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Neuer Höchststand bei politischen Straf- und Gewalttaten

06. April 2025

GRÜNE Anfrage zeigt den Umfang von Hasskriminalität

Antworten des Innenministeriums auf Anfrage der Landtags-Grünen zu "Hasskriminalität in Bayern 2024“ belegen einen Höchststand bei politisch motivierten Straf- und Gewalttaten in Bayern. Die Zahlen beruhen auf dem bundesweit einheitlichen Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch Motivierter Kriminalität (KPMD-PMK).

Die wichtigsten Erkenntnisse:

  • Im Jahr 2024 wurden in Bayern über 2.021 politisch motivierte Straf- und Gewalttaten im Bereich der Hasskriminalität* registriert (Anlage 1). Das ist der höchste Stand seit Beginn der Erfassung sog. „Hate Crimes“ im Jahr 2012. Die Zahl der angezeigten Delikte hat sich in den drei Jahren seit 2022 annähernd verdoppelt (Anlage 2).
  • 70 Prozent oder 1.400 aller Straftaten im Feld der Hasskriminalität 2024 werden dem rechtsextremen Täterkreis (PMK-rechts) zugeordnet. 15 Prozent aller Taten fallen unter die PMK-Rubrik sonstige Zuordnung, hinter der sich Reichsbürger, Querdenker und Verschwörungsideologen verbergen.
  • Mit 1.829 Straftaten wurde der Großteil der Hassdelikte dem Unterthemenfeld  „fremdenfeindlich“ zugeordnet. (Anlage 10, hier sind die Daten von 2020 – 2024 enthalten) Die Zahl der rassistischen und ausländerfeindlichen Straftaten ist in den vergangenen drei Jahren stark gestiegen: Von 387 auf 626 bei den rassistischen Delikten und von 460 auf 736 bei den ausländerfeindlichen Delikten (hier sind Doppelnennungen möglich, Anlage 11). Auch die Zahl der antisemitischen Straftaten, die ebenfalls diesem Unterthemenfeld zugerechnet werden, verharrt mit 579 Delikten im Jahr 2024 auf einem extrem hohen Niveau (Anlage 12). Hinweis: Begrifflich wirkt die Schlüsselkategorie „fremdenfeindlich“ aus der Zeit gefallen, da sie Opfer rassistischer und antisemitischer Straftaten zu Fremden erklärt.

Forderungen der Landtags-Grünen:

  • Bayern braucht ein umfassendes und ressortübergreifendes Handlungskonzept zur Bekämpfung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Das muss die Staatsregierung endlich ausarbeiten.  Hasskriminalität ist Ausdruck und Folge eines vergifteten politischen Klimas und einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. Sie zu bekämpfen ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft.
  • Die Staatsregierung muss Anzeigemöglichkeiten erleichtern (auch Online) und die Strafverfolgung muss schneller und konsequenter erfolgen. Immer noch gehen zu viele der ermittelten Täter und Täterinnen straffrei aus. Die Betroffenen von Hasskriminalität dürfen nicht alleine gelassen werden. In vielen Bereichen ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.
  • Die Staatsregierung muss die Anlauf- und Beratungsstellen für Opfer von Hassverbrechen konsequent stärken. Bayern braucht eine zentrale bayernweite Anti-Diskriminierungsstelle und einen flächendeckenden Ausbau der Beratungsstrukturen für Opfer rassistischer, antisemitischer, queerfeindlicher, sexistischer antiziganistischer oder antimuslimischer Übergriffe und Straftaten.

Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen, sagt:

„Hass ist keine Meinung und Hasskriminalität gehört entschieden bekämpft! Bayern klettert von einem traurigen Rekord zum nächsten. Wenn das so weitergeht, nähern wir uns dem Wert, dass sechs Menschen pro Tag Opfer von Hasskriminalität werden. Das ist zutiefst schockierend. Doch immer noch zögert und zaudert die Staatsregierung bei entschiedenen Maßnahmen, wie mehr Unterstützung von Menschen, die von Hasskriminalität betroffen sind. Das darf so nicht weitergehen! Es muss Geld in die Hand genommen werden für Beratungsstrukturen - und zwar in ganz Bayern. Diese Taten sind auch Ausdruck des vergifteten politischen Klimas der vergangenen Jahre und der Keile, die in unsere Gesellschaft getrieben werden.“

Cemal Bozoğlu, Sprecher für Strategien gegen Rechtsextremismus:

