Mit dem Virus leben

Unsere Grüne Herbststrategie

16. Oktober 2020

Schnelle Ergebnisse, gezieltes Testen, kürzere Quarantäne- und Isolationszeiten
Eine erfolgreiche Teststrategie ist das A und O in der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie. Sie muss gut geplant und organisiert werden und immer auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse basieren. Das Virus verbreitet sich derzeit über alle sozialen Schichten und Altersklassen hinweg, die Zahlen der Neuinfektionen steigen, insbesondere bei Jüngeren zwischen 20 und 40 Jahren
und in diversen systemrelevanten Einrichtungen. Die Fallzahlenentwicklung könnte damit in den kommenden Monaten eine ungute Dynamik bekommen. Schließungen von Kitas und Schulen sowie Überlastung der Kliniken insbesondere aufgrund von erkranktem Personal sind mit allen Mitteln zu verhindern.


Gerade im Herbst und Winter, wenn neben Corona auch die ganz normalen Erkältungswellen rollen, wir alle uns mehr in Innenräumen aufhalten, sowie Herbstferien, Adventszeit und Weihnachten näher rücken, brauchen wir ein gutes Management und vorbereitete Handlungspläne für den Umgang mit dem künftigen Infektionsgeschehen.

Wir GRÜNE sprechen uns für die bevorstehenden Monate für einen breiten Einsatz von neuen, hoch-qualitativen Antigenschnelltests für SARS-CoV-2 aus. Diese sind eine wichtige Ergänzung der diagnostischen Optionen. Sie ermöglichen den gezielten Einsatz von Testungen in Abhängigkeit vom jeweiligen Infektionsrisiko und der Schutzbedürftigkeit. Priorität haben müssen Einrichtungen, in denen
Menschen mit einem sehr hohen Risiko leben, und die Aufrechterhaltung der systemrelevanten Versorgung.

Das Allerwichtigste ist nach wie vor, dass jeder Einzelne Verantwortung übernimmt - für sich und sein Umfeld: Mit dem Tragen einer Alltagsmaske und dem Einhalten der Abstands- und Hygieneregeln. Wesentlich für die Bekämpfung der COVID-19-Pandemie bleibt, dass Patient*innen mit Symptomen, besonders gefährdete oder schutzbedürftige Personen sowie medizinisches und pflegerisches Personal sowie auch mögliche Cluster innerhalb von 24 bis 48 Stunden getestet, befundet und informiert werden.

Gleichzeitig wollen wir möglichst das soziale und wirtschaftliche Leben der Menschen aufrechterhalten, sprich “mit dem Virus leben”, ohne andere zu gefährden. Kein Mensch darf weggesperrt werden! Humanität und Würde muss aus unserer Sicht unbedingt erhalten werden. Es darf nicht wieder passieren, dass Pflegebedürftige sozial isoliert werden und Angehörige keinen Zugang haben.


Unsere Grüne Strategie für den Herbst:
I. Gezielt und schnell testen
1. Dank Antigenschnelltests schnell Infektionen entdecken
Der Einsatz von neuen hochwertigen Antigenschnelltests bringt mehr Sicherheit und kann helfen, sog. Superspreader schnell zu identifizieren und das soziale und wirtschaftliche Leben aufrecht zu halten. Diese Antigentests müssen leicht zugänglich und die Konsequenzen eines positiven Testergebnisses (wie beispielsweise eine Meldepflicht) klar geregelt sein. Die entsprechend geprüften Tests sollte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf seiner Internetseite auflisten. Der öffentliche Gesundheitsdienst muss eine ausreichende Menge an kostenlosen Antigenschnelltests sicherstellen.

2. Kita- und Schulbetrieb sichern
Die Aufrechterhaltung des Kita- und Schulbetriebs hat für uns GRÜNE einen besonders hohen Stellenwert. Unser Ziel ist es deshalb, einfacher, umfassender, regelmäßiger dort zu testen, um Verdachtsfälle schnell abzuklären. Gleichzeitig müssen Personen, die keine Symptome haben, aber infektiös sind, schnell identifiziert werden, um eine Verbreitung des Virus zu minimieren. Alle Schulen und Kitas sollen die Möglichkeit erhalten, dass deren Mitarbeiter*innen sowie Kinder und Schüler*innen wöchentlich kostenfreie Corona-Antigenschnelltests erhalten können. Für die Umsetzung und Durchführung sollen mobile Testteams eingesetzt werden, die direkt vor Ort in den Schulen zum Einsatz kommen.

