Energie | Klima
Söder stellt selbstgesetztes Klimaziel 2040 in Frage
15. November 2024
„Achtung, Fake-News-Alarm! Markus Söder feilt am nächsten Märchen“
Der bayerische Ministerpräsident behauptet, nur mit Hilfe von Kernkraft könne Bayern es schaffen, bis 2040 klimaneutral zu werden – und stellt damit überraschend sein selbstgesetztes Klimaziel in Frage. Was ist da los?
Er hat es getan. Markus Söder hat sein eigenes Klimaziel gerissen. Laut dem Ministerpräsidenten kann Bayern nicht bis 2040 klimaneutral werden, es sei denn, es gibt eine Rückkehr zur Kernenergie. Selbst das deutsche Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein, stellt Markus Söder in Frage:
„Wir können es nur mit Kernenergie schaffen. Mit Kernenergie: 2040. Ohne Kernenergie: 2045 – hoffentlich“, sagte er am Dienstag nach der Haushaltsklausur der Staatsregierung in München.
Martin Stümpfig, Sprecher für Energie und Klimaschutz der Landtags-Grünen, sagt dazu:
„Klar reißt Markus Söder das Ziel. Er hat ja auch nichts dafür getan, um es überhaupt erreichen zu können. Bis heute hat Bayern keine verlässliche Wärmestrategie, es hat kein Mobilitätskonzept, es hat keine Roadmap für Klimaneutralität 2040. Da liegt es doch auf der Hand, dass man sein Ziel nicht erreicht.“
Geradezu absurd sei es, das Versagen der Staatsregierung mit dem Fehlen von Kernkraft zu begründen, so Martin Stümpfig.
„Die Erklärung ist absolut hanebüchen. Da kann man nur sagen: Achtung, Fake-News-Alarm! Markus Söder feilt am nächsten Märchen.“
Jeder wisse, dass in Bayern die Treibhausgase nicht im Strombereich, sondern im Wärmebereich und durch den Verkehr entstehen.
„Da würde uns Kernkraft keinen Schritt weiterhelfen. Atomstrom wurde schon letztes Jahr vollständig durch klimaneutralen Strom aus Wind und Sonne ersetzt“, so Martin Stümpfig. „Anstatt so absurde Behauptungen aufzustellen, sollte Markus Söder erklären, auf welchen Zahlen seine Berechnung zur Klimaneutralität basiert und was er als Hauptursache dafür sieht.“
Die Landtags-Grünen haben dazu eine Schriftliche Anfrage an die Staatsregierung gestellt.
Die Grünen sehen beim Thema Klimaneutralität das größte Versäumnis der Söder-Regierung in der Wärmepolitik. In diesem Bereich kann und muss der CO2-Ausstoß deutlich reduziert werden. Aktuell macht er ein Drittel des bayerischen Treibhausausstoßes aus. Doch bis heute hat Bayern kein eigenes Wärmeplanungsgesetz, wozu es durch den Bund vor bereits einem Jahr verpflichtet wurde. Auch die jüngst von Energie- und Wirtschaftsminister Aiwanger veröffentlichte Bayerische Wärmestrategie (als Teil des „Energieplans Bayern 2040“) ist auffällig dünn geraten. Die Landtags-Grünen haben daher in einem Antrags-Paket mehrere Maßnahmen zusammengeführt, die zu einer erfolgreichen Umsetzung der Wärmewende in Bayern nötig sind. Die Anträge werden im nächsten Wirtschaftsausschuss im Landtag beraten und abgestimmt. Hier finden Sie die Anträge und die Einschätzung der Landtags-Grünen zur Wärmestrategie der Söder-Regierung.
