Kommunale Fragen

Mit Selbstbewusstsein und Kreativität dem Schrumpfen trotzen

<p><strong>Auf den Wohnungsmärkten bayerischer Ballungsräume brennt derzeit die Luft.</strong> Angesichts eines erheblichen Mangels an Wohnraum und explodierender Mieten darf aber nicht vergessen werden, dass es Regionen gibt, die von Leerstand und Verfall der Immobilienpreise betroffen sind.

16. Oktober 2015

Weil die Grüne Landtagsfraktion bei der Wohnungspolitik den gesamten Freistaat im Fokus hat, hat sie mit der Auftaktveranstaltung der Reihe "Bauen, Wohnen, Grüner Leben" in Marktredwitz ein klares Zeichen für gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land gesetzt.

Es ist wichtig in die Regionen zu gehen, ein offenes Ohr für die Menschen dort zu haben, um sich selbst ein Bild von der Situation machen zu können, betonten die oberfränkische Gastgeberin und Landtagsvizepräsidentin Ulrike Gote sowie der wohnungspolitische Sprecher der Grünen Landtagsfraktion, Jürgen Mistol, bei der Begrüßung. Das Fachgespräch „Dem Schrumpfen trotzen – wohnungspolitische Strategien in Abwanderungsregionen“ beleuchtete, welche Herausforderungen speziell für den Immobilien- und Wohnungsmarkt, aber auch Chancen der demografische Wandel den betroffenen Regionen bringen kann und welche Maßnahmen dazu vor Ort aber auch auf Landesebene notwendig sind, um der ungleichen Entwicklung von Stadt und Land im Freistaat etwas entgegenzusetzen.

Prof. Dr. Lothar Koppers (Direktor des Instituts für angewandte Geoinformatik und Raumanalysen e.V., Hochschule Anhalt und Mitglied der Enquête-Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern“) ging im Rahmen seinen Vortrags insbesondere auf die Immobiliensituation in schrumpfenden Regionen ein. So werde beispielsweise der Raum Marktredwitz in den nächsten 40 Jahren einen Rückgang der Bevölkerung um 40 % verzeichnen müssen. Die Folgen seien mehr Leerstände, sinkende Nachfrage und schließlich die daraus resultierende Wertminderung von Grundstücken und Immobilien. Daher sieht er den Werterhalt bestehender Wohnhäuser ebenso als zentrales Anliegen wie neue Investitionen in Wohnungen. Generell mangele es an qualitativ hochwertigem Wohnraum. „Zwischen sozialem Wohnungsbau und Eigenheim gibt es hier relativ wenig Möglichkeiten“, so Koppers. Eine Trendwende der Bevölkerungsentwicklung und des demografische Wandel im ländlichen Raum könnte durch Migration erreicht werden. „Deutschland braucht einen Zuzug von jährlich 300.000 Menschen, um den Bevölkerungsschwund aufzuhalten.“ Um anerkannte Flüchtlinge für den ländlichen Raum zu werben und dauerhaft in der Region zu halten, brauche es jedoch entsprechende Anreize und Zugänge. Deutliche Kritik äußerte er an der weiteren Zersiedlung und den damit verbundenen Flächenfraß durch das Bauen auf der grünen Wiese, währenddessen Ortskerne veröden und ausbluten würden. „Die Nahversorgung komme nur dann wieder in die Zentren zurück, wenn sie zwischenzeitlich nicht verlottert.“

