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Überlange Verfahren am Verfassungsgerichtshof verhindern und die Unabhängigkeit des Gerichts stärken
Der Landtag hat diese Woche über Änderungen am Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof beraten. Grundlage dafür war ein grüner Gesetzentwurf. Wir wollen künftig Beschwerden wegen unangemessen lang dauernder Verfassungsklagen ermöglichen und das Verfahren zur Wahl der Verfassungsrichter*innen reformieren.
20. April 2023
Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir die sogenannte Verzögerungsbeschwerde am Verfassungsgerichtshof einführen. Damit schaffen wir die Möglichkeit, überlange Verfahren vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof zu rügen. So schließen wir eine Rechtsschutzlücke in Bayern.
Antriebsgrund für unseren Vorstoß ist, dass einige Verfassungsklagen schon seit Jahren auf eine Entscheidung der bayerischen Verfassungsrichter*innen warten. Das gilt beispielsweise für die Popularklagen gegen das bayerische Verfassungsschutzgesetz, die im August 2017 erhoben wurden. Aber auch gegen das 2017 und 2018 geänderte Polizeiaufgabengesetz sind Klagen vor dem Verfassungsgerichtshof schon seit Anfang bzw. Mitte des Jahres 2018 anhängig.
Es geht nicht darum, den Verfassungsgerichtshof zur Eile zu drängen. Sondern wir wollen in Bayern eine rechtspolitische Entwicklung nachholen, die CSU und FW bislang nicht vollzogen haben. Denn die Verzögerungsbeschwerde ist schon heute sowohl beim Bundesverfassungsgericht als auch bei zehn Landesverfassungsgerichten möglich. Mit der Einführung der Verzögerungsbeschwerde 2011 für das Bundesverfassungsgericht wurde der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Genüge getan. Der EGMR hatte zuvor festgestellt, dass es in Deutschland an Rechtsschutzmöglichkeiten bei überlangen Verfahren vor den Verfassungsgerichten fehlt. In Bayern fehlt es daran sogar bis heute.
Die Bürger*innen in Bayern haben ein Recht nicht nur auf ein faires, sondern auch ein möglichst zügiges Verfahren, und zwar auch vor dem Verfassungsgerichtshof. Gleichzeitig müssen Entscheidungen über wichtige Handlungsmöglichkeiten des Staates, beispielsweise beim Verfassungsschutz und der Polizei, in angemessener Zeit von unserem Verfassungsgerichtshof überprüft werden, um Rechtssicherheit zu schaffen.
Zur Erinnerung: Im Jahr 2017 wurde in das PAG erstmalig die neue Eingriffsschwelle der „drohenden Gefahr“ im allgemeinen Polizeirecht aufgenommen. Das erlaubte damit eine Vorverlagerung einiger Eingriffsbefugnisse der Polizei ins Gefahrenvorfeld, was das Bundesverfassungsgericht bislang nur zur Terrorismusabwehr erlaubte. Und ein Jahr später, durch die PAG-Novelle im Jahr 2018, hat die damalige CSU-Alleinregierung eine weitere massive Ausdehnung der Polizeibefugnisse betrieben. Dadurch verschwamm die Trennung zwischen Nachrichtendiensten und Polizei.
Wir klagen seit 2018 gegen diese Änderungen vor dem Verfassungsgerichtshof. Auf der Grundlage des PAG darf die bayerische Polizei bis heute Menschen in Gewahrsam nehmen, wenn die Gefahr der Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit droht. Diese Gesetzesnovelle wurde damals mit der Angst vor Terroranschlägen begründet. Aber schon bei Verstößen gegen die Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen während der Pandemie oder bei Klimaprotesten droht Polizeigewahrsam.
Des Weiteren schlagen wir mit unserem grünen Gesetzentwurf Änderungen bei der Wahl der Verfassungsrichter*innen vor. Genauer gesagt geht es um die Wahl der berufsrichterlichen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes, also jener Verfassungsrichter*innen, die zugleich Richter*innen in der Justiz sind. Sie werden bislang vom Landtag mit einfacher Mehrheit gewählt. Es genügen also im Plenum die Stimmen der jeweiligen Regierungsfraktion(-en), bislang also immer auch der CSU. Hingegen ist in zwölf anderen Bundesländern für die Wahl der Landesverfassungsrichter*innen eine Zweidrittelmehrheit im jeweiligen Landesparlament nötig. Auch für die Wahl der Richter*innen am Bundesverfassungsgericht, die jeweils zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden, ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen erforderlich. Ein solches Wahlverfahren mit Zweidrittelmehrheit hat gute Gründe. Es stärkt die Unabhängigkeit des Gerichts und auch seine demokratische Legitimation. Genauso sollte es auch in Bayern sein. Neben der Änderung des Verfassungsgerichtshofgesetz macht unser Gesetzentwurf deshalb auch eine Änderung der Verfassung nötig.
Außerdem legen wir eine Karenzzeit von 10 Jahren für ehemalige Abgeordnete und Regierungsmitglieder fest, bevor diese zu berufsrichterlichen Mitgliedern am Verfassungsgerichtshof gewählt werden können. Damit wollen wir sicherstellen, dass berufsrichterliche Mitglieder am Verfassungsgerichtshof nicht über Sachverhalte oder Normen zu entscheiden haben, für die sie zuvor als Mitglied des Landtags oder Mitglied der Staatsregierung mitverantwortlich waren. Auch damit stärken wir die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtshofs.
Weitere Änderungen betreffen die Auswahl der Kandidat*innen für das Richteramt und die Veröffentlichung von Sondervoten des Gerichts.
Links:
Unser grüner Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung des Freistaates Bayern und des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof vom 30.3.2023, Drs. 18/28346: https://www1.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP18/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000017500/0000017805.pdf