Soziales | Gesundheit | Pflege
Häusliche Pflege reformieren!
Landtags-Grüne fordern Modellprojekt zur Gründung einer Landespflegegesellschaft
04. Juli 2023
Landtags-Grüne beantragen Modellprojekt Bayerische Landespflegegesellschaft, die pflegende Angehörige sozialversicherungspflichtig beschäftigt und ihnen Pflegefachpersonen zur Seite stellt.
Das Konzept einer Bayerischen Landespflegegesellschaft der Landtags-Grünen sieht vor, pflegende Angehörige sozialversicherungspflichtig zu beschäftigen. Professionelle Pflegefachpersonen übernehmen die Pflegeplanung, leiten die pflegenden Angehörigen an, übernehmen deren Aufgaben bei Krankheit und Urlaub und sind verlässliche Ansprechpartner*innen.
Andreas Krahl, Sprecher für Gesundheit und Pflege kommentiert: „In der Pflege in Bayern ist es fünf vor zwölf! Wir müssen jetzt handeln, wenn wir nicht direkt in den Pflege-Gau steuern wollen. Mit dem Konzept der Bayerischen Landespflegegesellschaft nehmen wir pflegende Angehörige mit all ihren Herausforderungen in den Blick und bieten ihnen erstmals mehr als warme Worte. Nämlich eine vergütete Anstellung und Pflegefachleute an ihrer Seite, die sie fachlich unterstützen und vertreten, wenn sie mal Urlaub machen oder krank sind.
Ob Eltern, Schwiegereltern oder die eigenen Kinder: Meistens übernehmen Frauen die Pflege der Angehörigen. Weil viele dafür den eigenen Beruf hintenanstellen oder aufgeben geraten sie später in finanzielle Schwierigkeiten. Das Modelprojekt der bayerischen Landespflegegesellschaft bietet ihnen eine gerechte Bezahlung und eine finanzielle Absicherung fürs Alter.“
► Unser Antrag zum Download als PDF
Wie sieht das Konzept für das Modellprojekt Bayerische Landespflegegesellschaft genau aus?
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Die Bayerische Landespflegegesellschaft wird beim Landesamt für Pflege angesiedelt, von dort verwaltet und geleitet. Alle beteiligten Personen werden hier angestellt. Die pflegenden Angehörigen werden sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Der Umfang der Beschäftigung richtet sich nach dem Pflegegrad der zu pflegenden Person: die Anstellungsmöglichkeit beginnt ab Pflegegrad 2 und endet bei Pflegegrad 4.
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Durch die sozialversicherungspflichtige Anstellung haben die pflegenden Angehörigen Anspruch auf Urlaub und auf Rekonvaleszenz-Zeiten im Krankheitsfall. Vertretungen, also die notwendige Verhinderungspflege, wird durch Pflegefachpersonen gewährleistet.
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Innerhalb des Modellprojektes werden professionelle Pflegefachpersonen und Sozialarbeiter*innen beschäftigt. Das Modellprojekt bietet Pflegefachleuten ein neuartiges Betätigungsfeld: sie unterstützen die Pflegenden Angehörigen, leiten sie an, erstellen die Pflegeplanung und vertreten bei Krankheit oder Urlaub in wechselnden Settings und im Umfang der Anstellung der Angehörigen. Das ist ein gutes Angebot an Berufsrückkehrer*innen oder an Fachkräfte, die sich neu orientieren wollen. Das Angebot richtet sich an Gesundheits- und (Fach)Krankenpfleger*innen, Community Health Nurses (CHN), Gesundheitsmanager*innen oder Advanced Practice Nurses (APNs)
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Die pflegenden Angehörigen werden durch Pflegefachpersonen mit ihrem persönlichen Pflegesetting (das spezifische Umfeld der zu pflegenden Person, die pflegerischen Aufgaben und die notwendige Betreuung) vertraut gemacht und bestmöglich darauf vorbereitet. Bemerkt die Pflegefachperson eine spezifische Überforderung der*des betreuenden Angehörigen bei der Ausführung bestimmter Pflegeaufgaben, kann gemeinsam offensiv und konstruktiv nach Wegen aus der Überforderung gesucht werden.
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Pflegefachpersonen erstellen eine professionelle, individuelle Pflegeplanung für jede pflegebedürftige Person und stehen bei Problemen mit Rat und Tat zur Seite. Die Betreuungsquote der angestellten pflegenden Angehörigen zu den professionellen Pflegefachkräften wird für die Zeit des Modellversuches auf 15 zu 1 festgesetzt.
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Konflikte innerhalb der Pflegesettings oder zwischen Pflegefachpersonen und pflegenden Angehörigen werden durch fachkundige Unterstützung von Sozialarbeiter*innen gelöst, die ebenfalls innerhalb des Modellprojekts beschäftigt sind.
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Die Modellphase der Bayerischen Landespflegegesellschaft wird auf drei Jahre und auf höchstens 1.000 angestellte pflegende Angehörige beschränkt.
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Eine Evaluation der Landespflegegesellschaft erfolgt im dritten Jahr des Projektes.
Finanzierung
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Zur Errechnung der Lohnkosten für die angestellten pflegenden Angehörigen gehen wir zunächst von 1.000 angestellten pflegenden Angehörigen in Vollzeit zum derzeit gültigen gesetzlichen Mindestlohn aus: aus dem gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro/Std. ergibt sich ein monatliches Arbeitnehmer Bruttogehalt von 2080 Euro.
