Gleichstellung | Queer | Frauen
Besserer Gewaltschutz von Frauen und Mädchen
Grünes Antragspaket im Sozialausschuss
13. Oktober 2022
Der Schutz vor Gewalt und der Kampf gegen Gewalt an Frauen ist für uns Grüne ein Fundament unserer Gleichstellungspolitik. Gleichstellung kann nur dann gelingen, wenn das Selbstbestimmungsrecht jeder einzelnen Person respektiert wird, geschlechtsspezifische Diskriminierungen und Gewalt gegenüber Frauen gezielt verhindert und als gesamtgesellschaftliches Problem wahrgenommen werden.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend und Familie im Bayerischen Landtag hat diese Woche Anträge beraten die unsere Fraktion zum Thema Gewaltschutz von Frauen eingereicht hat. Ganz aktuell und zeitlich passend zur Aussprache im Bayerischen Landtag hat GREVIO (Group of experts on action against violence) vom Europarat kürzlich ihren Bericht zum Stand der Umsetzung des Übereinkommens zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Deutschland (die sogenannte Istanbul-Konvention) veröffentlicht. Der Bericht betont, dass trotz Fortschritte weiter Handlungsbedarf besteht. GREVIO fordert die zuständigen staatlichen Ebenen in Deutschland auf, mehr Frauenhausplätze zu schaffen und das Beratungsangebot für von Gewalt betroffene Frauen weiter auszubauen. Dabei soll auf eine ausgeglichene geographische Verteilung geachtet werden. Außerdem sollen die Bedürfnisse besonders verletzlicher Gruppen berücksichtigt werden, wie Frauen mit Behinderungen, geflüchteter Frauen oder queerer Menschen. Jede Frau und ihre Kinder müsse einen gesicherten Zugang zum Hilfesystem haben. Wir wünschen uns von diesem aktuellen Bericht einen erneuten Impuls, damit die Staatsregierung endlich tatkräftig handelt.
Unsere Anträge greifen zum Teil Forderungen auf, die wir Grüne in der Vergangenheit bereits gestellt haben, sowie neue Forderungen, die wir als Ergebnis der parlamentarischen Anhörung über die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Bayern im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend und Familie am 31. März 2022 und auf Impuls von den eingeladenen Sachverständigen in die parlamentarische Debatte einbringen. Unsere Anträge im Detail:
Gewalt gegen Frauen bekämpfen I: Landesaktionsplan samt Präventionsoffensive aufsetzen: Hiermit fordern wir die Staatsregierung auf, ihr bisheriges Gewaltschutzkonzept zu überarbeiten und mit einem ressortübergreifenden Landesaktionsplan zur Verhütung und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt zu ersetzen, womit die verschiedenen Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt explizit benannt und differenziert bekämpft werden. Damit sollen die betroffenen Gruppen ihren jeweiligen Bedürfnissen entsprechend mit differenzierten und niedrigschwelligen Unterstützungsmaßnahmen bedient werden. Wir reihen eine Liste von konkreten Maßnahmen für den Landesaktionsplan auf. Die Forderung nach einem Landesaktionsplan wurde im Rahmen der Anhörung am 31. März von den anwesenden Expertinnen mehrfach erhoben. Der Drei-Stufen-Plan der Staatsregierung wurde kritisiert, weil es keinen Aufbau der Schutz-Infrastruktur vor Ort bzw. in der Fläche von Bayern vorantreibt. Landkreise sind sehr unterschiedlich ausgestattet und es gibt an vielen Orten keine ausreichenden, aber dringend notwendigen, Frauenhausplätze und Beratungsstellen. Vor allem im ländlichen Bereich müssen einzelne Beratungsstellen vielfältige und diverse Aufgabenbereiche übernehmen, die in den Städten auf viele verschiedene, spezialisierte Stellen verteilt sind. Ein fehlendes Gesamtkonzept für Gewaltschutz wurde bemängelt, dass über die verschiedenen Ressorts der Staatsregierung hinweggeht und vor allem die Prävention in den Blick nimmt. Im Haushaltsplan sind 1,2 Mio. Euro für Gewaltprävention vorgesehen – dies reicht bei Weitem nicht aus, effektive Präventionsarbeit in der Fläche umsetzen zu können. In einer Schriftlichen Anfrage von MdL Eva Lettenbauer („Frauenhäuser und Gewaltschutz in Bayern“) wurde nach den aktuellen Präventionsmaßnahmen gefragt, worauf die Staatsregierung neben wenigen Einzelmaßnahmen auf eine Wanderausstellung hingewiesen hat. Anstatt ein dringend notwendiges, eingebettetes, landesweites Präventionskonzept im Rahmen eines Landesaktionsplans vorzulegen, wird dieses Thema von der Staatsregierung stiefmütterlich und oberflächlich behandelt.
