Demokratie | Gegen Rechts
Lagebild Rechtsextremismus
Jahr für Jahr steigt die Zahl rechter Straf- und Gewalttaten. Hier die neuesten Zahlen zur Gefahr von Rechts
28. April 2021
1. Die wichtigsten Zahlen und Fakten zu rechten Straf- und Gewalttaten:
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Rechtsextreme Straftaten steigen um 16 Prozent auf Rekordniveau
- Im Jahr 2020 ist die Zahl der rechtsextremen Straf- und Gewalttaten insgesamt auf ein Rekordniveau von 2.455 Delikten angestiegen. Die Zahl der rechten Straftaten ohne Gewaltdelikte liegt mit 2.372 angezeigten Taten ebenfalls höher als in den Jahren 2015 und 2016, in denen es vor dem Hintergrund der Flüchtlingsdebatte zahlreiche Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte gegeben hat. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet dies eine Steigerung der rechten Straftaten um 16 Prozent. Bereits 2019 hat es einen deutlichen Anstieg um rund 20 Prozent auf 2.042 Straftaten gegeben. Insgesamt sind die rechtsextremen Straf- und Gewalttaten in den beiden letzten Jahren also um über ein Drittel gestiegen. Eine sehr alarmierende Entwicklung!
Rechtsextreme Gewalttaten steigen um ein Drittel
- Die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten ist im vergangenen Jahr auf 81 Gewaltdelikte um ein Drittel gestiegen. Insgesamt wurden 103 Menschen in Bayern Opfer rechter Gewalt. Hauptsächlich handelt es sich um Körperverletzungsdelikte, aber auch Raub, Brandstiftung und Erpressung gehören zu den registrierten Taten.
Hasskriminalität verdoppelt sich den vergangenen zwei Jahren
- Besonders stark angestiegen sind die Fallzahlen im Bereich der Hasskriminalität. Sie haben sich mit 1.328 Delikten in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt. Zu den Straftaten gehören Bedrohungen, Beleidigungen, Verleumdungen, die Androhung von Straftaten, Volksverhetzung, die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigungs- und Körperverletzungsdelikte. Die allermeisten Fälle werden der politisch motivierten Kriminalität rechts zugeordnet. Es ist zu vermuten, dass der enorme Anstieg der Fallzahlen im Jahr 2020 auch ursächlich mit den Corona-Protesten zusammenhängt.
Rassistische Straftaten auf hohem Niveau
- In Bayern gab es im Jahr 2020 477 rassistisch motivierte Straf- und Gewalttaten. Darunter fallen 46 Gewaltdelikte wie Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung oder Brandstiftung. Rund 100 Angriffe gab es auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte. 132 Straftaten waren islamfeindlich motiviert. Bei den Tätern handelt es sich zu 98 Prozent um Rechtsextremisten.
Antisemitische Straftaten auf höchstem Stand seit Beginn der Erfassung
- Auch die Zahl der antisemitischen Straf- und Gewalttaten ist mit 353 angezeigten Delikten auf ein neues Rekordniveau gestiegen. Allein in den beiden letzten Jahren sind die antisemitischen Straftaten damit um 60 Prozent gestiegen. Bei den 353 antisemitischen Straftaten handelt es sich in neun Fällen um Gewaltdelikte wie (gefährliche) Körperverletzung oder tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte. Die Taten werden zu 96 Prozent dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet.
Angriffe auf Politiker*innen haben sich vervierfacht
- Mit 703 Delikten haben sich die Straf- und Gewalttaten gegen Amts- und Mandatsträger*innen im vergangenen Jahr sogar vervierfacht. Darunter fallen auch 40 Gewaltdelikte. Ein Großteil dieser Taten – insgesamt 543 Delikte- gelten als politisch nicht zuordbar. Hier ist jedoch davon auszugehen, dass viele Straftaten aus dem Bereich der Szene der Corona-Leugner*innen stammen. Zudem werden 97 Straftaten dem Spektrum der ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ zugeordnet. Damit haben Hass und Hetze gegen Politiker*innen ein demokratiegefährdendes Ausmaß angenommen.
