Mobilität

3. Startbahn: Baurecht soll angeblich ewig gelten

Vorzeitiger Baubeginn von Nebenbaumaßnahmen verhindert laut Staatsregierung die rechtliche Verjährung

19. November 2020

Im Allgemeinen verjähren Planfeststellungsbeschlüsse für Flughäfen nach § 9 Abs. 3 LuftVG zehn Jahre nach Eintritt der Unanfechtbarkeit, sofern mit dem Bauvorhaben noch nicht begonnen wurde. Für die dritte Start- und Landebahn am Flughafen München bedeutet das konkret eine Verjährungsfrist von zehn Jahren ab dem 4. März 2016 (Datum der Unanfechtbarkeit des  Planfeststellungsbeschlusses laut Bayerischem Verkehrsministerium). Bisher gingen politische Akteur*innen verschiedener Parteicouleur davon aus, dass der Planfeststellungsbeschluss für die dritte Bahn wie üblich der Verjährung unterliegt. Die Antwort der Staatsregierung auf eine Anfrage von Johannes Becher, regionaler Grünen-Landtagsabgeordneter für die Flughafenregion, zeichnet nun allerdings ein gänzlich anderes Bild. Mit der Durchführung des Plans sei bereits begonnen worden, der Planfeststellungsbeschluss könne  dementsprechend nicht mehr außer Kraft treten, die Frage nach Verjährung bzw. einer möglichen Verlängerung stelle sich somit nicht.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag, das Aktionsbündnis AufgeMUCkt und der Bund Naturschutz Bayern (BN) kritisieren den Standpunkt der Staatsregierung aufs Schärfste. „Mit dem Beginn von Baumaßnahmen, die keinerlei
unmittelbaren Zusammenhang mit der dritten Bahn aufweisen, versucht die Staatsregierung die Verjährung für das Bauprojekt „dritte Startbahn“ auszusetzen und quasi ein Baurecht „für die Ewigkeit“ zu schaffen. Damit hat sie nicht nur die politische Opposition, sondern auch die Startbahn-Gegnerinnen und -Gegner in den eigenen Reihen vorsätzlich an der Nase herumgeführt. Für die Menschen und Kommunen in der Flughafenregion würde die Staatsregierung ein Damoklesschwert für die Ewigkeit manifestieren! Da könnte dann 2028, 2035, 2050 – je nachdem wann die Mehrheiten und Gegebenheiten gerade passen – das Baurecht aus der Schublade gezogen werden und ohne weiteres Verfahren gebaut werden. Mit einem Plan von 2007“, verdeutlicht Johannes Becher.
 
AufgeMUCkt-Sprecher Dr. Christian Magerl bewertet die Rechtsauffassung der Staatsregierung als rechtlich fraglich: „Es gibt durchaus Juristinnen und Juristen, die dezidiert eine andere Rechtsmeinung vertreten. In der juristischen Fachliteratur wird in ähnlich gelagerten Fällen von einer unzulässigen „Vorratsplanung“ gesprochen. Demnach müsse der Planfeststellungsbeschluss wie üblich der Verjährung unterliegen. Wir werden die Interpretation der Staatsregierung deshalb auf jeden Fall juristisch überprüfen lassen.“ Magerl ergänzt: „Eines ist klar: Der Widerstand steht! Wir lassen uns nicht einlullen. Das dünne Eis, auf das sich die Staatsregierung mit dieser Rechtsauffassung gestellt hat, wird dem politischen Gegenwind aus der Region nicht standhalten. Die CSU wird damit ebenso baden gehen, wie sie das mit ihren fadenscheinigen Argumenten für den Bau der dritten Bahn schon lange gegangen ist!“ Landtags-Grüne, AufgeMUCkt und BN fordern die Staatsregierung eindringlich auf, sich endlich ehrlich zu machen. Das Bauprojekt für eine dritte Start- und Landebahn
am Flughafen München, das weder mit den klimapolitischen Notwendigkeiten unserer Zeit vereinbar noch mit den tatsächlichen Bedarfen an Flugbewegungen begründbar ist, muss endgültig vom Tisch. Diese politische Entscheidung ist überfällig. Dazu
Dr. Christine Margraf, stellvertretende Landesbeauftragte des BN: „Statt mit juristischen, aus unserer Sicht extrem fragwürdigen Spitzfindigkeiten doch noch einer 3.Bahn den Weg offen zu halten, muss die Staatsregierung ihre politischen Ankündigungen für Klima-, Flächen- und Naturschutz endlich ernst nehmen und die dritte Bahn rechtsverbindlich beenden. Unsere Argumente gegen die dritte Startbahn sind richtiger und aktueller denn je. Es ist extrem unverantwortlich, nach wie vor ein vermeintlich unendliches Wachstum des Flugverkehrs zu verfolgen und damit die Rolle des Luftverkehrs für die Klima- und Biodiversitäts-Krise einfach zu ignorieren.“
Tobias Eschenbacher, Oberbürgermeister der Stadt Freising, betont zudem die Auswirkungen auf die Menschen und Kommunen der Flughafen-Region: „Für die Stadt Freising bedeutet das „schwebende“ Baurecht eine nicht endende Hängepartie für unsere Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die zukünftige Stadtentwicklung. Die Einschränkungen für die Stadt Freising sind nicht hinnehmbar und müssen endlich beendet werden.“ Juristisch ist aus Sicht von Landtags-Grünen, AufgeMUCkt und BN eine Änderung des Planfeststellungsbeschluss (Streichung der dritten Bahn) bei gleichzeitigem Erhalt des Baurechts für die dann noch relevanten  Teilvorhaben hierfür die richtige Lösung. Diese wurde in einem Antrag der Landtags-Grünen bereits vorgelegt und fordern die  Staatsregierung sowie die Regierungsfraktionen nun zu nochmaliger und eingehender Reflexion des Anliegens auf.


