Integration und Migration

Zu Gast in einem Land im Aufbruch: Rumänien

<p><strong>Grüne Abgeordnete machen sich ein eigenes Bild von Rumänien und entdecken ein landschaftlich schönes Land mit vielen Entwicklungsmöglichkeiten und Chancen - Vorurteile zeichnen ein falsches Bild.</strong> Margarete Bause, Christine Kamm, Kerstin Celina, Ulli Leiner und Thomas Mütze besuchten vom 15.03. bis 21.03.15 Rumänien. Anlass der Reise waren die Beziehungen zwischen Rumänien und Bayern, die Debatten zur Abwanderung von Rumänen nach Bayern und die Situation der Roma in Europa.<br>

27. März 2015


Bereits bei der Ankunft in Bukarest wird klar, dass Rumänien ein Land im Wandel ist. Eine Stadtführung zeigt Plattenbauten aus kommunistischen Zeiten, die neben historischen Gebäuden aus den Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg stehen, an denen man den Beinamen der Stadt – Paris des Ostens – noch erahnen kann. Durch die rasante Entwicklung der letzten Jahrzehnte kommen nun auch immer mehr moderne Gebäude des 21. Jahrhunderts in das Stadtbild hinzu. Auch die Stadtbevölkerung ist ähnlich kosmopolitisch. Die Stadtjugend ist europäisch, global und wird wie in Bayern von Smartphones und Markenklamotten geprägt.

Die ältere Generation kann sich noch an das Leben im kommunistischen Rumänien unter Ceaușescu erinnern und berichtet davon, wie es war, als man Hausaufgaben bei Kerzenlicht machen musste, es kaum was zu essen gab und wie dabei ganze Stadtviertel in Bukarest nach den Vorstellungen von Ceaușescu umgebaut wurden, ohne Einverständnis der Bevölkerung und ohne Achtung des historischen Wertes der Gebäude.
Wichtige Stationen der Stadtführung waren der Besuch des Gedenkmales anlässlich der Rumänischen Revolution von 1989 und der Massenproteste mit mehreren Toten am 22. Dezember 1989, in deren Verlauf das Ehepaar Ceaușescu und die Regierung die Machtverlor und aus Bukarest fliehen musste. Auch das Athenäum und die Innenstadt von Bukarest waren Bestandteil der Stadtführung.

Angst vorm Brain-Drain

In den Gesprächen in Bukarest mit dem deutschen Botschafter Lauk, der deutschen Außenhandelskammer, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Vertretung der Europäischen Kommission und der Ministerin für Arbeit und Soziales und der Umweltministerin konnten Einblicke und Zusammenhänge der Probleme und Entwicklungen Rumäniens gewonnen werden. „Rumänien leidet unter der als Braindrain bezeichneten Abwanderung, bei der ausgebildete Fachkräfte und junge Leute das Land verlassen, um im Ausland Arbeit zu finden. Von 20. Mio. Einwohnern leben offiziell ca. 3-5 Mio. im Ausland, inoffiziell sind es wohl noch mehr. In Rumänien fehlt es dadurch oft an Fachkräften. Lehrer zum Beispiel sind dringend benötigt. In einem Gespräch mit der Leiterin eines Altenheimes wurde uns davon berichtet, dass händeringend nach Stationsleitungen und Pflegedienstleitungen gesucht wird. Arbeitnehmer werden direkt in Rumänien abgeworben. Die Probleme verschärfen sich dadurch, so Margarete Bause.

Vor allem Spanien, Italien und Frankreich waren begehrtes Auswanderungsziel. Was aufgrund der gemeinsamen Ursprungssprache geschah. Aufgrund der wirtschaftlich schlechter werdenden Situation in diesen Ländern wird nun Deutschland ein immer begehrteres Ziel.  „Entgegen einiger Behauptungen ist die Anzahl der Auswanderer seit Beginn der Arbeitnehmerfreizügigkeit aber nicht plötzlich angestiegen, sondern vielmehr konstant geblieben. Die von der CSU begonnene Debatte versucht, uralte Vorurteile populistisch auszuschlachten, ihre Argumentationen haben aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun!“, so Christine Kamm.