Rechtsextreme Szene wächst und formiert sich neu
- In Bayern ist die Zahl der von den Sicherheitsbehörden registrierten Rechtsextremisten 2020 um 7,7 Prozent auf 2.770 Personen gewachsen. Die Szene hat sich dabei stark verändert. 1.400 Personen werden der unstrukturierten Szene zugerechnet, die sich jenseits der traditionellen Parteien und Organisationen hauptsächlich über soziale Medien, Foren und Imageboards im Internet vernetzt. Das Potenzial der gewaltbereiten Rechtsextremisten ist nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden auf 1.035 Personen leicht angewachsen. Allerdings dürften hier viele Personen, die sich außerhalb der traditionellen rechtsextremen Parteien und Organisationen radikalisiert haben, noch gar nicht erfasst sein.
Fast 100 Rechtsextreme aus Bayern sind untergetaucht
- In Bayern wurden zum Stichtag 31.12.2020 97 Rechtsextremisten per Haftbefehl gesucht. Insgesamt bestanden gegen diese Personen 114 offene Haftbefehle. Damit hat sich die Zahl der untergetauchten Rechtsextremsten gegenüber dem vergangenen Jahr noch einmal leicht erhöht. Die Entwicklung ist dabei sehr dynamisch: so konnten 2020 46 Haftbefehle vollstreckt werden, während gleichzeitig 95 Haftbefehle neu erlassen wurden. Die hohe Zahl an Haftbefehlen zeigt das große kriminelle Potenzial der rechten Szene! Die Aufdeckung des NSU zeugt welche Gefahren von untergetauchten Neonazis ausgehen können. Hier muss der Fahndungsdruck deutlich erhöht werden.
2. Gefährdungslage durch rechten Terror:
13 Menschen durch rechte Terroristen ermordet
- In den vergangenen beiden Jahren wurden allein 13 Menschen bei den rechtsextremen Attentaten in Kassel, Halle und Hanau ermordet und zehn weitere Menschen zum Teil schwer verletzt. Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde durch einen seit Jahrzehnten aktiven Neonazi regelrecht exekutiert. Der Täter von Halle wollte in einer Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur ein Massaker anrichten und hat, nachdem er damit scheiterte, willkürlich zwei Menschen erschossen und weitere schwer verletzt. Der Täter von Hanau ermordete aus rassistischen Motiven neun Besucher*innen von Shisha Bars und danach noch seine Mutter. Damit hat die Bedrohung durch rechten Terror ein neues Niveau erreicht.
Terrorgruppe um Augsburger Werner S. wollte in Moscheen Blutbad anrichten
- Bayern war das Zentrum einer rechten Terrorgruppe um den Augsburger Werner S., die im Februar 2020 durch die Verhaftung von 13 Personen zerschlagen wurden. Die Terrorgruppe, die ihr Personal hauptsächlich aus rechten Bürgerwehren rekrutierte, wollte Anschläge auf Moscheen und die Ermordung von Abgeordneten – u.a. die grünen MdB‘s Toni Hofreiter und den Bundesvorsitzenden Robert Habeck – ein Klima des Bürgerkriegs provozieren. Im April hat der Prozess gegen zwölf Mitglieder der Gruppe vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht begonnen.
Mitglied der Feuerkrieg Division plante Anschläge auf Moscheen und Synagogen
- Der Anführer der deutschen Sektion der neuen international vernetzten Terrorgruppe ‚Feuerkrieg Division‘, Fabian D., wurde im Februar 2020 im oberpfälzischen Cham verhaftet. Er plante ebenfalls Anschläge auf Moscheen oder Synagogen und war dabei sich dafür die notwendigen Waffen zu beschaffen. Im Dezember wurde er vom Landgericht Nürnberg wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu einer Haftstrafe verurteilt.
Aktivistin des ‚Dritten Wegs‘ plant Anschläge auf Politiker und Polizisten
- Im September wurde Susanne G., eine bekannte Aktivistin der Neonazipartei ‚Der Dritte Weg‘ aus dem Raum Nürnberg, wegen der Vorbereitung von Anschlägen auf Moscheegemeinden, regionale Politiker und Polizeibeamte verhaftet. Sie hat die Wohnungen und Fahrzeuge eines Landrats und mehrerer Polizeibeamter aus der Region ausgespäht und sich bereits Materialien zum Bau von Brand- und Sprengsätzen beschafft. Susanne G. ist bereits durch eine ganze Reihe von Drohbriefen, die sie zwischen Dezember 2019 und März 2020 versandt hat, den Sicherheitsbehörden aufgefallen. Den Briefen waren scharfe Patronen beigelegt.