„Diese Zahlen sind äußerst alarmierend und zeigen trotz der guten Ermittlungsarbeit der Bayerischen Polizei, dass die bisherigen Gegenmaßnahmen der Staatsregierung nicht ausreichen. Besonders erschreckend ist der weiter gestiegene enorme Anteil von Straftaten, der auf rechtsextreme Täter- und Täterinnenkreise entfällt – es ist unerlässlich ein Hauptaugenmerk auf die Radikalisierung dieser Szene zu richten. Und auch Jüdinnen und Juden in Bayern brauchen unsere Solidarität und unseren Schutz. Die Zahl antisemitischer Delikten bleibt weiter auf hohem Niveau. Erschreckend ist zudem der weiterhin deutliche Anstieg bei den Straftaten gegen queere Menschen. Auch hier ist die Staatsregierung in der Pflicht zu handeln. Es braucht Angebote, die Vertrauen schaffen und die Anzeigebereitschaft erhöhen, denn die Dunkelziffer in diesem Feld dürfte enorm sein.“

Zusammenfassung der wichtigen Erkenntnisse und Informationen:

  1. Insgesamt gab es im Jahr 2024 2.021 politisch motivierte Straf- und Gewalttaten im Bereich der Hasskriminalität (Anlage 1). 695 Delikte wurden Online verübt (Anlage 7). Das ist der höchste Stand seit Beginn der Erfassung von Hassdelikten im Jahr 2012.
  2. Die Zahl der gesamten Straftaten im Bereich der Hasskriminalität hat sich in den vergangenen drei Jahren annähernd verdoppelt: von 1.186 Delikten 2022, über 1.866 Delikte 2023 hin zu 2.021 Delikten 2024 (Anlage 2).
  3. Im Jahr 2024 wurden 194 Gewaltdelikte im Feld der Hasskriminalität verübt. 2023 waren es 167 und in 2022 94 Gewalttaten (Anlage 4). Damit hat sich die Zahl der Gewalttaten in den vergangenen drei Jahren mehr als verdoppelt. 300 Personen wurden im Jahr 2024 Opfer von Gewaltdelikten im Bereich der Hasskriminalität (Anlage 6).
  4. Bei den Gewaltdelikten handelt es sich zum großen Teil um Körperverletzungsdelikte (169 von 194 in 2024). Im vergangenen Jahr wurden aber auch drei (versuchte) Brand- und Sprengstoffanschläge und zwei (versuchte) Tötungsdelikte registriert. Vier Taten (darunter 1 Tötungsdelikt) werden als terroristisch bewertet. (Anlage 4)
  5. Bei den sonstigen Straftaten dominieren ‚Volksverhetzung‘ und weitere ‚Propagandadelikte‘ das Bild. Aber auch ‚Nötigung‘ und ‚Bedrohung‘ machen einen relevanten Anteil aus.
  6. 1.400 Straftaten oder 70 Prozent aller Delikte der Hasskriminalität im Jahr 2024 werden der PMK-rechts zugeordnet. Auch die Zahl der rechten Hassdelikte ist in den vergangenen drei Jahren stark gestiegen: von 960 im Jahr 2022 über 1.283 in 2023 auf 1.400 in 2024. (Anlage 2)
  7. Nur 414 Delikte von 2021 (20% aller Straftaten) im Bereich der Hasskriminalität wurden 2024 von der Staatsregierung/dem Bayerischen Innenministerium als extremistisch bewertet (Anlage 2). Das bedeutet das 80 Prozent der antisemitischen, rassistischen, antiziganistischen oder queerfeindlichen Straftaten von den Sicherheitsbehörden in Bayern nicht als extremistisch eingestuft werden. Im Jahr 2023 wurden 25 Prozent aller Hassdelikte als extremistisch eingestuft. Im Jahr 2021 waren es noch 63 Prozent und im Jahr 2020 sogar 80 Prozent. (ebenfalls Anlage 2) Nach dieser Bewertung der Staatsregierung ist die Quote der als extremistisch anerkannten Hassverbrechen also in 5 Jahren von 80 Prozent auf 20 Prozent geschrumpft.* (siehe „Hinweis“ unten)
  8. Im Bereich ‚sonstige Zuordnung‘, in den u.a. Reichsbürger, Querdenker und Verschwörungsideologen fallen, wurden 2024 314 Straftaten (also 15% aller Delikte!) registriert. Hier ist die Zahl von 168 im Jahr 2022 über 289 in 2023 auf 314 in 2024 gestiegen! (Anlage 2)
  9. Auch im Bereich ‚Ausländische Ideologie‘ ist ein starker Anstieg der Delikte von 17 im Jahr 2022, über 116 im Jahr 2023 auf 185 im Jahr 2024 zu verzeichnen. Hier handelt es sich jedoch nur um rund 9 Prozent aller Straftaten im Bereich der Hasskriminalität. Der starke Anstieg in diesem Bereich dürfte vor allem auf die Reaktionen auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas zurückzuführen sein. (Anlage 2)
  10. Im Bereich religiöse Ideologie wurden 2024 nur 90 als Hasskriminalität qualifizierte Straftaten registriert (4,5 % aller Straftaten). Dieser Wert hatte im Jahr 2023 mit 154 Taten einen Höchststand im 5-Jahres-Vergleich. (Anlage 2)
  11. Rund 65 Prozent aller Hassdelikte wurden 2024 aufgeklärt und 1.450 Täter und Täterinnen ermittelt. (Anlage 5)
  12. 1.829 Straftaten im Bereich der Hasskriminalität waren 2024 rassistisch bzw. „fremdenfeindlich“ motiviert. Damit ist die Zahl der „fremdenfeindlichen“ Straftaten gegenüber dem Rekordjahr 2023 mit 1.682 Taten noch einmal gestiegen. Im Jahr 2022 wurden 1.073 Delikte in diesem Feld der Hasskriminalität registriert. (Anlage 10, die Jahre 2024 – 2020 sind absteigend aufgelistet)
  13. 579 Straftaten im Bereich der Hasskriminalität waren antisemitisch motiviert. (Anlage 12) Damit bleibt die Zahl der antisemitischen Straftaten annähernd auf dem Niveau des Jahres 2023, in dem mit 589 Delikten die höchste jemals in Bayern registrierte Zahl gemessen wurde. Im Jahr 2022 waren es noch 358 antisemitische Hassdelikte. (Zahlen des Innenministeriums aus unserem Lagebild Rechtsextremismus 2023)
  14. Im Jahr 2024 gab es insgesamt 242 queerfeindliche Straf- und Gewalttaten. (Anlage 14) Dies ist ein weiterer deutlicher Anstieg gegenüber 2023 mit 190 Taten und 96 Straftaten im Jahr 2022. 112 Straftaten im Bereich der Hasskriminalität waren transfeindlich motiviert und richteten sich gegen die geschlechtsbezogene Diversität. Damit bleibt die Zahl annähernd auf dem hohen Niveau des Vorjahres. Im Jahr 2023 waren es 118 transfeindliche Straftaten und im Jahr 2022 56 einschlägige Delikte. 130 Straftaten waren homophob motiviert und richteten sich gegen die sexuelle Orientierung des Opfers. Im Jahr 2023 waren es sogar 156 Straftaten und im Jahr 2022 84 Delikte. (auch hier und bei den nächsten beiden Punkten stammen die Zahlen 2022/2023 aus unseren früheren Abfragen)
  15. Als sexistisch oder frauenfeindlich motiviert wurden nur 49 Straf- und Gewalttaten registriert (Anlage 15). Im Jahr 2023 waren es mit 23 und im Jahr 2022 mit 18 erfassten Taten sogar noch weniger. Hier gibt es offenbar noch immer riesige Erfassungslücken. So wird ein Großteil der häuslichen Gewalt gegen Frauen nicht als Hasskriminalität registriert.
  16. 416 Straftaten im Bereich der Hasskriminalität richteten sich gegen tatsächliche oder vermeintliche politische Gegner (Anlage 16). Im Jahr 2023 waren es 329 einschlägige Delikte und im Jahr 2022 123 Taten.
  17. 29 Straftaten im Bereich der Hasskriminalität gelten als antiziganistisch motiviert. (Anlage 18)
  18. Zudem wurden 212 islamfeindliche Straftaten festgestellt (Anlage 18). Im Jahr 2023 waren es 171 antimuslimische Taten im Bereich der Hasskriminalität. Im Jahr 2022 66 einschlägige Hassdelikte. Damit hat sich die Zahl der antimuslimischen Straftaten in den vergangenen drei Jahren mehr als verdreifacht.
  19. 55 Straftaten werden als ‚deutschfeindlich‘ qualifiziert (Anlage 18).