3. Vereinsamung von älteren, kranken und Menschen mit Behinderung entgegenwirken
Patient*innen in Kliniken sowie Bewohner*innen der Langzeitpflegeeinrichtungen waren während der Dauer der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen besonderen Belastungen ausgesetzt und leiden teilweise noch heute unter stark eingeschränkten Besuchsregelungen. Mit Blick auf Personen, die in besonderer Abhängigkeit von einer Institution (z.B. in Pflegeheimen) leben, ist es wichtig, in den kommenden Monaten nicht nur den Infektionsschutz im Blick zu haben, sondern auch ihre Rechte zu wahren und
nicht nur im Hinblick auf die näher rückende Adventszeit, ihre sozialen Bedürfnisse und ihre psychosoziale Gesundheit (und die ihrer Familien) angemessen zu berücksichtigen. Wir GRÜNE fordern einen Anspruch auf kostenlose Antigenschnelltests für alle Besucher*innen in Kliniken, pflegerischen oder Behinderten- sowie Reha-Einrichtungen vor dem Kontakt mit der betreuten oder behandelten Person.
Dies ermöglicht (bei gleichzeitiger Einhaltung der Hygieneregeln und -maßnahmen) mehr soziale Nähe für die Bewohner*innen und mehr Sicherheit für die Einrichtungsleitungen.


4. Prävention in vulnerablen Bereichen gewährleisten
Wir fordern einen Anspruch auf kostenlose Antigenschnelltests für folgende Personengruppen ohne
SARS-COV-2-Symptome, einmal pro Woche:

  • für pflegende Angehörige (oder vor einem persönlichen Kontakt mit einer Person der Risikogruppe),
  • für Personal im Gesundheitswesen (einschließlich Psychiatrie-Einrichtungen, Tageskliniken, Forensik, Zahnarztpraxen, Dialyseeinrichtungen, Heilmittelerbringer etc.), in den Reha- und Pflegeeinrichtungen, Mitarbeiter*innen der ambulanten (Pflege-)Dienste, Eingliederungshilfe und persönliche Assistenzkräfte von Menschen mit Behinderungen,
  • für alle in diesen Einrichtungen betreuten, behandelten oder untergebrachten Personen,
  • für Personen, die z.B. in Gemeinschaftsunterkünften, Asylbewerberunterkünften, Einrichtungen der Behindertenpflege leben, arbeiten oder dort aufgenommen werden.

5. Testangebote in Unternehmen aufsetzen
Wir wollen Antigenschnelltest-Angebote in Unternehmen einrichten, um mögliche Cluster schnell zu entdecken und insbesondere in Betrieben, in denen Abstandsregelungen nur schwer umsetzbar sind, eine Absicherung schaffen (z.B. in Schlachthöfen, in diversen mittelständischen Unternehmen). Für kleine- und mittelständische Unternehmen, die diese Testangebote nicht aus eigenen Mitteln einrichten können, soll der Freistaat Zuschüsse erbringen.


6. Kein Beherbergungsverbot für Reisende aus innerdeutschen Risikogebieten
Ein Beherbergungsverbot, das dann greift, wenn der Wohnort in einem Risikogebiet außerhalb Bayerns liegt, aber bayerische Risikogebiete ausspart, ist weder durchdacht noch sachlich begründet oder verhältnismäßig. Das Beherbergungsverbot gehört abgeschafft. Wer funktionierende Hygienekonzepte für seinen Betrieb vorweist und auf die Einhaltung der Regeln achtet, für den sollte es egal sein, ob der Gast aus Berlin oder München kommt.


7. Pilotprojekt zu Gurgeltests
Um mit dem Virus Schritt zu halten, gilt es ständig neue Testmethoden zu erproben und zu entwickeln und die bestehende Teststrategie zu evaluieren. Wir fordern auch in Bayern ein Pilotprojekt zum Einsatz von Gurgeltests.


II. Quarantäne und Isolation verkürzen, Balance zwischen Sicherheit und sozialen und wirtschaftlichen Folgen finden, Schulklassen nicht
benachteiligen