Sicherheitsbehörden überwachen nur fünf Rechtsextremisten als ‚Gefährder‘
- Trotz der zahlreichen Verhaftungen im Zusammenhang mit rechten Terrorgruppen, Waffenschmuggel in rechtsextreme Kreise und der mörderischen Anschläge der vergangenen Zeit werden immer noch nur fünf Personen in Bayern von den zuständigen Behörden als ‚rechtsextreme Gefährder‘ eingestuft und mit besonderen Überwachungsmaßnahmen belegt. Die Zahl der rechtsextremen Gefährder ist zwar im vergangenen Jahr geringfügig von drei auf fünf Personen erhöht worden. Bei den beiden Neuzugängen handelt es sich allerdings vermutlich um Fabian D. und Susanne G. die jeweils erst nach ihrer Verhaftung zu Gefährdern erklärt wurden. Von den in Bayern im vergangenen Jahr wegen rechter Gewalttaten verhafteten Personen wurde Niemand bereits vorher als Gefährder eingestuft und beobachtet. Im Unterschied zum militanten Islamismus gibt es hier immer noch große Analyse- und Erkenntnisdefizite der Sicherheitsbehörden. Wir fordern deshalb ein grundsätzliche Neubewertung des rechtsextremen Gefahrenpotenzials, eine systematische Überprüfung aller Verdachtsfälle und die Anpassung der Zahl der von den Sicherheitsbehörden als ‚rechtsextreme Gefährder‘ bzw. ‚relevante Personen‘ registrierten Neonazis.
3. Bewaffnung der rechtsextremen Szene:
Zahl der Rechtsextremisten mit Waffenerlaubnis steigt um ein Drittel
- Der Trend zur Bewaffnung in der rechtsextremen Szene hält auch im vergangenen Jahr an. Trotz neuer Verschärfungen im Waffenrecht, die u.a. bei der Beantragung einer Waffenerlaubnis eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz vorsehen, ist die Zahl der Rechtsextremisten mit einer Waffenerlaubnis im vergangenen Jahr wieder auf 120 Personen gestiegen. In diesem Jahr ist sowohl die Zahl der Inhaber einer Waffenbesitzkarte, die zum Besitz von scharfen Schusswaffen berechtigt, von 45 im Jahr 2019 auf 57 im Jahr 2020 gestiegen, als auch die Zahl der Inhaber eines kleinen Waffenscheins, der zum Besitz von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen berechtigt, von 52 im Jahr 2019 auf 71 in 2020. Hinzu kommen noch 19 Personen aus dem Spektrum der Reichsbürger und Selbstverwalter, die im Besitz einer Waffenerlaubnis sind. Dieser Trend ist äußerst bedenklich und widerspricht eindeutig der Intention des neuen Waffenrechts.
Mehrere Durchsuchungen wegen illegalem Waffenschmuggel mit Bezug zu Bayern
- Ein Großteil der Waffen in der rechten Szene wird allerdings auf illegalem Wege beschafft. So fanden allein im vergangenen Jahr drei größere Razzien in Süddeutschland und Österreich wegen internationalen Waffenschmuggels sowie Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffengesetz statt.
AfD-Mitglied als Kopf eines internationalen Waffenhändlerrings
- Im Juli 2020 wurden bei einer bundesweiten Durchsuchungswelle gegen 14 Beschuldigte zahlreiche Waffen beschlagnahmt. Den Beschuldigten werden Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz vorgehalten. Sie sollen vermittelt über einen kroatischen Waffenhändlerring Waffen in die deutsche rechte Szene geschmuggelt haben. Der Hauptbeschuldigte Alexander R., war Mitglied im Kreisverband München Land der AfD. Er gehörte zu den Anhängern des ‚Flügels‘ und wollte innerhalb der AfD eine ‚Patriotische Alternative‘ als rechtsextremes Sammelbecken aufbauen. Weitere Beteiligte kamen aus dem Umfeld von PEGIDA, der Reichsbürger-Bewegung und der NPD. Beteiligt waren auch die Mitarbeiterin eines bayerischen AfD-Bundestagsabgeordneten und ein Mitglied der Hells Angels.
