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Tanzverbot abschaffen
Stille Tage neu regeln
01. November 2021
Obwohl Tanz schon seit Jahrhunderten als „sündig“ unter Dauerverdacht steht, ist es die im Grundgesetz erhalten gebliebene Weimarer Reichsverfassung, die uns bis heute Tanzverbote beschert. Bayern spielt auch beim Tanzverbot selbstverständlich gleich ganz vorne an der Weltspitze mit. Was Deutschland in der niederländischen Wikipedia unter den Schlagwort „Tanzverbot“ sogar die fragwürdige Alleinlistung mit dem Iran und Afghanistan eingebracht hat. Warum Tanz schlechterstellen als Sport? – Ein Plädoyer für die Bewegung!
Es ist vermutlich nicht der FDP anzukreiden, dass sie als kleiner Koalitionspartner unter der Schwarzen Rute der CSU 2013 nur die zwei Stündchen Lockerung hinbekommen hat – mehr Augenwischerei als wirkliche Veränderung und gut für Wirtsleute, die zwei Stunden länger Umsatz machen können. Für die Tanzenden aber hat sich wenig geändert.
Ein Blick auf die Fakten im Oktober 2021
Bayern hat eines der strengsten Feiertagsgesetze der Republik. Rechtsgrundlage des Gesetz über den Schutz der Sonn- und Feiertage – „Feiertagsgesetz“ (FTG) ist das Grundgesetz (GG), welches sich bei diesem Thema auf die Weimarer Reichsverfassung (WRV) beruft: Art. 140 GG, in Verb. mit Art. 139, WRV besagen:
- Art. 140 GG: „Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.“
- Art. 139 WRV:„Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“
Feiertag ≠ stiller Tag
Bayern ist spitze! Das gilt auch für die Feiertage – Bayern hat, zählt man die regionalen Feiertage wie Mariä Himmelfahrt mit, die meisten Feiertage der gesamten Republik. Dazu kommt eine üppige Zahl sogenannter „stiller Tage“, an denen man zum Teil sogar arbeiten muss. Die über den regulären Sonntagsschutz hinausgehende Bedeutung der sogenannten „stillen Tage“ ist überholt. Es dürfen bisher z.B. sehr wohl am laufenden Band Schweinehälften bei hoher Geschwindigkeit zerteilt werden – tanzen aber ist an diesen „stillen Tagen“ aktuell ab 2:00h in der Früh verboten. Grund: damit die „seelische Erhebung“ ab 2:00h geschützt bleibt. Obwohl manche Clubbing-Fans doch wissen, dass eigentlich nur beim Tanzen die seelische Erhebung wirklich garantiert ist.
Ganz legal: öffentliches Besäufnis an stillen Tagen
Unterhaltung ist übrigens bisher generell an stillen Tagen nur erlaubt, wenn dadurch der „ernste Charakter“ dieser Tage gewahrt bleibt. Das alljährliche öffentliche CSU-Besäufnis in Passau am stillen Tag Aschermittwoch ist natürlich erlaubt – es ist ja auch keine Unterhaltung, sondern „Politik“. Und „Politik“, insbesondere in Verbindung mit Bier, wahrt den „ernsten Charakter“. Nicht wahr?! Diese hochinteressante Bewertung stiller Tage durch den (erlaubten) Politischen Aschermittwoch haben wir Grüne bereits 2013 bei der letzten Überarbeitung des FTG kritisiert, wo in dem bereits erwähnten “Reförmchen“ eine windelweiche und willkürliche Anpassung mit der Verschiebung der Sperrstunde von 0:00h auf 2:00h eingeführt wurde.
Gesellschaft ist permanent im Wandel, darum sollten wir auch die Regeln, nach denen wir zusammenleben möchten, regelmäßig überprüfen. Einige unserer Feiertage sind zum Teil erst wenige Jahre alt und durch eine geschichtlich jüngere Neubewertung entstanden. „Das war aber doch schon immer so“ ist also für mich kein Argument, Dinge so zu lassen, wie sie sind. Zumal Feiertage und stille Tage keineswegs „schon immer“ so waren, wie sie sind. Viele dieser besonderen Tage sind noch jung, einige, wie der Josefitag, dem heute noch mit dem Starkbieranstich „gedacht“ wird, oder der Buß- und Bettag, an dem in Bayern immer noch schulfrei ist, wurden erst in jüngster Zeit als Feiertage abgeschafft.
Viele Kulturen und Religionen kennen Tage des Innehaltens, der Ruhe und der stillen Einkehr. Was ist z.B. mit dem jüdischen Buß-Tag Yom Kippur, an dem in ganz Tel Aviv kein Auto fährt? Dass Tage der Ruhe rein christlich definiert werden, ist nicht mehr zeitgemäß.
Gegen Abschaffung stiller Tage – aber für Gleichstellung von Tanz und Sport
Wir Grüne fordern jedoch keine Abschaffung oder generelle Umstellung, wohlwissend, dass Feiertage und stille Tage für viele Menschen immer noch eine große Bedeutung haben. Was wir fordern, ist eine Gleichstellung der Kultur und insbesondere des Tanzes. Denn: Sport ist an den stillen Tagen in Bayern schon lange erlaubt. Öffentliche Wettbewerbe im Boxen, Karate oder Schießen finden also zurecht statt, während Tanzen verboten ist? Das müsste sogar der Schwarz-Orangenen Koalition auffallen, dass hier eine Schieflage herrscht.
Allzu gerne blicken wir moralisch überlegen hinab auf Länder, in denen Religion staatliches Agieren stark beeinflusst. So genießt die Haltung einiger islamisch geprägter Länder zum Tanz in Deutschland sehr wenig Ansehen. Kaum kommt in Bayern ein stiller Tag daher, verbieten aber auch wir den „sündigen“ Tanz?! Da wünsche ich mir doch ein wenig mehr Mut, meine Damen und Herren der CSU! Die Freien Wähler regieren im Bund ja nicht mit, die wissen es also nicht besser. Darum hier zur Info noch mal:
Clubs sind Kulturorte. Sagt der Deutsche Bundestag.
Clubs werden durch die Entscheidung des Bundestags vom Mai 2021 kulturellen Einrichtungen gleichgestellt und als Kulturorte anerkannt. Der Beschluss ging auf eine interfraktionelle Initiative aller demokratischen Parteien zurück. Die „Zuhause mit der Partnerin tanzen“-Staatsregierung zeigte in der Pandemie wenig Verständnis für die Fans der Nachtkultur. Vielleicht ändert sich das ja mit unserer Initiative. Eine Schlechterstellung von Nachtkultur gegenüber Sport und anderen Bereichen des Lebens ist jedenfalls nicht mehr länger hinzunehmen.
Das Bundesverfassungsgericht pfiff Bayern bereits 2016 mit seiner damals in der BRD singulär besonders strengen Regelung zurück. Jegliche Ausnahme vom Schutz eines stillen Tages von vorneherein auszuschließen widerspreche dem Grundgesetz. Seither kann man eine Demo für den Tanz anmelden und so sein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auch in Bayern und auch an stillen Tagen ausüben. Was ich mir wünsche, wäre ein Weniger an Regulierungswut und ein Mehr an …
… einfach tanzen!