Rechtsextremismus

Landtags-Grüne zu AfD-Prozess vor Verwaltungsgericht in München

Statements von Katharina Schulze und Cemal Bozoğlu

18. Juni 2024

heute startete vor dem Verwaltungsgericht in München der Prozess zur AfD-Klage. Sie geht dagegen vor, seit Juni 2022 vom Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) als „rechtsextremer Verdachtsfall“ beobachtet zu werden. Das Verfahren beobachten wir Grüne mit großem Interesse.

Die schon gescheiterten ähnlichen Klagen der AfD vor dem Verwaltungsgericht Köln und dem Oberverwaltungsgericht Münster und zahlreiche Geschehnisse rund um einzelne Abgeordnete und verschiedenste Vorgänge innerhalb der Partei in den vergangenen Monaten werfen zunehmend die Frage auf, ob und wann eine Einstufung der AfD als gesichert rechtsextreme Organisation folgt. Der Prozess in München könnte bereits signalgebend für eine solche Neubewertung sein.

Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen, erklärt:

„Versuche zu verschleiern gibt es nicht mehr. Das AfD-Personal in Bayern zeigt schon lange bar jeder Scham sein wahres Gesicht. Seine Vernetzungstreffen mit Rechtsextremisten treibt es munter weiter. Enthüllungen von Affären, Parteiausschlussverfahren oder gar die Beobachtung durch den Verfassungsschutz werden achselzuckend angehäuft wie Bonbons zu Fasching. Die AfD pflegt und unterstützt weiterhin ihre rechtsextremen Kontakte und treibt ihre widerwärtigen Remigrations-Phantasien voran. Die Landtagsfraktion hat sich längst radikalisiert. Wer da nicht mitmacht, dem droht schneller der Ausschluss als Mitgliedern, die sich strafbar machen. Die AfD ist eine Gefahr für unsere Demokratie und die Prüfung eines AfD-Verbots ist unverzichtbar.“

Cemal Bozoğlu, Sprecher für Strategien gegen Rechtsextremismus, sagt:

„Die AfD in Bayern ist in ihrer Gesamtheit zu einer rechtsextremen Partei mutiert. Sie unterscheidet sich in ihrer politischen Ausrichtung und der Zusammensetzung ihres Führungskaders längst nicht mehr von den ostdeutschen Landesverbänden. Die AfD trägt dazu bei, das demokratische System zu schwächen, die Gesellschaft zu spalten und das politische Klima zu vergiften. Dabei schrecken einzelne Funktionäre auch nicht vor der Zusammenarbeit mit offen gewaltbereiten und terroristischen Gruppierungen zurück. Das alles ist bekannt und wurde vielfach auch schon juristisch bestätigt. Es ist höchste Zeit, dass die Staatsregierung nicht länger passiv bleibt. Sie kann jetzt vorangehen und die AfD zur gesichert rechtsextremen Organisation erklären.“

Die Landtags-Grünen fordern

  • Bayern sollte dem Vorbild der ostdeutschen Bundesländer folgen und die AfD zügig zur gesichert rechtsextremen Organisation erklären. Bisher verhält sich die bayerische Staatsregierung passiv und wartet die gerichtlichen und politischen Entscheidungen auf Bundesebene ab. Bei anderen sicherheitspolitischen Themen ist Bayern weniger zögerlich und versteckt sich nicht hinter der Bundesregierung.
  • die Prüfung aller Optionen, die AfD und ihr nahestehende Organisationen von staatlichen Finanzflüssen auszuschließen.
  • die Prüfung der Möglichkeiten eines Verbots von rechtsextremen „Vorfeldorganisationen“ auf Basis des Vereinsrechts („Identitäre Bewegung“, „Ein Prozent“, etc.).
  • die Zusammenführung aller für die Prüfung eines Verbotsverfahrens relevanten Erkenntnisse der zuständigen Behörden im Bund und in Bayern, Einsetzung einer Task Force auf Bundesebene.
  • den Schutz wichtiger demokratischer und juristischer Institutionen vor rechtsextremer Einflussnahme (Verfassungsgericht, etc.).
  • die Aufklärung der legalen und illegalen finanziellen Strukturen, der Geldströme und Spendengelder rechtsextremer Organisationen (vgl. Bystron und Krah).
  • die Überprüfung der Präsenz von AfD-Funktionären in sicherheitsrelevanten Einrichtungen und Institutionen wie der Polizei, der Bundeswehr oder der Justiz, sollte es zu einer Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem kommen.
  • rechtsextreme Vorfälle im öffentlichen Dienst strenger zu ahnden durch beschleunigte Disziplinarverfahren und die konsequente Umsetzung von Disziplinarmaßnahmen.
  • die rechtsextreme Szene konsequent und vollständig zu entwaffnen – nach Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem würde das auch den Widerruf aller waffenrechtlichen Genehmigungen für AfD Mitglieder umfassen.