Süddeutsche Wehrsportgruppe hortet Waffen und Kriegsgerät
- Im Oktober 2020 wurden dann bei einer weiteren Razzia gegen 19 Beschuldigte aus Bayern und Baden-Württemberg in großem Umfang Waffen, Militärfahrzeuge und weiteres Kriegsgerät beschlagnahmt. Die Betroffenen sollen mit einem umfangreichen militärischem Arsenal Wehrsportübungen veranstaltet haben.
Österreichische und bayerische Neonazis organisieren internationalen Waffenschmuggel
- Im Dezember 2020 wurden dann bei einer Durchsuchung gegen 7 Beschuldigte aus Österreich und Bayern gleich ganze Container voller Kriegswaffen, Sprengstoff und Munition beschlagnahmt. Der Kopf des Waffenhändlerrings ist Peter B., ein seit Jahrzehnten bekannter österreichischer Rechtsextremist mit guten Kontakten in die deutsche rechte Szene. Die Waffen und Munition waren nach seiner Aussage zur Ausrüstung einer deutschen rechtsextremen Miliz bestimmt.
Die rechtsextreme Szene rüstet weiter auf
- Die aufgedeckten internationalen Waffengeschäfte von Rechtsextremisten und die intensiven Verbindungen in Kreise der Organisierten Kriminalität stellen eine äußerst beunruhigende Entwicklung dar. Offensichtlich gibt es einen zunehmenden Trend zur Bewaffnung in unterschiedlichen Spektren der größer werdenden rechten Szene, die sich anscheinend systematisch auf bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen und einen möglichen Tag X der Machtübernahme vorbereiten.
Die rechte Szene vollständig entwaffnen
- Wir fordern weiterhin die vollständige Entwaffnung der rechtsextremen Szene. Gewaltbereite Neonazis dürfen nicht legal in den Besitz potenziell tödlicher Waffen gelangen. Bekannten Rechtsextremisten mit einer Waffenerlaubnis muss diese umgehend wieder entzogen werden. Bei Neuanträgen muss die Erteilung einer Waffenerlaubnis durch die zuständigen Waffenbehörden verweigert werden. Nach Entzug der Waffenerlaubnis sind alle legal erworbenen Waffen umgehend sicherzustellen.
4. Corona-Pandemie und Querdenker-Bewegung:
Mobilisierungsschub durch Corona-Proteste
- Die Corona-Pandemie hatte auch weitreichende Auswirkungen auf die rechtsextreme Szene. Aufgrund der pandemiebedingten Beschränkungen konnten zahlreiche Veranstaltungen, Demonstrationen und Konzerte nicht wie geplant stattfinden. Gleichzeitig haben die Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie einen enormen Mobilisierungsschub ausgelöst und eine heterogene soziale Bewegung hervorgebracht, die für antisemitische, rassistische und rechtsextreme Positionen und die Verbreitung von Verschwörungstheorien anschlussfähig ist. Das eröffnet auch organisierten Rechtsextremisten ganz neuen Handlungsoptionen und Interventionsmöglichkeiten.
Radikalisierung der Querdenker-Bewegung
- Die Corona-Proteste und die Querdenker-Bewegung haben sich in einem enormen Tempo radikalisiert. Aus der Kritik an einzelnen staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ist eine grundsätzliche Ablehnung des politischen Systems und seiner Repräsentanten geworden, denen jegliche Legitimität abgesprochen wird. Im versuchten Sturm auf den Berliner Reichstag im August 2020 hat sich diese Entwicklung symbolisch verdichtet.
Gewaltbereitschaft in der Bewegung steigt
- Im Kampf gegen eine angeblich schon vorhandene ‚Corona-Diktatur‘ wird von Teilen der Bewegung auf ein gewaltsames Vorgehen für legitim gehalten. In der Szene kursieren Aufrufe zu Sabotage- und Blockadeaktionen sowie zu Angriffen auf staatliche Institutionen und Politiker*innen. Größere Demonstrationen der Bewegung in Berlin, Leipzig, Dresden oder Stuttgart waren regelmäßig mit gewaltsamen Ausschreitungen gegen Polizeibeamt*innen, Pressevertreter*innen und Gegendemonstrant*innen verbunden.