Zurückzuführen ist der Auswanderungswille auf die sehr niedrigen Gehälter. Eine Krankenschwester verdient umgerechnet ca. 200€ Netto, Lehrer um die 250€ und Kassiererinnen circa 110€ Netto im Monat. „Rumänien ist im europäischen Vergleich zudem das Land, was am wenigsten für sein Gesundheitssystem ausgibt. 20.-30. Tausend Ärzte und Ärztinnen haben mittlerweile das Land verlassen, um im Ausland zu arbeiten. Das Lohnniveau muss unbedingt angehoben werden. Ein Arzt in einem staatlichen Krankenhaus verdient ca. 500€ im Monat.“, so Ulli Leiner. Um leben zu können, werden diese Gehälter mit Privatleistungen aufgestockt, die gesundheitliche Versorgung für Mehrheit der Bevölkerung verbessert sich dadurch nicht.

Die Lebenshaltungskosten in Rumänien sind dabei aber nur teilweise niedriger, als in Westeuropa. Benzin, Elektronik, Klamotten und viele andere Importwaren sind fast genauso teuer, wie in Deutschland oder im Fall von Benzin sogar deutlich teurer.

Die rumänische Wirtschaft hat hohe Wachstumszahlen. Auch ausländischen Investoren und Unternehmern ist dies zu verdanken. Das niedrige Lohnniveau und die geringeren Unternehmenssteuern machen Rumänien zu einem beliebten Ziel für ausländische Unternehmen. So findet man auch viele Unternehmen aus Deutschland in Rumänien. Wichtige Säulen sind hier die Automobilindustrie und der IT-Bereich. „Vor allem im IT-Bereich verfügt Rumänien über einen großen Pool an sehr gut ausgebildeten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen. Auch die rumänischen Schüler wünschen sich eine Ausbildung. Rund 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler streben einen Universitätsabschluss an. Es muss diesen Schülern und Schülerinnen aber möglich sein, auch in ihrem Heimatland arbeiten zu können. Rumänien ist auf seine junge Generation mit diesem enormen Potenzial angewiesen. Es braucht junge Menschen, die im Land aktiv gegen die Probleme vorgehen!“ fordert Kerstin Celina.

Problematisch für die Wirtschaft ist weiterhin, dass für ausländische Unternehmen und Investoren Rumänien deswegen so interessant ist, weil das Lohnniveau so niedrig ist. „Rumänien fehlt es an ausreichenden eigenen Gründungsinitiativen, Infrastruktur und einer ausgebauten Anbindung an Europa. Die sehr hohen Zinsen bei der Kreditfinanzierung von 11 Prozent Zinssatz hemmen die Entwicklung von eigenen rumänischen kleineren mittleren Unternehmen. Ausländische Unternehmer können Kredite weit günstiger finanzieren. Die strukturelle Benachteiligung von KMUs ist ein großes Problem, so Thomas Mütze. Positiv hervorzuheben ist, dass Rumänien im Gegensatz zu vielen anderen EU-Staaten die Maastricht-Kriterien erfüllt und auch gute Wachstumszahlen vorweist.
Für die zukünftige Entwicklung ist eine Verbesserung der Infrastruktur dringend erforderlich. In das Bahnnetz muss erheblich investiert werden, auch die Reisezeiten auf den Straßen sind beträchtlich. 

Deutschland ist auf Platz 1 der beliebtesten Länder aus rumänischer Sicht. Die vermeintlich deutschen Tugenden wie Pünktlichkeit, Fleiß und Ehrlichkeit stehen hoch im Kurs bei den Rumänen. Auch deutsche Unternehmen zählen zu den beliebtesten Arbeitgebern. Da sie die Gehälter pünktlich zahlen, soziales Engagement beweisen, ihre Arbeitnehmer fair behandeln und wirtschaftlich stabil sind. Rumänien und Bayern sind stark miteinander verbunden. Im Jahr 2014 lag das gemeinsame bilaterale Handelsvolumen von Bayern und Rumänien bei rund 4,5 bis 5. Milliarden Euro. Der Handelspartner Deutschland steht an erster Stelle des rumänischen Handelsvolumens, Rumänien dagegen steht auf Platz 25 des deutschen Volumens.

