rohstoffe wie Seltene Erden; zweitens bestimmte Vor- oder Zwischenprodukte (beispielsweise kommen 95 Prozent unserer Solarmodule aus China – eine von der früheren deutschen Politik selbst verschuldete Monopolisierung) und nicht zuletzt die Marktabhängigkeit, etwa von Automobilunternehmen und Chemiekonzernen. Aktuell laufen Bemühungen, bestimmte strategische Industrien wieder nach Deutschland und Europa zurückzuholen. Dies ist Gegenstand einer weiteren Strategie, die derzeit im Auswärtigen Amt erarbeitet wird. Grundlegend für die China-Strategie ist der Abschied von der naiven Idee, dass Handel Wandel schaffen würde. Stattdessen ist realistisch anzuerkennen: China ist Partner, Wettbewerber – und nicht zuletzt auch systemischer Rivale mit seinem Modell einer autoritären, die Bürger*innen bevormundenden Gesellschaft, die das Gegenmodell zu unserer freiheitlich-demokratischen Lebensform darstellt.
Aus dem Publikum kamen vielfältige Anregungen und Fragen – etwa nach neuen Wegen in der Drogenpolitik vor dem Hintergrund von Drogenkriegen und Staatszerfall wie in Ländern Lateinamerikas. Eine Teilnehmerin plädierte dafür, Aktionen der letzten Generation nicht zu kriminalisieren. Ein weiterer Wortbeitrag zielte auf den Aspekt Innerer Sicherheit: Hackerangriffe legen die Bahn lahm, Schockanrufe mit gefälschten 110-Telefonnummern – all das beunruhigt die Bevölkerung ebenso wie der Ukraine-Krieg. Hier tue der Staat zu wenig. Warum legt die Außenpolitik, speziell grüne Außenpolitik, nicht stärker den Fokus auf diplomatische Bemühungen, fragte ein weiterer Zuhörer und bedauerte, dass die öffentliche Diskussion sich im Thema Waffen erschöpfe. Alexander Fonari vom Eine-Welt-Netzwerk, der im Publikum saß, lobte in seiner Wortmeldung, dass diese Veranstaltung ein Forum für Aspekte jenseits militärischer Fragen schafft. Bayern hat regionale Beziehungen, unter anderem mit Brasilien, Südafrika und Indien – deshalb sein Appell: Der Bayerische Landtag möge mit der Staatsregierung die Initiative ergreifen und einen Austausch mit den regionalen Partnern darüber suchen, wie man zu einer gerechteren globalen Entwicklung kommen kann.
Anknüpfend daran ergänzte Gastgeberin Anne Franke weitere Antworten auf die Frage, was Bayern im Kontext von Friedens- und Sicherheitspolitik konkret tun kann: Die wissenschaftliche Friedens- und Konfliktforschung muss gestärkt werden, nicht zuletzt, um zu einer qualifizierten Politikberatung zu kommen, an der dringender Bedarf besteht. Ein Netzwerk bayerischer Friedens- und Konfliktforscher hat sich auf Initiative der Grünen im Bayerischen Landtag formiert. Weitere Wirkungsfelder sind die Friedensbildung in den Schulen sowie Konfliktprävention und Konfliktbearbeitung in bayerischen Kommunen. Denn, so Anne Franke, Frieden beginnt im Kleinen und ist das tragende Fundament für Gesellschaft, Staat und nicht zuletzt auch für das friedliche Miteinander der Länder.