Soziales | Gesundheit | Pflege
„Lost in der Pandemie“
Bericht zur Veranstaltung im Bayerischen Landtag am 9. Oktober 2021
14. Oktober 2021
Zum internationalen Tag der Psychischen Gesundheit, der jährlich am 10. Oktober stattfindet, haben die Landtagsgrünen in Form ihrer Veranstaltungsreihe „Dialog Psychische Gesundheit“ die Jugendlichen in den Fokus gerückt. „Lost in der Pandemie – Neustart für Jugendliche nach der Krise“ war das Thema der nun dritte Veranstaltung zu dem MdL Kerstin Celina (sozialpolitische Sprecherin und für Psychische Gesundheit), MdL Sanne Kurz (Sprecherin für Kultur und Film) und MdL Anna Schwamberger (schulpolitische Sprecherin) am Samstag, den 9. Oktober 2021 in den Bayerischen Landtag eingeladen haben. Das Ziel der Veranstaltung war es einen Raum zu schaffen, um die Sorgen und Nöte der Jugendlichen zu hören und die notwendige Aufmerksamkeit auf das Thema lenken.
Vor Ort diskutiert haben neben Betroffenen und Expert*innen auch Univ.-Prof. Dr. med. Marcel Romanos, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie Zentrum für Psychische Gesundheit, Universitätsklinikum Würzburg und Frau Ilona Schuhmacher, Vizepräsidentin des Bayerischen Jugendrings (BJR) sowie Diakonin in der Evangelischen Landeskirche Bayern.
Gewohnte (Er)Lebensräume sind weggefallen, Selbstentfaltung und Weiterentwicklung außer Haus fanden nur sehr eingeschränkt statt. Nach nun über 16 Monaten zeigen sich die Auswirkungen auf die Entwicklung. Klar ist: Corona verschärft auch hier die Probleme. Die Jugendlichen, die schon vorher einsam, traurig oder ängstlich waren, die zuhause oder anderswo Probleme hatten, waren auch in der Corona-Pandemie die Leidtragenden. Wem Sicherheit, Halt und Austausch fehl(t)en, der oder die ist auch psychisch besonderen Belastungen ausgesetzt. Durch fehlende Kontakte beim Sport, kulturelle Veranstaltungen abgesagte Abschlussfeiern oder einfach beim alltäglichen Treffen nach der Schule sind Lebensräume zur Einübung von sozialen Kompetenzen bei Jugendlichen weggebrochen. So hat die COPSY Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) gezeigt, dass fast jedes dritte Kind im Alter zwischen 7 und 17 Jahren etwa ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie psychische Auffälligkeiten zeigt, allen voran psychosomatische Beschwerden wie Gereiztheit, Einschlafprobleme oder Kopf- und Bauchschmerzen.
Besonders gefährdet sind Familien, in denen Gewalt ausgeübt wird, so Kerstin Celina. „Wir dürfen auch nicht vergessen: Armut macht krank! Und zwar nicht nur körperliche Gesundheitseinschränkungen, sondern auch psychische Erkrankungen hängen oft zusammen mit Armut. Deswegen ist auch Armutsbekämpfung eine zentrale Maßnahme, um psychischen Erkrankungen vorzubeugen“.
Seelische Gesundheit ist ungleich verteilt. Um seelische Gesundheit zu fördern, muss man Krankheiten erkennen, Lösungswege suchen und zusammenarbeiten. Genau deshalb müssen psychische Erkrankungen endlich enttabuisiert werden und die Betroffenen entstigmatisiert – genau deshalb machen wir unsere jährlichen GRÜNEN Veranstaltungen.
Viele Jugendliche haben ganz unterschiedliche Ressourcen und viele können deswegen auch gut mit den Belastungen durch die Pandemie umgehen. Nicht bei jedem Jugendlichen ist die seelische Gesundheit gefährdet – aber diejenigen, die jetzt Zukunftsängste äußern und eine geminderte Lebensqualität beklagen, die (noch) mehr Probleme haben als vor Corona, die müssen im Fokus sein. Hilfe für akut stark betroffene und präventives Eingreifen sind gleich wichtig, um zu verhindern, dass sich seelische Erkrankungen manifestieren und chronifizieren. Diejenigen, die vor Corona schon Außenstehende waren, sind richtig unter die Räder gekommen“ stellte Prof. Dr. Marcel Romanos fest und verwies insbesondere auf die Jugendlichen, die in Familien mit Gewalterfahrungen leben. „Die Risikogruppen müssen wir identifizieren und stärken“.
„Gerade jungen Leuten, die „wackeln“, müssen wir auch Raum geben, denn junge Leute wissen, was sie brauchen – sei es Club oder einfach am Flussufer sitzen, was eine Zeitlang eingeschränkt war“, so Sanne Kurz. Die vorhandenen Hilfsangebote müssen viel besser vernetzt werden.
Die Kooperation zwischen Schule und außerschulischen Angeboten muss gestärkt werden. „Schule ist so viel mehr als ein Ort zum Lernen: ein Treffpunkt mit Freunden beim Mittagsessen und ein Rückzugsort und diejenigen, die vorher Schwierigkeiten beim Lernen hatten, sind besonders unter Druck geraten“ mahnt Anna Schwamberger.
„Der Druck auf die Lebensphase Jugend war bereits vor der Pandemie enorm hoch. Dazu gab es schon 2016 Studienergebnisse, die das belegen: Leistungsdruck, Zukunftsängste und prekäre Lebenssituationen haben Kinder und Jugendliche vor viele Fragen und Herausforderungen gestellt. Corona und die damit verbundenen Maßnahmen, insbesondere die Kontaktbeschränkungen, haben diesen Druck deutlich verschärft. Kinder und Jugendliche haben noch mehr Angst vor der Zukunft, sind einsam, fühlen sich vergessen und sind traurig über die verpasste Lebenszeit“ sagte Ilona Schuhmacher und verwies darauf, dass der Bayerische Jugendring als Interessensvertretung von Kindern und Jugendlichen genau deshalb die Rahmenbedingungen für ein gesundes Aufwachsen und damit für eine starke junge Generation mitzugestalten wolle.
Niederschwellige Unterstützungsangebote und die viel stärkere Vernetzung und Kooperation jener Akteur*innen sind deutliche politische Botschaften aus dem Publikum und der Referent*innen gewesen. Netzwerke müssen neu gedacht werden, wie familienunterstützende Maßnahmen im Quartier, der Bereich der außerschulischen Bildungsarbeit mehr in den Fokus gerückt werden. Während der Corona Pandemie wurden die Jugendlichen zu wenig in den Blick genommen. Gezielte Präventionsangebote, insbesondere für bestimmte Gruppen, müssen flächendeckend etabliert und auch evaluiert werden. Es gilt neue Räume zu schaffen, für die Jugendlichen – einfach um sich auszutauschen, ohne pädagogische Hilfsangebote oder Lernstress.