 

*Hinweis:

Obwohl alle 2.021 Straftaten in der bundeseinheitlichen Kriminalstatistik als politisch motivierte Kriminalität verbucht werden, werden in Bayern nur 20 Prozent dieser Taten als extremistisch anerkannt. Im Jahr 2020 waren es noch 80 Prozent.

Warum ist das so?

Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft für Bayern die von BKA und LKA festgestellten Fälle unter der PMK-Kriminalität nochmal. In der Folge bewertet das Landesamt nur einen Teil der in der polizeilichen Statistik auftauchenden Straftaten als extremistisch. Besonders auffällig ist, dass es im Bereich Rechtsextremismus zunehmend weniger Straftaten als extremistisch anerkennt.

Für die Zahlen 2024 heißt das: 414 Delikte (20 Prozent aller Straftaten) im Bereich der Hasskriminalität wurden vom bayerischen Verfassungsschutz als extremistisch bewertet. 80 Prozent der antisemitischen, rassistischen, antiziganistischen oder queerfeindlichen Straftaten werden von den Sicherheitsbehörden in Bayern hingegen NICHT als extremistisch eingestuft.

  • Im Jahr 2023 wurden noch 25 Prozent aller Hassdelikte als extremistisch eingestuft.
  • Im Jahr 2021 waren es noch 63 Prozent.
  • Und im Jahr 2020 noch ganze 80 Prozent.

Download der gesamten Antwort des Innenministeriums auf die GRÜNE Anfrage inklusive aller Anlagen