 

  • Bereits im März haben die Landtags-Grünen zu diesen Punkten einen Antrag gestellt.

Eine Übersicht zu den Entwicklungen rund um die AfD in jüngerer Zeit (Auswahl):

Anfang Dezember 2021: Die AfD-Bayern gerät in die Schlagzeilen, als der BR radikale Inhalte aus einem geschlossenen Telegram-Chat der AfD der „Alternativen Nachrichtengruppe Bayern“ veröffentlicht. In der Chatgruppe wurden immer wieder islam- und ausländerfeindliche Nachrichten ausgetauscht, aber auch Aufrufe zum Umsturz der staatlichen Ordnung. Der rund 200 Personen umfassenden Chatgruppe gehören beinahe alle Mitglieder der damaligen AfD-Landtagsfraktion, der bayerischen AfD-Bundestagsgruppe sowie des bayerischen AfD-Landesvorstands an, der Landesvorsitzende Stephan Protschka war der Administrator der Gruppe.  

15. Juni 2023: Burschenschaftertreffen im Bayerischen Landtag auf Einladung der Abgeordneten Christoph Maier und Ferdinand Mang. Dabei fallen Jakob D. und Pierre K., Beschäftigte beim AfD-MdL Benjamin Nolte, auf. Beide sind Mitglied der rechtsextremen Münchener Burschenschaft „Danubia“. Bei der Veranstaltung im Landtag kommt es zu Angriffen auf einen Journalisten. Jakob D. zeigte dabei in der Landtagsgaststätte den in der rechten Szene populären rassistischen „White-Power-Gruß“ und erhielt deshalb von der Landtagspräsidentin ein Hausverbot.

September/Oktober 2023: Die AfD-Fraktion im bayerischen Landtag wird in der neuen Legislaturperiode eindeutig vom völkischen Flügel um die Führungsperson Björn Höcke dominiert. Vertreter gemäßigterer Positionen hatten schon bei der Listenaufstellung zur Landtagswahl im Oktober 2023 in der Regel keine Chance auf einen aussichtsreichen Platz. Die neue Fraktion besteht mindestens zu zwei Dritteln aus Anhänger*innen des völkischen Flügels. Bekannte Protagonisten der gemäßigteren Parteiströmung, wie Franz Bergmüller oder Gerd Mannes, haben bei der Verteilung der Zuständigkeiten nicht einmal einen Sitz in einem Fachausschuss erhalten. Diese Degradierung erfolgte unabhängig von fachlichen Kompetenzen oder Popularität der Abgeordneten. Gerd Mannes hat in seinem Wahlkreis in Günzburg mit 24,4 Prozent das höchste Erststimmenergebnis für die AfD in Bayern eingefahren. Franz Bergmüller ist als Vorsitzender der oberbayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes und als Vorsitzender des Vereins zum Erhalt der bayerischen Wirtshauskultur auch über engere AfD-Kreise hinaus bekannt. Er wollte die AfD im Wirtschaftsausschuss vertreten. Dies wurde ihm verwehrt.   

Ab September 2023: Der Umgang mit der Affäre um den neofaschistischen Abgeordneten Daniel Halemba steht exemplarisch für die Radikalisierung der AfD-Landtagsfraktion. Halemba ist Mitglied der offen rechtsextremen Burschenschaft Teutonia Prag zu Würzburg. Bei einer Durchsuchung der Räumlichkeiten der Burschenschaft im September 2023 wurden ein umfangreiches Waffenarsenal, rechtsextremes Propagandamaterial und zahlreiche NS-Devotionalien sichergestellt.

Ende Oktober 2023 wurde von der Staatsanwaltschaft Würzburg gegen ihn ein Haftbefehl wegen Verdunkelungsgefahr (im Januar 2024 aufgehoben) verhängt. Die Begründung: Halemba soll gemeinsam mit anderen versucht haben, ein Mitglied der eigenen Burschenschaft „Teutonia Prag zu Würzburg“ mit Gewaltandrohung von einer Zeugenaussage abzuhalten.
In der AfD-Fraktion gab es durch den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Martin Böhm daraufhin Überlegungen, Halembas Verhaftung als öffentliches Spektakel während der konstituierenden Sitzung des Landtags am 30. Oktober 2023 zu inszenieren. Laut Presseberichten sollte das Ziel einer solchen Aktion sein, Landtags-Präsidentin Ilse Aigner zu beschädigen – dies ging den Berichten zufolge aus einer AfD-internen E-Mail hervor.

Halemba werden zudem Manipulationen und Meldevergehen bei seiner Wahl zum Direktkandidat im Wahlkreis Haßberge/Rhön-Grabfeld vorgeworfen. Der Bundesvorstand der AfD hat deshalb bereits im Dezember 2023 die Einleitung eines Parteiausschlussverfahren gegen Halemba gefordert. Der AfD-Landesvorstand unter Stephan Protschka ist dem nicht gefolgt und hat lediglich als Ordnungsstrafe eine zweijährige Ämtersperre für Halemba verhängt.