Gewalt gegen Frauen bekämpfen II: Landesmonitoringstelle zur Beobachtung und Bewertung der Umsetzung der Istanbul-Konvention: Wir wollen die Einrichtung einer landesweiten Monitoringstelle zur Beobachtung und Bewertung der politischen und sonstigen Maßnahmen auf Landesebene zur Umsetzung der in der Istanbul-Konvention enthaltenen Vorgaben. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, muss diese Monitoringstelle in ihrer Unabhängigkeit gesichert und separat von bereits existierenden Koordinierungsstellen gegen Gewalt errichtet werden. Zu den Kompetenzen der Stelle sollen Forschung und Datenerhebung in Eigeninitiative gehören. Auch diese Forderung von uns wurde in der Anhörung am 31. März von den Expert*innen mehrfach ausdrücklich befürwortet. Eine solche Stelle würde der vollständigen Umsetzung des Artikel 10 der Istanbul-Konvention entsprechen sowie eine systematische Erhebung von Daten und Evaluierung der aktuellen Regelungen, Maßnahmen und Schutzstruktur insgesamt durchführen. In Bayern braucht es eine systematische Erhebung von Daten zur Umsetzung der Istanbul-Konvention, unter Bezugnahme der aktuellen Regelungen. Eine solche Erhebung würde zur langfristigen, systematisierten Evaluation des Gewaltschutzes beitragen.
Gewalt gegen Frauen bekämpfen III: Gewaltschutzambulanzen flächendeckend einrichten: Wir Grüne fordern die Errichtung von mindestens eine Gewaltschutzambulanz für Opfer von häuslicher und/oder sexualisierter Gewalt pro Regierungsbezirk, dabei kann auch die Einrichtung an geeigneten rechtsmedizinischen Instituten an Universitätskliniken unterstützt werden. Diese Anlaufstellen sollen für alle Opfer von häuslicher und/oder sexualisierter Gewalt allgemein zugänglich gemacht werden, ohne Ausnahmen. Aktuell gibt es lediglich eine Gewaltschutzambulanz in ganz Bayern, am Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zudem ist diese eine Anlaufstelle nur für Fälle von häuslicher Gewalt – das heißt betroffene Personen, die sexualisierte Gewalt außerhalb von häuslicher Gewalt z. B. durch eine fremde Person erleiden mussten, werden nicht an dieser Gewaltschutzambulanz untersucht. Ursprünglich war diese Anlaufstelle für alle Opfer von Gewalt zugänglich, die Veränderung der Aufnahmekriterien konnte von Experti*nnen in der Anhörung am 31. März nicht nachvollzogen werden. Bundesweit steht Bayern, vor allem als großes Flächenland, mit einer einzigen Gewaltschutzambulanz schlecht dar. In Baden-Württemberg soll nun eine vierte Gewaltschutzambulanz errichtet werden. Art. 25 der Istanbul-Konvention gibt vor, dass die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen getroffen werden, um die Einrichtung von geeigneten, leicht zugänglichen Krisenzentren für Opfer von Vergewaltigung und sexueller Gewalt in ausreichender Zahl zu ermöglichen, um Opfern medizinische und gerichtsmedizinische Untersuchungen, Traumahilfe und Beratung anzubieten. Dieser Verpflichtung muss die Staatsregierung nachkommen, indem pro Regierungsbezirk mindestens eine Gewaltschutzambulanz errichtet wird.