Zum Hintergrund
Über 15 Jahre bereits schwelt der Konflikt um die Pläne für den Bau einer dritten Start- und Landebahn am Flughafen München: am 26. Juli 2005 erteilte die Gesellschafterversammlung der Flughafen München GmbH (FMG) die Freigabe für entsprechende Planungen. Am 24. August 2007 wurden die Unterlagen für das Planfeststellungsverfahren für das Bauprojekt eingereicht. Bis heute ist die 3. Start- und
Landebahn jedoch nicht im Bau, was unter anderem an den bereits 2005 aufkeimenden Protesten der AufgeMUCkt-Initiative und am Bürgerentscheid vom 17. Juni 2012 in der LH München liegt. Ein großer grüner Erfolg – gemeinsam mit den Bürgerinitiativen und Naturschutzverbänden.
Nichtsdestotrotz ist die dritte Bahn noch immer nicht vom Tisch. CSU und Freie Wähler einigten sich in ihrem Koalitionsvertrag 2018 lediglich auf ein Moratorium: Bis 2023 sollten die Pläne vorerst auf Eis liegen. Am 16. September 2020 verkündete Ministerpräsident Söder, den Bau einer dritten Bahn sogar bis 2028 nicht weiter verfolgen zu wollen. Der Antrag der Landtags-Grünen (Drucksache 18/10681), der forderte, die Pläne für den Bau einer dritten Start- und Landebahn am Flughafen München endgültig ad acta zu legen und dementsprechend das Bauvorhaben aus dem Landesentwicklungsplan sowie aus dem Planfeststellungsbeschluss zu streichen,
wurde dagegen von einer Mehrheit aus CSU, Freien Wählern, FDP und AfD am 10. November 2020 im Verkehrsausschuss abgelehnt. Die dritte Bahn schwebt also nach wie vor wie ein Damoklesschwert über der Flughafenregion.


Verjährung eines Planfeststellungsbeschlusses
Bisher gingen politische Akteure davon aus, dass der Planfeststellungsbeschluss für die dritte Bahn wie üblich der Verjährung unterliegt. Im Allgemeinen verjähren Planfeststellungsbeschlüsse für Flughäfen nach § 9 Abs. 3 LuftVG zehn Jahre nach Eintritt der Unanfechtbarkeit, sofern mit dem Bauvorhaben noch nicht begonnen wurde. Für die dritte Start- und Landebahn am Flughafen München bedeutet das konkret eine Verjährungsfrist von zehn Jahren ab dem 4. März 2016 (Datum der Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses laut Bayerischem Verkehrsministerium).
Auf Antrag des Vorhabenträgers, hier Flughafen München GmbH, kann die Genehmigungsbehörde, hier die Regierung von Oberbayern, die Frist um bis zu weitere fünf Jahre verlängern. Dieser Verwaltungsakt unterliegt entsprechenden Verfahren: Es bedarf einer Begründung und vor der Entscheidung über die Verlängerung sind die Planbetroffenen anzuhören. Zudem wird Betroffenen der Rechtsweg eröffnet.
 
Auch Landtagsabgeordnete anderer Parteicouleur beziehen sich auf diese Verjährungsfrist. Benno Zierer (Freie Wähler) sagte am 11. November in der Moosburger Zeitung: „Ungeachtet dessen sind wir der Auffassung, dass bei einer möglichen Verlängerung des Planfeststellungsbeschlusses im Jahr 2025 die Genehmigungsvoraussetzungen neu geprüft werden müssten.“ Auch Ulrike Scharf (CSU) äußerte in der Sitzung des Verkehrsausschusses am 5. November 2019, dass sie davon ausgehe, das Baurecht für die dritte Start- und Landebahn bestehe bis 2025.

Staatsregierung: Planfeststellungsbeschluss bereits in der Umsetzung In der Antwort auf eine Anfrage von Johannes Becher, vertritt die Staatsregierung die Position, dass mit der Durchführung des Plans bereits begonnen worden sei und der Planfeststellungsbeschluss dementsprechend nicht mehr außer Kraft treten könne. Die Frage nach Verjährung bzw. einer möglichen Verlängerung stelle sich somit
nicht. Konkret befinden sich laut Aussagen der Staatsregierung folgende Teilvorhaben des Planfeststellungsbeschlusses in der Umsetzung:

  • Die Verlängerung des S-Bahntunnels nach Osten mit dem Tunnelbauwerk „Erdinger Ringschluss“,
  • der Ausbau des Flughafenzubringers Ost sowie
  • die teilweise Erweiterung des Vorfeldes Ost.

Landtags-Grüne, AufgeMUCkt und BN sehen hierin keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der dritten Startbahn und fordern die Staatsregierung auf, das Bauprojekt endlich politisch ad acta zu legen.

Die Schriftliche Anfrage von Johannes Becher finden Sie hier