Im April 2024 wurden dann neue Vorwürfe gegen Halemba publik, die dazu führten, dass der Bayerische Landtag zum zweiten Mal seine Immunität als Abgeordneter aufgehoben hat. Halemba wird u. a. Betrug vorgeworfen.

25. November 2023: Auf Einladung des rechten Netzwerkers Gernot Mörig stellte das Aushängeschild der deutschsprachigen Identitären Bewegung, Martin Sellner, seinen „Masterplan Remigration“ auf einem geheimen Treffen in der Nähe von Potsdam einem ausgewählten Publikum aus rechten Unternehmern, AfD-Funktionären, Mitgliedern der „Werte Union“, rechten Burschenschaftern und Aktivisten der Identitären Bewegung vor. Die Pläne zur Deportation hunderttausender Menschen – darunter auch deutsche Staatsbürger*innen – sorgten für große Empörung und eine Protestwelle gegen das Erstarken der extremen Rechten in Deutschland. 

  • Bereits zwei Wochen vor dem Potsdamer Treffen fand am 11. November 2023 eine ähnliche Veranstaltung mit Martin Sellner im bayerischen Dasing (Landkreis Aichach-Friedberg) statt. Eingeladen hatte die Gruppe „Reconquista 21“ der Identitären Bewegung Schwaben. An der Veranstaltung beteiligten sich 60 überwiegend jüngere Personen, darunter auch einige Funktionäre der AfD und zwei bayerische Landtagsabgeordnete der Partei, Franz Schmid und Daniel Halemba. Franz Schmid ist gleichzeitig auch Vorsitzender der JA in Bayern. Die besondere Nähe zur Identitären Bewegung zeigt sich auch darin, dass Franz Schmid auf einem Foto von der Veranstaltung mit einem T-Shirt der Identitären Bewegung zu sehen ist. Franz Schmid hatte bereits im Landtagswahlkampf 2023 angekündigt, einen erheblichen Teil seiner Abgeordnetendiäten an „patriotische Vorfeldorganisationen“ wie die rechte Kampagnenplattform „Ein Prozent“ oder die Gruppe „Reconquista 21“ spenden zu wollen.

Januar 2024: An den letzten beiden Landesparteitagen der AfD in Greding am 13./14. Mai 2023 und am 13./14. Januar 2024 beteiligten sich jeweils auch Aktivisten der Identitären Bewegung und rechtsextreme Burschenschafter. Am 13. Januar 2024 kam es im Anschluss an den Parteitag zu einem rassistischen Flashmob von ca. 30 Personen in einer Gredinger Diskothek. Zu dem Lied „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino wurde lautstark die neonazistische Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ gegröhlt. An dem Mob, der hauptsächlich aus jüngeren Teilnehmern des AfD-Parteitags bestanden haben soll, waren auch die beiden Landtagsabgeordneten Benjamin Nolte und Franz Schmid beteiligt. 

Februar 2024: Der Präsident des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Burkhard Körner, erklärt im bayerischen Landtag erstmals, dass gegenwärtig auch die Beobachtung einzelner Abgeordneter der AfD geprüft würde. Offenbar standen einige der neu in den Landtag gewählten Abgeordneten bereits vor ihrer Wahl im Visier des Landesamtes. Die Beobachtung auch nach der Wahl fortzusetzen ist ein eindeutiges politisches Signal, denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinem sog. „Ramelow-Urteil“ hohe Hürden für die nachrichtendienstliche Überwachung von Abgeordneten aufgestellt. Sie müssen laut diesem Urteil ihr Mandat dazu missbrauchen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung in aggressiver und aktiver Weise zu bekämpfen. Nach der Landtagswahl 2018 wurde aus diesem Grund die Beobachtung von drei AfD-Abgeordneten wieder eingestellt.

Juni 2024: Die Staatsregierung teilt auf Anfrage der Landtags-Grünen mit, dass der AfD-Abgeordnete Franz Schmid weiterhin durch das Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird. Grund hierfür sind vor allem die intensiven Kontakte des Abgeordneten und Vorsitzenden der Jungen Alternative in Bayern zum rechtsextremen „Vorfeld der Partei. Die „Junge Alternative“ (JA) fungiert auch in Bayern als eine Art Scharnier zwischen Partei und Vorfeldorganisationen wie der „Identitären Bewegung“ oder „rechtsextremen Burschenschaften“. Bei weiteren Abgeordneten der AfD wird die Prüfung einer möglichen Beobachtung fortgesetzt.

Kurz darauf berichten Medien über ein weiteres Vernetzungstreffen der Jungen Alternativen u.a. mit der Identitären Bewegung in Nürnberg, an dem auch Abgeordnete der AfD-Landtagsfraktion teilgenommen haben. Organisator soll Franz Schmid gewesen sein.