Wir wollen Quarantäne und Isolation insbesondere bei Kontaktpersonen und ganzen Schulklassen auf das Nötige beschränken. So verbessern wir deutlich die Situation bzw. die negativen Auswirkungen für Einzelne, Familienangehörige sowie Wirtschaft und Gesellschaft, ohne die Gesundheit anderer auf Spiel zu setzen. Bei Quarantäne und Isolation sollen zudem einheitliche und transparente Regeln für alle gelten. Wir fordern kürzere Isolationszeiten bis maximal zehn Tage für Kontaktpersonen der Kategorie 1, wenn sie symptomfrei sind und zwei negative Corona-Testergebnisse im Abstand von 5 bis 7 Tagen nachweisen.
Falls ein bestätigter Fall einer COVID-19-Erkrankung in einer Schulklasse bei einer Schülerin bzw. einem Schüler aufkommt, werden Schüler*innen am Tag 1 nach Ermittlung sowie am Tag 5 bis 7 nach Erstexposition auf SARS-CoV-2 getestet. Falls beide Ergebnisse negativ ausfallen, können die Schüler*innen wieder am Präsenzunterricht teilnehmen. Dies verhindert den Ausschluss ganzer Klassen für
zwei Wochen von Präsenzunterricht und trägt deutlich zur Bildungsgerechtigkeit bei.
Unser Ziel ist auch, die verbleibende Infektiosität von Personen vermehrt zu testen, um Isolationszeiten zukünftig noch weiter zu verkürzen.


III. Nachverfolgung der Infektionsketten durch personelle und technische Stärkung der Gesundheitsämter verbessern
Gesundheitsämter sind der Schlüssel zur Bekämpfung der Pandemie. Aufgrund der personellen Unterbesetzung können sie der Kontaktverfolgung aber nur unzureichend nachkommen – mit fatalen Folgen bei steigenden Fallzahlen. Wir wollen, dass Daten digital erfasst, Ergebnisse barrierefrei und schnell mitgeteilt und die Konsequenzen sicher umgesetzt werden.

Wir Landtags-Grüne setzen uns ein für:

  • zusätzliches Personal, u.a. durch das Einbinden und Stärken von qualifiziertem, nichtärztlichem Personal,
  • gemeinsame Standards zur nachhaltigen Verbesserung der Kommunikation zwischen den Gesundheitsämtern sowie mit den Landes- und Bundesbehörden,
  • Minimalstandards für personelle Besetzung der Gesundheitsämter,
  • Stärkung der Kompetenzen der Gesundheitsämter im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung,
  • digitale Ausstattung der Ämter anhand einheitlicher Kriterien,
  • zeitgemäße Gesundheitsberichterstattung und Planungsfunktionen der Gesundheits-ämter,
  • Anbindung der Ämter an die Telematikinfrastruktur der ambulanten und stationären Versorgung,
  • bessere Vergütung aller Beschäftigten in den Gesundheitsämtern,
  • Steigerung der Attraktivität des Berufsbildes Amtsarzt,
  • größere Bedeutung des Themas „Öffentliche Gesundheit“ – nicht nur im Medizinstudium, sondern auch in allen relevanten Studien- und Ausbildungsbereichen,
  • eine nachhaltige Stärkung der Gesundheitsämter weit über das Jahr 2026 hinaus

IV. Unterstützung für besonders schutzbedürftige Personen und Einrichtungen
Für Einrichtungen mit besonders schutzbedürftigen Personen, wie Pflegeheime, wollen wir bessere Unterstützung für den Fall von Ausbrüchen erreichen. Wir wollen Schulungsteams des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), die Einrichtungen auf den Umgang mit Ausbrüchen vorbereiten und bei Ausbrüchen Unterstützung leisten.
Darüber hinaus wollen wir mehr Unterstützungsangebote für Bevölkerungsgruppen bereitstellen, die von der derzeitigen Situation besonders belastet sind, wie Alleinerziehende, oder psychisch erkrankte Menschen. Deshalb fordern wir Krisendienste und Telefonseelsorge, sowie flächendeckende Online-Angebote. Diese müssen barrierefrei und mehrsprachig sein.


V. Mehr Akzeptanz durch mehr Transparenz für Bevölkerung schaffen
Für uns GRÜNE gilt: Transparenz schafft Sicherheit und Vertrauen. Wir wollen Grundlagen für die jeweiligen politischen Entscheidungen vermitteln; sowie die Verfahren und Kriterien offenlegen, die den dabei unumgänglichen Abwägungen zugrunde liegen. Je besser und umfangreicher sich die Menschen informiert fühlen, desto eher sind sie bereit, erneute Einschränkungen neben den ohnehin geltenden
Maßnahmen zu akzeptieren. Dabei verfolgen wir den Grundsatz: Höchste Transparenz und lückenlose, verständliche und immer aktuelle Informationen über die geltenden Regelungen aus einer Hand. Das Ziel ist, dass jede und jeder im Freistaat Bayern die „Corona-Internetseite“ kennt. Eine zielgruppenorientierte Öffentlichkeitsarbeit mittels Social Media, um insbesondere die Gruppe der Jüngeren zu
erreichen, ist dabei selbstverständlich. Darüber hinaus braucht es endlich eine Corona-Kommission im Bayerischen Landtag und ein Corona-Maßnahmengesetz.
 

Hier die Strategie als pdf zum Download