Militante Aktionen auch in Bayern
- Auch in Bayern kam es im Zusammenhang mit den Protesten bereits zu einem gefährlichen Eingriff in den Schienenverkehr (Bahnstrecke zwischen Waigolshausen und Gemünden in Unterfranken) und zu versuchten Blockaden auf bayerischen Autobahnen.
Rechtsextreme an über 70 Protestveranstaltungen beteiligt
- Eine Abgrenzung von organisierten Rechtsextremisten, Reichsbürgern und demokratiefeindlichen Verschwörungstheoretikern hat es in der Protestszene von Anfang an nicht gegeben. So haben sich allein in Bayern im vergangenen Jahr an mindestens 72 Coronaprotest-Versammlungen Rechtsextremisten, Reichsbürger oder Anhänger von demokratiefeindlichen Verschwörungstheorien beteiligt bzw. die Kundgebungen oder Demonstrationen - wie in Deggendorf oder Cham - wurden gleich von Rechtsextremisten angemeldet oder geleitet.
Beobachtung demokratiefeindlicher Bestrebungen muss ausgeweitet werden
- Nach dem versuchten Sturm der ‚Querdenker-Bewegung‘ auf den Reichstag in Berlin und zahlreichen auch gewaltsamen Aktionen im Zusammenhang mit den Corona-Protesten bundesweit, hat im März 2021 auch der bayerische Verfassungsschutz Teile der Bewegung zum Beobachtungsobjekt erklärt. Der Verfassungsschutz beobachtet ‚sicherheitsgefährdende und demokratiefeindliche Bestrebungen‘ von Einzelpersonen und Gruppierungen, die innerhalb der heterogenen Bewegung aktiv sind. Wir fordern eine Beobachtung der gesamten Querdenkerbewegung durch die Sicherheitsbehörden nach dem Vorbild von Baden-Württemberg. Aufgrund des antisemitischen und rassistischen Charakters der in der Bewegung verbreiteten Verschwörungstheorien sollte geprüft werden, ob nicht große Teile der Protestszene als rechtsextreme Bestrebung eingeordnet werden müssen.
5. AfD und Junge Alternative – parlamentarische Vertretung der Neuen Rechten:
AfD als parlamentarischer Arm demokratiefeindlicher Bewegungen
- Mit der AfD haben demokratiefeindliche, rassistische und antisemitische, frauenfeindliche und homophobe Bewegungen und gesellschaftliche Strömungen in ganz Deutschland eine parlamentarische Vertretung gefunden, auch im Bayerischen Landtag.
AfD als Gesamtpartei in Bayern zum Beobachtungsobjekt erklären
- Seit Anfang des Jahres 2019 werden der völkische ‚Flügel‘ der AfD und die ‚Junge Alternative‘ als rechtsextreme Organisationen vom Verfassungsschutz im Bund und in Bayern beobachtet. Auf Bundesebene sollte die gesamte Partei vom ‚Prüf‘- zum ‚Verdachtsfall‘ hochgestuft und damit auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden. Die Umsetzung scheitert bisher an einer Klage der AfD vor dem Kölner Verwaltungsgericht. Mittlerweile haben sich etliche Bundesländer dazu entschlossen, die AfD im Alleingang zum Beobachtungsobjekt der Sicherheitsbehörden zu erklären. Allerdings konnte sich Bayern – im Gegensatz zu diesen Bundesländern - bisher nicht zu einer Beobachtung der gesamten Partei durchringen und wartet zunächst eine Entscheidung auf Bundesebene ab.
Junge Alternative ist rechtsextrem
- Seit Januar 2019 betrifft die Beobachtung auch die gesamte Jugendorganisation ‚Junge Alternative‘ (JA). Die JA Bayern hat eine große politische Nähe zum völkisch-nationalistischen ‚Flügel‘ der Partei. Mit Björn Höcke und Andreas Kalbitz haben prominente Vertreter des ‚Flügels‘ auf Veranstaltungen der JA in Bayern gesprochen. Sie hat sich mit einer eigenen Kampagne gegen den Parteiausschluss von Andreas Kalbitz, einem führenden Vertreter der ‚Flügels‘, gewandt. Bei den Kommunalwahlen im März 2020 konnten Vertreter der JA zwei Bezirkstagsmandate, vier Kreistags- und fünf Gemeinderatssitze erringen.
