Integration und Migration

Diskriminierung von Sinti und Roma beenden

<p><strong>Die Geschichte von Sinti und Roma in Bayern und ihrer Diskriminierung ist auch eine Geschichte von Klischees und Vorurteilen.</strong> Die falschen Bilder gründen auf Unwissenheit und uralten, nicht hinterfragten Vorurteilen und bewirken, dass Sinti und Roma ihre Menschenwürde abgesprochen wird. Arme statt der Armut werden in den Mittelpunkt gerückt.</p>

03. November 2014

Die Ursache der Armut der Roma wird von der Mehrheitsgesellschaft seit langer Zeit als direkte Folge einer unterstellten Unfähigkeit zu einem regelmäßigen Broterwerb, eines Hangs zur Faulheit, einer Neigung zur Gewalt und der Zurückgebliebenheit interpretiert. Die heutigen Vorurteile fußen auf uralten Bildern von ‚Zigeunern‘ die übers Land ziehen, sich überall breitmachen, die fleißigen Menschen bestehlen und betrügen, und Dreck hinterlassen anstatt zu ‚verschwinden‘.

Doch wo hin sollen sie verschwinden? Dorthin, wo sie herkommen, egal woher in Europa. Sinti und Roma sind nicht nur heimatlos, sondern sie werden in Europa, wo sie seit Jahrhunderten leben, so heimatlos gemacht. Mit dieser Heimatlosigkeit ist auch eine Schutzlosigkeit verbunden, die sich in ganz Europa in Verachtung und Diskriminierung niederschlägt.
Wir brauchen eine ernstgemeinte Politik der echten Teilhabe und Integration für die bei uns lebenden Sinti und Roma, in Europa, in Deutschland, in Bayern. 

Europaweit gleichen sich die Bilder von Diskriminierung und Verfolgung von Sinti und Roma. Gemeinsam ist ihnen allen das Schicksal jahrhundertelanger Missachtung und Verfolgung, besonders furchtbar während des Naziregimes in Deutschland. Jedoch kann man die Roma, die größte transnationale Minderheit der EU, nicht als einheitliche Volksgruppe betrachten. Sie sind vielmehr in tausende unterschiedliche Ethnien und Untergliederungen zersplittert. Nicht alle Roma sprechen noch Romanes, nur wenige ziehen umher. Neben Roma und Sinti gibt es weitere Gruppen und nur ein Teil der Roma ist arm.  

Antiziganismus in der Mitte der Gesellschaft

Auch wenn ein großer Teil der Roma integriert ist, sind immer noch viele der zehn bis zwölf Millionen Roma in Europa täglich mit Diskriminierung, Vorurteilen, Intoleranz und sozialem Ausschluss konfrontiert. Die jetzige hohe Arbeitslosigkeit in den Staaten Südosteuropas führt zusammen mit der Diskriminierung der Roma zu einer weiteren Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage. Die Kampagnen in Mitteleuropa gegen die Zuwanderung armer Menschen führen unmittelbar zu einer Verstärkung der Feindseligkeit und Diskriminierung in Süd-Ost-Europa. In Ungarn und Tschechien haben rechtsradikale Aufmärsche Roma bereits das Leben gekostet.

Um den vielfachen Diskriminierungen entgegenzuwirken, hat die EU 2011 eine Roma-Strategie verabschiedet, mit gemeinsamen Zielen und Standards zur europaweiten Integration der Roma bis 2020. In den Kernbereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheit, Wohnungsbau und Antidiskriminierung sollen diese Ziele von den Mitgliedstaaten angepasst an die jeweiligen nationalen Herausforderungen und umgesetzt werden.

Bisher ist der Erfolg der Roma-Integration jedoch unzureichend: Im letzten Umsetzungsbericht der EU Roma Integrationsstrategie vom 2.4.2014 sind die unterschiedlichen Aktivitäten und der Handlungsbedarf der einzelnen Länder dokumentiert. Bezüglich Deutschland wird festgestellt, dass zwar einzelne positive Schritte in einzelnen Kommunen unternommen wurden, aber die Bemühungen intensiviert werden müssen, EU-Mittel dazu weiter eingesetzt werden können und sollen, und auch der Diskriminierung in der Bildung, im Arbeitsmarkt und am Wohnungsmarkt mehr entgegengewirkt werden müsse. Zudem stellt die EU fest, dass in Deutschland Rassismus und Diskriminierung aufmerksamer verfolgt werden müssen und der interkulturelle Dialog, z.B. in Schulen gestärkt werden müsse. In einer engen Zusammenarbeit mit NGOs sollen Sinti und Roma gefördert und in der Wahrnehmung ihrer Rechte gestärkt werden. Leider hat die EU-Kommission keinerlei rechtliche Grundlage, die Umsetzung der Ziele verbindlich anzumahnen.