„Rumänien wird durch eine ineffiziente Verwaltung, welche im Gegensatz zu Deutschland zentral aufgebaut ist, in seiner Entwicklung gehindert. EU-Fördergelder werden beispielsweise nicht effizient abgerufen und eingesetzt. Korruption und Vetternwirtschaft in großen Teilen der Verwaltung und des politischen Systems verschlechtern die Situation weiter. Aber die Justiz arbeitet. So wurden während unseres Aufenthalts in Rumänien wurde Horia Georgescu, Direktor der Nationalen Agentur für Integrität (ANI), der Behörde zur Bekämpfung von Korruption, wegen Korruptionsverdachts festgenommen. In unseren Gesprächen wurde immer wieder deutlich, dass korrupte Politiker geradezu verachtet werden. Deswegen setzt das rumänische Volk auch hohe Hoffnungen in den neuen Präsidenten Klaus Johannis, der einen ausgezeichneten Ruf hat und als nicht korrupt gilt.“, so Margarete Bause.

Neben der allgemeinen Lage und den wirtschaftlichen und sozialpolitischen Themen war auch die Lage der Romabevölkerung und der Umsetzung von Antidiskriminierungsgesetzen ein Schwerpunkt der Reise nach Rumänien. „Bei Gesprächen mit der staatlichen Agentur für Roma Herr Vasile, dem Besuch einer Schule mit einem hohen Roma-Anteil und Gesprächen mit Vertretern mehrerer Roma-NGOs zeigt sich, dass die Probleme der Roma nicht primär ein Problem der Ethnie ist, sondern eines der sozialen Lage. Hohe Analphabetisierungsraten, schlechte Ausbildung in Verbindung mit vielen Vorurteilen gegenüber Roma und auch mangelndem Integrationswillen mancher Roma verursachen viele Probleme. Doch es gibt viele sinnvolle Projekte, die gegen diese Probleme vorgehen. Das Ziel hierbei muss sein, das Bildungsniveau zu erhöhen, Arbeitszugang zu erleichtern, Romainitiativen an der Basis zu unterstützen – hier kommen viel zu wenige EU-Mittel an! - und eine tolerante und gleichberechtigte rumänische Gesellschaft zu schaffen.“, so Christine Kamm.

Sanfter Tourismus und Bio-Landbau haben Perspektive

Am Donnerstag ging die Reise weiter nach Hermannstadt in Siebenbürgen. In Gesprächen mit Siebenbürger-Sachsen und dem Besuch einer Waldorfschule für Roma-Kinder informierten sich die Abgeordneten über die Besonderheiten in Rumänien. „Es ist erstaunlich, welchen Einfluss die deutsche Minderheit hier über Jahrhunderte hatte und auch heute mit gerade einmal 40 Tausend Angehörigen noch hat. 66 Prozent des Stadtrates von Hermannstadt sind Angehörige der deutschen Minderheit aber gerade einmal 1 Prozent der Stadtbewohner zählen zu dieser Minderheit. Die mit dem Deutschsein verbundenen Sekundärtugenden wie Fleiß und Pflichtbewusstsein genießen hier ein hohes Ansehen“, berichtet Kerstin Celina. Sehr positiven Eindruck hatten die Abgeordneten auch von den Schul-, Afterschool-, Kunst- und Öko-Initiativen, die die Abgeordneten besuchten.

Am Ende der Reise stand für alle fest, dass Rumänien ein Land mit einer atemberaubend schönen Landschaft und einer ebenso vielfältigen Gesellschaft ist und es geschafft hat, alle Reiseteilnehmer für Rumänien zu begeistern. Ein Musterland für Umwelttourismus mit noch viel Potential nach oben, und ein Land mit viel biologischer Landwirtschaft und guten Bio-Produkten, so Ulli Leiner. Auch die alten Städte und Kirchenburgen sind eine Reise wert.

Die Abgeordenten hatten nach ihrer Reise ein sehr positives Bild von Land und Leuten, und ja, alle werden sicher Rumänien sicher noch mal besuchen, es gibt so viel zu entdecken und auch gute Perspektiven für gemeinsame Projekte. Sie werden gerne in Kreis- oder Ortsverbänden über ihre Reiseeindrücke berichten.


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