Politik kann wichtige Leitlinien und Anreize schaffen

Dass weniger durchaus mehr sein kann, verdeutlichte Dipl.-Ing. Heike Brückner (Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Bauhaus Dessau und Projektleiterin Urban Farm Dessau). Nachdem die Einwohnerzahl in Dessau in den 90er Jahren die Einwohnerzahl von 100.000 auf 68.000 sank, wurde ein Paradigmenwechsel eingeläutet und vom Postulat des Wachstums abgerückt. Stattdessen wurde dem Leerstand mit Bagger und Schaufel begegnet. Entstanden ist dank aktiver Bürgerbeteiligung eine „neue Stadtlandschaft urbaner Qualität“ mit im wahrsten Sinne des Wortes neuen (Frei)Räumen. Wo Gebäude fehlen, entsteht Landschaft“, so Brückner. Zwischen „Stadtinseln“ wurden deshalb Rückbau- und Brachflächen für urbane Landwirtschaft und den Anbau nachwachsender Rohstoffe nutzbar gemacht. Das Ergebnis sind klimaproduktive Räume, also Stadtwälder, Urban Farming zum Anbau gesunder Lebensmittel, Anbauflächen für Energiepflanzen, Strukturen der Nah- und Selbstversorgung, sowie Quartiersökonomien mit eigenen Stoff- und Energiekreisläufen, die „zugleich als neuartige Lernorte dienten, an denen ökonomische Wertschöpfung mit Bildungs- und Sozialarbeit verknüpft wird. „Wir nehmen eine Vorreiterrolle in Nachhaltigkeitsfragen ein“, berichtet Brückner stolz.  Dafür wurde das Projekt auch als „Pionier des Wandels im ländlichen Raum“ ausgezeichnet. Der Prozess sei so ermutigend gewesen, dass bereits an einer Weiterentwicklung des Konzepts gearbeitet werde. Potentiale zur Aktivierung und Verwirklichung neuer Ideen sind ausreichend vorhanden. Die nachhaltige Gestaltung von Gebäuden als städtische Einheit ist eine neue Herausforderung, das Bild der Stadt zu verändern.

„Ort schafft Mitte“ lautet der Leitsatz des Modellvorhabens der Obersten Baubehörde, das Dipl.-Ing. Rainer Goldstein (Abteilung Wohnungswesen und Städtebauförderung bei der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern für Bau und Verkehr) präsentierte. Dadurch sollen neue Wege und Instrumente der Ortsmittenstärkung entwickelt und erprobt werden. Ziel ist es, vom demografischen Wandel stark betroffene Kommunen mit passgenauer Förderung in einem „kleinteiligen Häuserkampf“ bei der Bewahrung des Stadtkörpers zu unterstützen. So unterstützt der kommunale Entwicklungsfonds Kommunen seit 2014 bei der Leerstandsbeseitigung und Innenentwicklung. Entscheidend sei dabei, dass die Daseinsvorsorge in den Innenstädten verortet ist. Beispielsweise hatte sich die niederbayerische Modellkommune Freyung entschlossen, keinen Einzelhandel auf der grünen Wiese zuzulassen. Diese hätte dazu beigetragen, Läden in der Innenstadt zu halten und gleichzeitig auch eine Ladennutzung in den Obergeschossen zu erreichen. Gleichzeitig empfahl er Kommunen, sich von der Idee des „weißen Ritters“ in Form eines Investors von außen, zu verabschieden. Stattdessen seien neben kommunalen Projekten vor allem Investition von Privatleuten der Schlüssel, um langfristig Leerständen und Brachflächen in Ortskernen und Innenstädten zu begegnen, zumal sich der Gebäudebestand überwiegend in privater Hand befindet. „Die große Chance einer aktivierenden Stadterneuerungsstrategie besteht vor allem darin, Bürgerinnen und Bürgern mit Hilfe der Städtebauförderung Investitionsmöglichkeiten in ihrer Heimatkommune aufzuzeigen“, betont Goldstein.

In der anschließenden Diskussion mit den Teilnehmer*innen und Referent*innen wurde deutlich, dass die Politik wichtige Leitlinien und Anreize setzen kann. Gleichzeitig ist der Freistaat in der Pflicht, mit der Städtebauförderung und über den kommunalen Finanzausgleich für eine ordentliche finanzielle Ausstattung der Kommunen in strukturschwachen Regionen zu sorgen. Kommunen selbst sollten Schrumpfen als Herausforderung begreifen. Wer sich dieser offen stellt und zudem die Bevölkerung in den Wandlungsprozess aktiv mit einbezieht, kann mit Selbstbewusstsein und kreativen Ideen den ländlichen Raum attraktiv und zukunftsfähig machen.