Da die von der EU in der Roma-Strategie geforderten strukturellen Maßnahmen gegen Diskriminierung, zur Förderung der politischen Teilhabe der Roma und zur aktiven Einbindung von Behörden und Zivilgesellschaft von der Bundesregierung weitgehend ignoriert werden, sollte Bayern könnte eine Vorreiterrolle einnehmen und sich auf der Bundesebene für die Partizipation der Sinti und Roma einsetzen, wie auch in Bayern eine eigene Programm zu mehr Teilhabe und Integration von Sinti und Roma ausarbeiten.

Nicht nur auf dem Balkan, auch in Deutschland werden Roma oft gesellschaftlich abgelehnt und diskriminiert. Laut einer Studie der Universität Bielefeld sagen 40 Prozent der Deutschen, sie würden nicht in der Nachbarschaft von Sinti und Roma wohnen wollen. Und mehr als jeder Vierte forderte, Sinti und Roma sollten „aus deutschen Innenstädten verbannt werden“. Eine wichtige Rolle in der gesellschaftlichen Meinungsbildung haben Medien und Politiker. Es ist daher verantwortungslos, gegen Minderheiten Vorurteile populistisch zu schüren, wie dies im Europawahlkampf vielfach geschah.

Wir fordern ein eigenes bayerisches Programm für mehr Teilhabe und Integration der Sinti und Roma:

  • Stärkung der Selbstorganisation: Um die Teilhabe der Sinti und Roma in diesem Prozess zu gewährleisten, ist eine institutionelle Förderung von Selbstorganisationen notwendig, die sich für die Belange der in Bayern lebenden Sinti und Roma einsetzen. Sie müssen in die Strategieentwicklung eingebunden werden.
  • Entwicklung, Umsetzung und Evaluation von Strategien und Förderangeboten gemeinsam mit den Selbstorganisationen und Verbänden der Sinti und Roma
  • Verstärkte länderübergreifende und internationale Zusammenarbeit bei Überwindung der Diskriminierung, hierzu sollen alle länderübergreifenden Programme und  Aktivitäten genutzt werden, z.B. die EU-Donau-Initiative
  • Ächtung des populistischen Schürens von Vorurteilen zu Lasten von Minderheiten
  • Erinnerung an das Leid und Unrecht, das Sinti und Roma in Deutschland erlitten haben, Geschichtsarbeit und Wiedergutmachung
  • Eine gezielte Sensibilisierung öffentlicher Behörden in Bezug auf Antiziganismus ist erforderlich, da nur so die Bedingungen für eine effektive Gleichbehandlung von Roma geschaffen werden können.

Dem Staat kommt hier eine besondere Verantwortung zu:

  • In Schulen – aber auch in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung – ist für alle Beschäftigten interkulturelle Kompetenz unerlässlich – gerade im Hinblick auf die Diskriminierungs- und Verfolgungserfahrungen von Sinti und Roma
  • Die Erfassung der sog. Hasskriminalität bei Polizei und Justiz verbessern. Bisher gibt es im offiziellen System zur Erfassung politisch motivierter Kriminalität keine eigenständigen Instrumente zur Registrierung antiziganistischer Straftaten
  • Interkulturelle Kompetenz: Vermittlung interkultureller, Roma-spezifischer Kompetenz in sprach- und kultursensiblen Bereichen, um weitere Diskriminierung zu verhindern (das ist insbesondere sinnvoll an Schulen, in den Medien und in der Sozialarbeit - z. B. bei der Arbeit mit Eltern)

Forderungen, um den Antiziganismus und dessen Folgen endlich zu überwinden:

  • Unabhängige Beschwerdestellen: Wir halten es für notwendig, dass es leicht erreichbare unabhängige Anlaufstellen gibt, die Hinweise und Beschwerden über Diskriminierungsfälle bzw. antiziganistische Vorfälle erfassen, dokumentieren und systematisch auswerten. Dies gilt sowohl für den zivilrechtlichen Bereich, als auch für Beschwerden gegenüber Behörden
  • Antiziganismus-Bericht: Es gibt keine belastbaren Daten über die Diskriminierung von in Deutschland lebenden Roma bzw. über politisch motivierte Straftaten gegen sie. Das wollen wir ändern. Wir setzen uns dafür ein, dass regelmäßig ein unabhängiges ExpertInnen-Gremium einen Bericht über Erscheinungsformen und Entstehungsbedingungen von Antiziganismus in Deutschland sowie Präventionsansätze erstellt – wie es ihn zum Thema Antisemitismus bereits seit Langem gibt.