Energie | Klima
Staatsregierung verstrickt sich in der Energie- und Klimapolitik in Widersprüche
15. November 2024
„Söder-Regierung bindet Leuten einen Bären auf“
In Sachen Energie- und Klimapolitik verstrickt sich die Staatsregierung in immer mehr Widersprüche.
„Nach dem gescheiterten Möchtegern-Kanzler Söder ist Möchtegern-Bundeswirtschaftsminister Aiwanger jetzt der nächste, der sich im Rauch der eigenen Nebelkerzen verirrt“, sagt Martin Stümpfig, Sprecher für Energie und Klimaschutz der Grünen-Fraktion.
„Relativ geräuschlos, dafür mit enormen Folgen Bayern, hat sich die Staatsregierung von ihrem Klimaziel verabschiedet. Mit einer hanebüchenen Begründung“, sagt Martin Stümpfig. „Markus Söder erzählt den Menschen Märchen!“
Hintergrund: Ministerpräsident Söder erklärte vergangene Woche, Bayern könne ohne eine Rückkehr zur Kernenergie nicht bis 2040 klimaneutral werden. Selbst das deutsche Zieljahr 2045 stellte er in Frage und behauptete, der Rückbau des Kernkraftwerks Isar 2 sei reversibel.
Dazu Martin Stümpfig:
„Dass Bayerns Klimaneutralität von der Kernkraft abhängen soll, ist blanker Unsinn. Die Treibhausgase entstehen in Bayern nicht im Strombereich, sondern vor allem bei der Wärme und im Verkehr. Das weiß auch ein Markus Söder.“
Mit Blick auf die Forderung des Ministerpräsidenten nach dem Rückbau von Isar 2 und den gestrigen Aussagen von Energieminister Aiwanger nach der Kabinett-Sitzung sagt Martin Stümpfig:
„Nach dem gescheiterten Möchtegern-Kanzler Söder ist Möchtegern-Bundeswirtschaftsminister Aiwanger jetzt der nächste, der sich im Rauch der eigenen Nebelkerzen verirrt: Selbst eine Unions-geführte Bundesregierung wird niemals einen Kraftwerkbetreiber gegen seinen Willen zwingen können, milliardenschwere Investitionen zur Reaktivierung eines uralten Kernkraftwerks zu tätigen. Aber im Wahlkampfmodus binden CSU und Freie Wähler den Leuten halt gern mal einen Bären auf.“
Hintergrund: Einem Medienbericht zufolge hat der bisherige Isar-2-Betreiber Preussen Elektra der Aussage Markus Söders zur Zukunft von Isar 2 widersprochen: Eine Wiederinbetriebnahme sei kein Thema.*
Darüber hinaus weist Martin Stümpfig darauf hin, dass im gesamten „Energieplan Bayern 2040“ nirgends die Behauptung Markus Söders erwähnt ist, dass Bayern ohne Kernkraft nicht klimaneutral werden könne bis zum Jahr 2040.
„Der ,Energieplan Bayern 2040“, der eigentlich den Weg Bayerns hin zur Klimaneutralität aufzeigen und festlegen soll, ist noch viel lückenhafter als wir erwartet haben. Das ist wirklich dramatisch. Und es wirft die Frage auf: Macht die Söder-Regierung hier wirklich einen krassen Fehler nach dem anderen – oder war es geplant? Hatte die Staatsregierung vielleicht nie vor, das selbstgesetzte Klimaziel zu erreichen, sondern es war alles nur eine PR-Show?“
Bis heute habe Bayern keine verlässliche Wärmestrategie, kein Mobilitätskonzept, keine Roadmap für Klimaneutralität 2040.
„Da liegt es doch auf der Hand, dass man sein Ziel nicht erreicht.“
Eine zentrale Rolle auf dem Weg zur Klimaneutralität müsste insbesondere – eigentlich – die Bayerische Wärmestrategie spielen: In diesem Bereich kann und muss der CO2-Ausstoß künftig deutlich reduziert werden. Aktuell macht er ein Drittel des bayerischen Treibhausausstoßes aus. Doch Bayern hat kein eigenes Wärmeplanungsgesetz, obwohl es vor einem Jahr durch den Bund dazu verpflichtet wurde. Martin Stümpfig:
„Die Atomkraft dient Markus Söder jetzt als billige Ausrede. Er will damit von seinem eigenen Versagen ablenken.“
Als „blanken Hohn“ bezeichnet Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen, Markus Söders Kehrtwende beim Klimaschutz.
„Dass er sich das traut – nach einem Jahr, in dem allein in Bayern Milliardenschäden durch den Klimawandel entstanden sind, in dem es mehrmals massives Hochwasser gab, in dem Menschen ertrunken sind, durch das so viele ihr ganzes Hab und Gut verloren haben – das macht mich fassungslos. Ist das dem Ministerpräsidenten egal? Wie katastrophal ist das, in einem Jahr mit so vielen Schäden das Klimaziel in Frage zu stellen? Diese klimabedingten Extremwetter nehmen stetig zu!“
Der Ministerpräsident habe den Kampf gegen die Erderhitzung schon aufgegeben, bevor er überhaupt angefangen hat. Damit würden immer öfter Menschen von Hochwasser und Hitze massiv geschädigt, so Katharina Schulze.