Der ‚Flügel‘ hat sich nur formal aufgelöst
- Der völkisch-nationale ‚Flügel‘ der AfD unterliegt seit Januar 2019 ebenfalls der Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Allerdings wurden dem im April 2020 nur formal aufgelösten ‚Flügel‘ in Bayern durch den Verfassungsschutz nur 130 Personen zugerechnet, während das Bundesamt von bundesweit 7.000 Mitgliedern spricht. Die Zahl für Bayern ist mit Sicherheit deutlich zu niedrig angesetzt.
‚Flügel‘ dominiert Landtagsfraktion in Bayern
- Der ‚Flügel‘ dominiert die Landtagsfraktion der AfD und konnte sich nach schweren internen Verwerfungen im September 2019 mit der Fraktionsvorsitzenden Katrin Ebner-Steiner und dem parlamentarischen Geschäftsführer Christoph Maier bei den Vorstandswahlen der Fraktion auf ganzer Linie durchsetzen. Im Juni 2020, mitten im parteiinternen Machtkampf um den Parteiausschluss des Brandenburger AfD-Fraktionschefs Andreas Kalbitz, hat die AfD-Fraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner Björn Höcke demonstrativ in den bayerischen Landtag eingeladen und sich so öffentlichkeitswirksam mit dem ‚Flügel‘ solidarisiert.
Flügel auch im Landesvorstand prominent vertreten
- Auch im Landesvorstand der bayerischen AfD spielt der ‚Flügel‘ eine wichtige Rolle und ist mit der Vorsitzenden Corinna Miazga und dem Bundestagsabgeordneten Hansjörg Müller dort prominent vertreten. Diese Dominanz innerhalb von Partei und Fraktion wäre mit einem Personenpotenzial von 130 Mitgliedern überhaupt nicht erklärbar.
Flügel beteiligt am Kommunalwahlkampf in Bayern
- Im bayerischen Kommunalwahlkampf spielten prominente Führungspersonen des ‚Flügels‘ eine wichtige Rolle. So plante die AfD Aichach-Friedberg im Januar einen Neujahrsempfang mit Björn Höcke und Andreas Kalbitz als Hauptrednern. Ein Funktionär der AfD in Aichach-Friedberg war auch der offizielle Ansprechpartner des ‚Flügels‘ in Bayern. Björn Höcke war ebenfalls der Stargast auf einer AfD-Wahlkampfveranstaltung am 14.02.2020 in Kulmbach. Dort relativierte eine Rednerin den Holocaust, indem sie den Umgang mit Holocaustleugnern mit der angeblichen Verfolgung sogenannter ‘Klimaleugner’ verglich.
6. Rechtsextremismus bedroht Innere Sicherheit - Politische Maßnahmen und Forderungen
Analysefähigkeit der Sicherheitsbehörden verbessern
- Die rechtsextreme Szene hat sich in den vergangenen Jahren noch einmal erheblich radikalisiert und die Gefährdungslage durch rechten Terrorismus ist so groß wie nie. Die Sicherheitsbehörden haben große Probleme mit der Aufklärung neuer Formen der Radikalisierung über das Internet, welche für die Täter der antisemitischen und rassistischen Anschläge in Halle und Hanau entscheidend war. Die Zahl der Personen denen schwere Gewalttaten bis hin zu tödlichen Anschlägen zugetraut werden müssen, hat sich dadurch noch einmal erheblich erhöht. Die rechtsextreme Szene organisiert sich zunehmend jenseits der klassischen Parteien und Organisationen über Online-Foren, Messangerdienste und Imageboards. Dieses unstrukturierte rechtsextreme Spektrum macht mit 1.400 Personen mittlerweile die Mehrzahl der Personen in der rechten Szene aus. Um Anschläge zu verhindern und potenzielle Gewalttäter rechtzeitig zu identifizieren, müssen die Sicherheitsbehörden ihren Fokus ausweiten und ihre Analysekapazitäten erheblich ausbauen.