Gewalt gegen Frauen bekämpfen IV: Sichere Finanzierung des Gewaltschutzsystems: Mit diesem Antrag fordern wir einen Bericht von der Staatsregierung über den aktuellen Stand der Finanzierung des Gewaltschutzsystems. Im Rahmen der Anhörung Ende März wurden die Probleme mit Blick auf die Finanzierung des Hilfesystems, insbesondere der Frauenhäuser und Beratungsstellen, thematisiert. Die Förderrichtlinien sowie die Vor- und Nachteile jeweils von Pauschalfinanzierung und Tagessatzfinanzierung wurden besprochen. Das jetzige System wurde als ein System beschrieben, das zu unabwendbaren rechtlichen und Finanzierungsproblemen für Kommunen führt und sehr kleinteilig vorangeht. Die Expert*innen forderten eine rechtliche Grundlage auf Landesebene für eine verlässliche Finanzierung ein. An dieser Stelle wurde die Staatsregierung aufgefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Staatsregierung soll hierzu Bericht erstatten sowie Stellung nehmen, wie beziehungsweise ob sie von den projekt- und richtlinienbasierten und somit begrenzten Förderungsmodellen wegkommen möchte und wie eine gesetzliche Grundlage für eine verlässliche, institutionalisierte Finanzierung des wichtigen Gewaltschutzsystems geschaffen werden kann.
Die Söder-Regierung hat die ersten drei Anträge abgelehnt und dem vierten Antrag zugestimmt. Anstatt unseren konkreten Forderungen nachzukommen, die Second-Stage-Modellprojekte langfristig mit einer Regelförderung finanziell abzusichern, soll nach Ende der Projekte ein langwieriger Evaluationsprozess lanciert werden. Anstatt unserer Forderung mitzugehen, pro Regierungsbezirk eine Gewaltschutzambulanz einzurichten bzw. zu unterstützen, wollen CSU/FW erst mal prüfen, inwiefern der Bedarf vorhanden ist. Anstatt unserer Forderung nachzukommen, endlich einen ressortübergreifenden Landesaktionsplan gegen geschlechtsspezifische Gewalt samt zielgruppenspezifischen Konzepten aufzusetzen, kommen die Regierungsfraktionen mit dem Vorschlag, in eine erneute Diskussionsrunde zu gehen. Wir haben aber kein Erkenntnisproblem! Alle diese Themen sind schon mehrfach und sehr ausgiebig in unserem Ausschuss diskutiert worden.
Wir fordern die Staatsregierung auf, diese bekannten Erkenntnisse zu den großen Lücken in dem bayerischen Gewaltschutzsystem endlich in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Die Regierungsfraktionen müssen aufhören, mit ihren verwässerten, schwammigen und kaum verbindlichen Anträgen dieses Thema so oberflächlich anzugehen. Geschlechtsspezifische Gewalt zerstört Leben, Familien, die eigene Psyche und Existenz. Hinter diesem Begriff stehen zahllose Schicksale, die Auswirkungen nicht nur für die Betroffenen sondern auch auf ihr direktes Umfeld mit sich tragen. Häusliche Gewalt, sexualisierte Gewalt und sonstige Formen der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen ist eine gesellschaftliche Tragödie. Aber es gibt Hoffnung, denn mit gezielten Maßnahmen können wir echte Veränderungen anstoßen, effektiven Schutz vor Gewalt sicherstellen, und die Gleichstellung der Geschlechter vorantreiben. Das funktioniert aber nur, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Wir bleiben nach wie vor hartnäckig und werden nicht aufhören, für Frauen in Bayern ein besseres, selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben zu erkämpfen.