Rechtsextremismus

Rechtsextremismus: ein gesamtgesellschaftliches Problem

Wir stellen eine Studie zu rechtsextremen Einstellungen in Bayern vor. Der Kampf gegen Rechtsextremismus darf sich nicht auf repressive Maßnahmen beschränken – so wichtig diese auch sind. Mindestens ebenso wichtig ist es, Strategien zu entwickeln, um einer antidemokratischen Kultur, (Alltags-) Rassismus und Ungleichwertigkeitsvorstellungen in Bayern – insbesondere präventiv – entgegenzuwirken.

07. November 2014

Die CSU-Regierung hat den Ernst der Lage bis heute nicht erkannt und versteht Rechtsextremismus ausschließlich als ein sicherheitspolitisches Problem einer kleinen radikalen Minderheit am Rand der Gesellschaft. Entsprechend bescheiden sehen auch die Mittel zur Bekämpfung dieses Problems aus. Präventive Angebote sind seit Jahren unterfinanziert, die vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen werden bei ihrem vorbildlichen Einsatz für eine offene Gesellschaft im Regen stehen gelassen.
Unsere Demokratie ist aber nicht erst dann gefährdet, wenn Gewalttaten von Neonazis öffentliches Aufsehen erregen. Auch rechtsextreme Einstellungen in der sogenannten "Mitte der Gesellschaft" gefährden das demokratische Klima. Diese Einsicht fehlt im Regierungshandeln. Dabei gilt insbesondere im Kampf gegen Rechtsextremismus die Regel: Die richtige Diagnose ist die Voraussetzung für eine wirkungsvolle Therapie.

Dass sich rechtsextreme Einstellungen eben nicht nur am Rand der Gesellschaft wiederfinden  – wie es die vorherrschende "Extremismustheorie" suggeriert – zeigen wissenschaftliche Studien seit vielen Jahren. Seit 2002 untersucht die Arbeitsgruppe der "Mitte"-Studien unter Leitung von Privatdozent Oliver Decker und Professor Elmar Brähler an der Universität Leipzig die Verbreitung rechtsextremer Einstellung in Deutschland. Auf Grundlage von repräsentativen Erhebungen wird so die politische Stimmung in Deutschland dokumentiert. Trotz der beunruhigenden Ergebnisse dieser Studien vermissen wir insbesondere in Bayern eine Kultur der ehrlichen und öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus.

Die nun von PD Dr. Oliver Decker vorgelegte "Mitte"-Studie für Bayern zeigt, wie wichtig diese Auseinandersetzung ist. Sie liefert für Bayern genau jene Diagnose, die einer wirkungsvollen Strategie gegen Rechtsextremismus zugrunde liegen muss: Dass das Phänomen Rechtsextremismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, das wir nur mit ressortübergreifenden Maßnahmen und mit der Stärkung bzw. Einbeziehung der Zivilgesellschaft erfolgreich bekämpfen können.

Untersucht wurden rechtsextreme Einstellungen in sechs Dimensionen:

1) Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur,
2) Chauvinismus,
3) Ausländerfeindlichkeit,
4) Antisemitismus,
5) Sozialdarwinismus und
6) Verharmlosung des Nationalsozialismus.

Mit dem Ergebnis, dass insbesondere die Aussagen mit ausländerfeindlichem Inhalt bei den Befragten große Akzeptanz fanden:
"Die Ausländerfeindlichkeit ist im gesamten Bundesgebiet die Dimension, die die höchsten Zustimmungswerte erfährt. Im Vergleich zum westlichen Bundesgebiet (jeder Fünfte) fällt das Ergebnis für Bayern aber noch drastischer aus: Mit 33,1% stimmt jeder Dritte den Aussagen mit ausländerfeindlichem Inhalt zu. Damit liegt die Ausländerfeindlichkeit in Bayern sogar noch höher als in den ostdeutschen Bundesländern (30,5%)." (S. 9)

Unter den Gruppen, die besonders von Abwertung betroffen sind, befinden sich – laut Studie – insbesondere Muslime, Asylsuchende sowie Sinti und Roma. So stimmen 46 % der bayerischen Befragten der These, "Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden", zu (S. 15). Mehr als jede/-r Zweite (53,7 %) hätte "Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten" (S. 15).


Und auch antisemitische Ressentiments sind weiterhin weit verbreitet, was unter anderem in der Zustimmungsrate zur These „Juden haben zu viel Kontrolle und Einfluss an der Wall Street“ zum Ausdruck kommt (39,1 %, S. 14).

Die Autoren der Studie kommen zu dem Fazit, dass die rechtsextreme Einstellung in Bayern „von vielen Menschen“ geteilt werde: „Teilweise ist die rechtsextreme Einstellung ausgeprägter als in den zum Vergleich herangezogenen westdeutschen Bundesländern, teilweise findet sie auch mehr Zustimmung als in Ostdeutschland.“ (S. 16)

Die Konsequenz dieses beunruhigenden Fazits muss eine komplette Neuausrichtung der Maßnahmen gegen Rechtsextremismus sein. Wir müssen uns auch in Bayern endlich von der vorherrschenden „Extremismustheorie“ verabschieden. Wie von uns seit vielen Jahren gefordert, muss das „Bayerische Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus“ grundlegend überarbeitet werden, um dem Problem auch wirklich gerecht zu werden.

Konkret fordern wir:

  • die Einbeziehung der Wissenschaft und Zivilgesellschaft in die Evaluierung und Überarbeitung des „Handlungskonzepts“;
  • die Einsicht, dass die Bekämpfung von Rechtsextremismus eine Querschnittsaufgabe ist und das Konzept daher ressortübergreifend formuliert und umgesetzt werden muss;
  • ein neu aufgelegtes Förder- und Aktionsprogramm zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren;
  • mehr Geld für schulische und außerschulische Projekte im Bereich der Demokratiebildung;
  • eine eigenständige Opferberatung für Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt und Diskriminierung.


Rechtsextreme Einstellungen in Bayern: Ergebnisse der Mitte-Studie der Universität Leipzig (pdf-Download)