Demokratiefeindliche Querdenker und Verschwörungstheoretiker beobachten
- Die breite Protestbewegung gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie hat in der rechten Szene und im Milieu der Reichsbürger einen enormen Mobilisierungsschub ausgelöst. Antisemitische und rassistische Verschwörungsideologien werden in Teilen der Gesellschaft anschlussfähig. In der Szene werden Aufrufe zu Sabotage- und Blockadeaktionen verbreitet und auch Gewalt gegen Sachen und Menschen mit dem Widerstand gegen eine angebliche Corona-Diktatur legitimiert. Hier reicht es nicht aus nur wenige Einzelpersonen in den Blick zu nehmen. Große Teile der Bewegung erkennen das demokratische politische System und die gewählten Repräsentanten nicht mehr an. Es müssen deshalb auch Organisationen wie die ‚Querdenker‘ und Anhänger von antidemokratischen Verschwörungsideologien wie QAnon unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden gestellt werden. Baden-Württemberg kann hier mit der Beobachtung von Querdenken 711 als Vorbild dienen.
Zahl der rechten Gefährder überprüfen und korrigieren
- Die Bedrohung durch rechten Terrorismus ist auch in Bayern akut. Mit der Gruppe S., der Verhaftung des Anführers der ‚Feuerkrieg Division‘ und der Verhaftung einer Aktivistin des ‚Dritten Wegs‘, wurden in Bayern allein im letzten Jahr drei Fälle von rechtem Terrorismus öffentlich. Trotzdem werden bisher von den Sicherheitsbehörden nur fünf Personen aus der rechtsextremen Szene als ‚Gefährder‘ und 17 ‚relevante Personen‘ als Unterstützer einer verstärkten Beobachtung der Sicherheitsbehörden unterzogen. Dies wird der realen Bedrohungslage in keine Weise gerecht. Zum Vergleich: im Bereich des Islamismus werden 80 Personen als ‚Gefährder‘ bzw. ‚relevante Personen‘ geführt. Wir fordern deshalb eine grundsätzliche Neubewertung des Gefährdungspotenzials durch rechtsextreme Gewalttaten und Attentate. Analog zum Islamismus brauchen wir auch im Rechtsextremismus ein neues System der individualisierten Risikobewertung und eine systematische Überprüfung aller Verdachtsfälle. Die Zahl der ‚Gefährder‘ muss darauf basierend korrigiert und an die tatsächliche Bedrohungslage angepasst werden.
Terroristische oder kriminelle Vereinigungen verfolgen
- Rechtsextreme Gewalttäter werden von den Behörden immer noch zu häufig als Einzeltäter verfolgt und mögliche Organisationszusammenhänge nicht gründlich aufgeklärt. Dies ist beispielsweise bei der ‚Feuerkrieg Division‘ oder den Ermittlungen gegen Susanne G. wegen ihrer Anschlagspläne der Fall. Terroristische oder kriminelle Vereinigungen aus dem rechtsextremen Spektrum werden oft zu spät erkannt und nicht konsequent genug verfolgt. Organisationen die rechten Terrorgruppen wie der Gruppe S. als Rekrutierungsbasis dienen müssen konsequent verboten werden. Dies betrifft beispielsweise die Bürgerwehren ‚Wodans Erben Germanien‘, ‚Soldiers of Odin‘ oder ‚Viking Security Germania‘.
Mit Haftbefehl gesuchte Rechtsextremisten aufspüren
- Allein aus Bayern haben sich zum Stichtag 30.12.2020 97 Personen aus der rechtsextremen Szene ihrer Verhaftung durch Untertauchen entzogen. Insgesamt gibt es 114 offene Haftbefehle gegen Rechtsextremisten aus Bayern. Eine so große Zahl abgetauchter und in der Illegalität lebender Neonazis ist brandgefährlich. Hier muss der polizeiliche Fahndungs- und Ermittlungsdruck erheblich verstärkt werden.
Aufklärungsquote bei Hasskriminalität verbessern
- Immer noch werden zu wenig rechte Straftäter*innen ermittelt und für ihre Taten auch tatsächlich verurteilt. Hier muss sowohl die Aufklärungs- als auch die Verurteilungsquote deutlich erhöht werden. Bei Fällen von Hasskriminalität sollten Einstellungen wegen Geringfügigkeit möglichst ausgeschlossen und Opfer nicht auf den Zivilklageweg verwiesen werden. Analog zu den Schwerpunktstaatsanwaltschaften für antisemitische Straftaten, sollten auch Schwerpunktstaatsanwaltschaften für rassistischen Taten eingerichtet werden.