„In Aserbaidschan laufen die historisch schwierigsten Verhandlungen der Weltklimakonferenz, das 1,5-Grad-Ziel wird dieses Jahr erstmalig überschritten, die Schäden nehmen exponentiell zu, der Klimaschutz steht am Scheidepunkt – und Markus Söder verkündet, dass er die Klimaziele aufgibt. Das ist absolut fatal!“
Hinweis: Wie eine erfolgreiche und rasche Energie- und Wärmewende – und damit auch Klimaneutralität – in Bayern gelingen kann, haben die Landtags-Grünen in mehreren Anträgen zusammengeführt. Die Anträge zur Wärmestrategie sollen Anfang Dezember im Wirtschaftsausschuss des Landtags beraten und abgestimmt werden.
Hier finden Sie die Anträge sowie die Einschätzung zur Wärmestrategie der Staatsregierung: Bayerns Wärmestrategie – die Zeit drängt | Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Bayern
Hintergrund:
Im Jahr 2021 hatte Markus Söder angesichts von Hochwasserkatastrophen einen „Klimaruck“ angekündigt, sonst drohten „dramatische“ Folgen. Er legte fest, Bayern soll bis 2040 klimaneutral sein (fünf Jahre früher als der Bund, der als Ziel das Jahr 2045 ausgegeben hat). Um den Ausstoß von Treibhausgasen in Bayern auf null zu senken, sollte ein „ambitioniertes Klimaprogramm“ geschaffen werden. Allerdings: Bis heute wurden kaum Maßnahmen umgesetzt.
Anders als Markus Söder es jetzt behauptet, hat das Erreichen der Klimaziele nichts mit Atomkraft zu tun. Zum einen sind die Sektoren Wärme und Verkehr die größten CO2-Treiber (zu jeweils rund einem Drittel). Zum anderen haben die Erneuerbaren Energien durch den starken bundesweiten Ausbau die AKW-Strommenge schon im Jahr des Ausstiegs überkompensiert. Der Anteil des Stroms aus Atomkraft betrug im Jahr 2023 nur drei Prozent, im Jahr 2022 lag der Anteil im bayerischen Stromverbrauch bei nur zehn Prozent. Auch die Kohleverstromung hat Rekord-Negativwerte in Deutschland. Was also sollte ein Wechsel zur Kernkraft an der Erreichbarkeit der Klimaziele ändern?
Warum eine Wiederinbetriebnahme von Isar 2 nicht möglich ist:
Der Rückbau ist in vollem Gange, eine Wiederherstellung wäre aufwendig und teuer, geschätzte Dauer: drei bis vier Jahre. Die Bestellung von Brennelementen würde ein Jahr oder länger dauern. Experten schätzen die Kosten auf bis zu eine Milliarde Euro und mehr.
Außerdem haben sich die heutigen Sicherheitsstandards geändert – es muss damit gerechnet werden, dass Isar 2, so wie es bisher betrieben wurde, heute keine Genehmigung mehr bekäme.
Es gibt kein Personal für den Betrieb, denn AKW-Mitarbeiter*innen brauchen eine mehrere Jahre dauernde Spezial-Ausbildung – da aber seit langem klar war, dass es sich hier nicht um einen Beruf mit Zukunft handelt, gibt es keinen Nachwuchs. Und die bisherigen Mitarbeiter*innen sind im Ruhestand.
*Dann: Wer soll das AKW betreiben? Der bisherige Betreiber, Preussen Elektra, bestätigte gegenüber der dpa, dass eine Wiederinbetriebnahme definitiv vom Tisch ist und es für ihn kein Zurück mehr gibt. Sollte die Söder-Regierung einen neuen Betreiber suchen und jemanden finden, der bereit ist, die enormen technischen und ökonomischen Risiken auf sich zu nehmen, dann müsste im Gegenzug das Land Bayern unvorstellbar viel Geld in Form von Unterstützung und Subventionen für den Betreiber investieren – mit Geld der bayerischen Steuerzahlerinnen und -zahlern also.
Außerdem kann Bayern nicht einfach entscheiden, ein AKW wieder in Betrieb zu nehmen, dazu müsste erst das Atomgesetz geändert werden, wozu Markus Söder eine Mehrheit im Bundestag bräuchte – dazu müsste er jedoch erst einmal Friedrich Merz von seiner Idee überzeugen, der sich hierzu bereits skeptisch gezeigt hat.
Und zu guter Letzt stellt sich die Frage: Wohin mit dem Atommüll? In ein Endlager in Bayern?