Dokumentation zum Dialog "Psychisch erkrankt – Wie gelingt der Weg (zurück) in den Beruf?"
Anlässlich der Woche der Seelischen Gesundheit haben wir zur Veranstaltung „Psychisch erkrankt – Wie gelingt der Weg (zurück) in den Beruf?“ geladen, um in einen gemeinsamen Dialog zwischen Betroffenen, Expert*innen, Wirtschaft und Politik zu treten.
15. Oktober 2020
Anlässlich des World Mental Health Day haben wir am 10. Oktober 2020 mit der Veranstaltung ,,Psychisch erkrankt – Wie gelingt der Weg (zurück) in den Beruf?‘‘ Betroffenen einen Raum für Diskussion gegeben und Expert*innen geladen, die die Vielschichtigkeit und Aktualität der Herausforderungen zu den Möglichkeiten der Behandlung und den Umgang mit Betroffenen aufgezeigt haben.
Rehabilitation nach einer Hüft- oder Knieoperation kennt jeder. Aber wie sieht es aus bei psychischen Erkrankungen? Wie gelingt die Teilhabe am Berufsleben mit einer psychischen Erkrankung, wie verhalte ich mich am besten am Arbeitsplatz? Psychische Erkrankungen sind häufig noch immer ein Tabuthema und Betroffene werden schnell stigmatisiert. Kerstin Celina, Sprecherin für Sozialpolitik und Psychische Gesundheit und ihre Kolleginnen Barbara Fuchs, wirtschaftspolitische Sprecherin und Claudia Köhler, haushaltspolitische Sprecherin, ergänzten dabei einerseits durch die sozialpolitische Sichtweise und andererseits durch betriebliche Erfahrungen und finanzielle Betrachtungen. Zusätzlich zu den eingeladenen Betroffenen und Expert*innen gab es zu unserer großen Freude auch viele Online-Teilnehmer*innen. „Da wir sowohl digital als auch analog vertreten sind, findet keinerlei Stigmatisierung statt, denn niemand muss sich rechtfertigen, warum er beispielsweise nur digital teilnimmt“, so Kerstin Celina.
Frau Ilona Englert, Leiterin der Rehabilitationseinrichtung St. Michael, berichtete über die Erfolge und Herausforderungen ihrer Arbeit und schilderte das Schicksal zweier junger Rehabilitanden. Etwa 18 Millionen Menschen sind in Deutschland jedes Jahr von psychischen Krankheiten betroffen. Die Wahrscheinlichkeit eines Suizids ist bei Menschen mit unbehandelten psychischen Erkrankungen wesentlich höher als bei Menschen ohne psychische Erkrankungen. Umso wichtiger sind die Unterstützung und Rehabilitation dieser Menschen mit einer durchgängigen ärztlichen Betreuung und einem personalisierten Plan. Frau Englert sagt dazu: „Wir können es uns nicht erlauben, so viele Menschen zurück zu lassen.‘‘ Das Haus St. Michael wurde 1977 als eine der bundesweit ersten Einrichtungen dieser Art gegründet. Heute ist St. Michael eine von acht Einrichtungen für berufliche und medizinische Rehabilitation in Bayern. Das Alter der meisten Klient*innen liegt zwischen 20 und 30 Jahren. In Zeiten von Corona hat sie zusammen mit ihrem Team digitale Rehabilitationsangebote durchgeführt, was gerade bei den Jungen Menschen sehr gut angenommen wurde und das auch in Zukunft als Ergänzung zu präsenten Angeboten dienen wird.
Frau Englert sprach auch einige Probleme an, wie etwa Fallpauschalen, die zu immer kürzeren Klinikaufenthalten führen. Zudem fordert sie ein deutlich schnelleres Bearbeitungsverfahren, sodass ein direkter Übergang nach einem Klinikaufenthalt in eine Rehabilitationseinrichtung gewährleistet werden kann. Teilweise dauert es von der Entscheidung, dass eine Reha im Haus St. Michael geeignet wäre, bis zur Aufnahme und dem Beginn der Behandlung zwischen drei und vier Monaten.
Die Diplom Psychologin Nicole Scheibner, unsere weitere Inputgeberin, berät im Rahmen Ihrer Tätigkeit im EO Institut Arbeitgeber*innen und -nehmer*innen im Umgang mit psychischen Krankheiten. Die Ursache für die steigenden Zahlen von psychischen Krankheiten sieht sie unter anderem in der geforderten ständigen Erreichbarkeit und dem steigenden Leistungsdruck in der Arbeitswelt. Gleichzeitig sieht sie eine steigende Tendenz der Unternehmen, sich zu psychischen Erkrankungen und einem gesunden Umgang damit im Beruf zu informieren und aktiv zu werden. Neben dem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM), gibt es Beratungsstellen für kleine und mittelständische Unternehmen und Eingliederungszuschüsse als finanziellen Ausgleich, gut findet sie beispielsweise auch sogenannte Konfliktlotsen. „Oft sind große Unternehmen in diesem Bereich schon weiter fortgeschritten als die kleineren, das Thema Alkoholabhängigkeit beispielsweise wird glücklicherweise schon viel häufiger präventiv dort angegangen,“ so Barbara Fuchs.
Betroffenen empfiehlt Frau Scheibner ein offenes Gespräch mit der/dem Arbeitgeber*in, jedoch ist dies für junge Berufseinsteiger*innen schwierig, wenn sie sich selbst nicht trauen darüber zu sprechen. Menschen mit befristetem Arbeitsverhältnis rät sie eher davon ab, eine psychische Erkrankung direkt anzusprechen. Kerstin Celina dazu: „Man müsste im beruflichen Alltag auch betriebliche Strukturen ändern, so beispielsweise Vertretungsregeln anpassen und somit Rücksicht auf die Betroffenen nehmen.‘‘ Claudia Köhler wies darauf hin, dass es aus wirtschaftlicher Sicht große Vorteile haben kann, in psychische Gesundheit zu investieren. Auch hier zeigen die Zahlen, dass immer mehr Menschen aufgrund psychischer Erkrankungen früher in Rente gehen und das ist teuer.
Im Dialog mit den anwesenden Gästen kamen wichtige Impulse, viele Fragen aus dem Online-Chat konnten geklärt werden. Uns als Politiker*innen wurde mitgegeben, flexible Arbeitsmodelle und Teilzeitausbildungen zu fördern, erfolgreiche Projekte jetzt während der Corona Pandemie zu unterstützen und durch Veranstaltungen wie diese eine Sensibilisierung für das Thema zu erreichen. Wir Grüne werden uns weiter dafür einsetzen das Thema Psychische Erkrankungen zu enttabuisieren, Vorurteile abzubauen und offen und ehrlich darüber kommunizieren!
Und hier der Videomitschnitt: https://youtu.be/oj3qmfPCkGk