Angriffe gegen Amts- und Mandatsträger verfolgen
- Bedrohungen und Angriffe gegen politische Amts- und Mandatsträger*innen sind ein Angriff auf die Demokratie und dürfen nicht geduldet oder toleriert werden. Hier muss die Anzeigenerstattung für Betroffene erleichtert und eine konsequente Strafverfolgung ermöglicht werden.
Rechtsextreme Szene entwaffnen
- Die Zahl der Rechtsextremisten mit einer Waffenerlaubnis ist im vergangenen Jahr trotz der Verschärfungen im Waffenrecht von 89 auf 120 Personen gestiegen. Dies betrifft nicht nur den ‚kleinen Waffenschein‘, sondern auch die Waffenbesitzkarte, die zum Erwerb von Schusswaffen berechtigt. Es darf nicht sein, dass gewaltbereite Rechtsextremisten auf legalem Weg in den Besitz potenziell tödlicher Waffen gelangen können. Wir fordern deshalb weiterhin die vollständige Entwaffnung der rechtsextremen Szene. Alle Waffenerlaubnisse müssen widerrufen und legal erworbene Waffen eingezogen werden.
Studie zum Dunkelfeld bei rechtsextremen und rassistischen Straftaten
- Opferberatungsstellen berichten von einer sehr hohen Dunkelziffer im Bereich der rassistischen, antisemitischen und rechtsextremen Straftaten. Viele Delikte werden erst gar nicht angezeigt oder nicht der politisch motivierten Kriminalität zugeordnet. Zur Aufhellung des Dunkelfeldes brauchen wir deshalb eine umfassende Bestandsaufnahme und wissenschaftliche Analyse der Entwicklung der rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Straf- und Gewalttaten in Bayern. Dabei sollten auch möglicherweise falsch zugeordnete Anschläge und Gewalttaten der Vergangenheit noch einmal neu überprüft werden. Dies ist die notwendige Grundlage für eine bessere statistische Erfassung dieser Delikte und für die Entwicklung von lageangepassten Gegenstrategien.
Opferberatung flächendeckend ausbauen
- Das Angebot an Anlauf- und Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer oder antisemitischer Gewalt in Bayern ist absolut unzureichend. Es gibt für ganz Bayern bisher nur zwei unabhängige Beratungsstellen, Before in München und B.U.D in Nürnberg. Wir fordern deshalb den bayernweiten Ausbau der unabhängigen und zivilgesellschaftlich getragenen Beratungsangebote. Neben einer zentralen Koordinierungsstelle brauchen wir für eine flächendeckende Versorgung mindestens drei bis vier weitere dezentrale Beratungsstellen in unterschiedlichen bayerischen Bezirken. Die Beratungsstellen müssen durch eine institutionelle Förderung des Freistaats langfristig abgesichert werden.
Monitoringstelle Rechtsextremismus und Rassismus in Bayern
- Zur besseren Erfassung und Dokumentation rechtsextremer und rassistischer Übergriffe und Straftaten schlagen wir außerdem die Einrichtung einer ‚Recherche- und Monitoringstelle Rechtsextremismus und Rassismus in Bayern‘ vor. Die Monitoringstelle kann sich an dem Modell von RIAS für den Bereich des Antisemitismus orientieren. Sie dient den Betroffenen und ihren Angehörigen oder Freunden als Anlauf- und Meldestelle für entsprechende Vorfälle und macht in Absprache mit den Betroffenen einzelne Fälle öffentlich. Opfer werden auf Wunsch an juristische oder psychosoziale Beratungsstellen weiterverwiesen. Für die Politik werden Handlungsempfehlungen erarbeitet.
Härtefallfonds für Opfer rechter Gewalt
- Um Opfern von extremistischen Gewalttaten oder Terroranschlägen eine schnelle und unbürokratische Hilfe zu ermöglichen, brauchen wir einen Härtefallfonds des Freistaats. Die Durchsetzung sozialrechtlicher Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz ist oft langwierig und mühselig. Betroffene brauchen aber sofort psychosoziale Hilfen z.B. in Form von Trauma-Ambulanzen und eine finanzielle Absicherung bei einer vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit oder anderweitigen beruflichen Nachteilen. Der Bund hat deshalb bereits einen entsprechenden Härtefonds eingerichtet. Nun muss auch der Freistaat seiner politischen Verantwortung für die Opfer gerecht werden.
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