Das Fazit der Landtags-Grünen:
„Die Atomkraft dient Markus Söder als billige Ausrede. Er will damit von seinem eigenen Versagen ablenken. Söder steht jetzt vor einem gewaltigen Problem: Seine Show-Regierung ist in Sachen Klimaschutz an einem bedeutenden Kipp-Punkt angelangt“, sagt Martin Stümpfig. Jetzt gebe es kein Aufschieben oder Ablenken mehr, sondern nur noch ein Entweder/Oder. Die Söder-Regierung suche jetzt krampfhaft einen Schuldigen. „Und tatsächlich stellt sich hier die Frage: Macht die Söder-Regierung eigentlich seit Jahren einen krassen Fehler nach dem anderen – oder ist es Betrug? Und es gab von Anfang an nie die Absicht, die selbstgesetzten Klimaziele zu erreichen?“
Als „blanken Hohn“ bezeichnet Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen, Söders Kehrtwende.
„Dass Markus Söder sich das traut – nach einem Jahr, in dem allein in Bayern Milliardenschäden durch den Klimawandel entstanden sind, in dem es mehrmals massives Hochwasser gab, in dem Menschen ertrunken sind, durch das so viele ihr ganzes Hab und Gut verloren haben – das macht mich fassungslos. Ist das dem Ministerpräsidenten egal? Wie katastrophal ist das, in einem Jahr mit so vielen Schäden das Klimaziel in Frage zu stellen? Diese klimabedingten Extremwetter nehmen stetig zu! Das weiß auch Markus Söder. Er hat den Kampf gegen die Erderhitzung schon aufgegeben, bevor er überhaupt angefangen hat. Damit werden immer öfter Menschen von Hochwasser und Hitze massiv geschädigt“, so Katharina Schulze. „In Aserbaidschan laufen die historisch schwierigsten Verhandlungen der Weltklimakonferenz, das 1,5-Grad-Ziel wird dieses Jahr erstmalig überschritten, die Schäden nehmen exponentiell zu, der Klimaschutz steht am Scheidepunkt – und Markus Söder verkündet, dass er die Klimaziele aufgibt. Das ist absolut fatal!“
Hintergrund:
Im Jahr 2021 hatte Markus Söder angesichts von Hochwasserkatastrophen einen „Klimaruck“ angekündigt, sonst drohten „dramatische“ Folgen. Er legte fest, Bayern soll bis 2040 klimaneutral sein (fünf Jahre früher als der Rest von Deutschland, Markus Söder hatte es hier eilig damals – der Bund hat als Ziel das Jahr 2045 ausgegeben). Um den Ausstoß von Treibhausgasen in Bayern auf Null zu senken, sollte ein „ambitioniertes Klimaprogramm“ geschaffen werden. Allerdings: Nicht nur wurden bis heute kaum Maßnahmen umgesetzt, auch die Ziele blieben überraschend vage.
Anders als Markus Söder es jetzt behauptet, hat das Erreichen der Klimaziele nichts mit Atomkraft zu tun. Zum einen sind die Sektoren Wärme und Verkehr die größten CO2-Treiber. Zum anderen haben die Erneuerbaren Energien durch den starken bundesweiten Ausbau die AKW-Strommenge schon im Jahr des Ausstiegs überkompensiert. Der Anteil des Stroms aus Atomkraft betrug im Jahr 2023 nur drei Prozent, im Jahr 2022 lag der Anteil im bayerischen Stromverbrauch bei nur zehn Prozent. Auch die Kohleverstromung hat Rekord-Negativwerte in Deutschland. Was also sollte ein Wechsel zur Kernkraft an der Erreichbarkeit der Klimaziele ändern (davon abgesehen, dass eine Wiederaufnahme des Betriebs noch bestehender AKW ohnehin gar nicht möglich ist)? Stattdessen ist es nötig, die Wärmeplanung in Bayern voranzubringen. Auch die Städte und Gemeinden brauchen dringend Planungssicherheit, denn sie spielen bei der Wärmewende eine zentrale Rolle, und sie müssen Investitionsentscheidungen in Milliardenhöhe treffen.