Ausgehend von Pflegegrad 3 für jede berechnete pflegebedürftige Person könnten davon 607 Euro durch den Pflegegeldanspruch bei häuslicher Pflege gedeckt werden, abhängig von einer zu erzielenden Sonderregelung mit den Pflegekassen für die Teilnehmenden des Projektes.
Daraus ergäbe sich eine Lohndifferenz 1472 Euro im Monat pro angestellter Pflegeperson. Bei 1.000 Pflegepersonen betragen diese Lohnkosten demnach 1.473.000 Euro im Monat. -
Bei einem geplanten Betreuungsschlüssel von 1 Pflegefachperson zu 15 angestellten pflegenden Angehörigen ergibt sich die Notwendigkeit von maximal 70 professionell Pflegenden in Vollzeitanstellung während der Modellphase. Ausgehend von TVÖD 9 legen wir für jede Pflegefachkraft ein Arbeitnehmer-Bruttogehalt von 3770 Euro zu Grunde. Diese Lohnkosten schlagen demnach mit 263.900 Euro monatlich zu Buche.
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Dasselbe Gehalt setzen wir für die Sozialarbeiter*innen an und errechnen bei einem angesetzten Bedarf von 5 Sozialarbeiter*innen für die Modellphase mit maximal 1000 Teilnehmer*innen hier Lohnkosten von 18.850 Euro im Monat.
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1.473.000 + 263.900 + 18.850 = 1.755.750 Euro Lohnkosten pro Monat. Jährlich sind das 21.069.000 Euro. Nicht eingerechnet die Lohnnebenkosten.
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Die jährlichen Kosten für das Modellprojekt Bayerische Landespflegegesellschaft betragen demnach selbst nach großzügig bemessenen Lohnkosten (ausgehend von voller Auslastung der angebotenen Modellplätze und ausgehend von Vollzeitanstellungen für alle 1.075 Projektteilnehmenden) und unter Einbeziehung von Mehrkosten in Höhe von rund 930.000 Euro für Fahrkosten, Büromaterial und ähnlichem plus rund fünf Millionen Euro für die Lohnnebenkosten 27 Millionen Euro.
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Daraus ergeben sich Modellkosten für den gesamten Zeitraum von drei Jahren in Höhe von 81 Millionen Euro. Die Kosten für die Evaluierung sind dabei nicht berücksichtigt.
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Zum Vergleich: das Landespflegegeld kostet den Freistaat jährlich mehr als 400 Millionen Euro.
Hintergrund Statistik
Zum Jahresende 2021 leben in Bayern rund 580.000 pflegebedürftige Menschen. Mehr als 70 Prozent aller Pflegebedürftigen werden zu Hause von An- und Zugehörigen betreut und gepflegt. Pflegende Angehörige leisten als „der größte Pflegedienst Bayerns“ enorme Arbeit und das bislang unentgeltlich. Angehörigenpflege wird überwiegend von Frauen geleistet, die ihre eigene Erwerbsarbeit dafür hintenanstellen oder ganz aufgeben und so von finanzieller Abhängigkeit betroffen und von Altersarmut bedroht sind.
Bayern wird älter und immer mehr betagte Menschen sind in ihrem Alltag auf Unterstützung oder Pflege angewiesen.
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Zum Jahresende 2021 leben in Bayern 578.147 pflegebedürftige Menschen (= Anzahl der Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen der Pflegeversicherung). Der überwiegende Teil der Menschen mit den Pflegegraden 2 bis 5, knapp 70% (396.609 = Pflegegeldempfänger und ambulante Pflege), wird zu Hause gepflegt. Hinzu kommen 71.550 pflegebedürftige Menschen mit Pflegegrad 1. Insgesamt hat sich die Zahl seit 2001 nahezu verdoppelt (2001: 299.090). Statistische Berichte, S. 12.
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123 401 Menschen nahmen 2017 die Unterstützung ambulanter Pflege- und Betreuungsdienste in Anspruch. Bis zum Jahr 2050 erhöht sich der Versorgungsbedarf an ambulanter Pflege um etwa 161.000 auf 444.459 Personen . 109 988 Menschen wurden vollstationär in einem Pflegeheim betreut. Diese Anzahl ist im Vergleich zu 2019 um rund 4,5 Prozent zurückgegangen, während die Anzahl der ambulant Versorgten um 5,1 Prozent und die Anzahl der Pflegegeldempfänger um 33,0 Prozent gestiegen ist. (Gutachten Pflege Bayern 2023 bis 2050, S. 395)
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Die Prognose der Bevölkerungsentwicklung zeigt: im Jahr 2041 werden in Bayern rund 13,89 Millionen Menschen leben – gegenüber 2021 entspricht das einem Plus von 5,4 %. Die Veränderung der Bevölkerungsgröße geht mit einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur einher. Die Anzahl der Personen ab einem Alter von 65 Jahren steigt stark an. Im Jahr 2050 befinden sich 2,20 Mio. Personen im Alter von 65 bis 79 Jahren und 1,41 Mio. Personen im Alter von 80 Jahren und älter. Zukunftsprognose für Bayern des Statistischen Landesamts.
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Die Prognose der Entwicklung der Pflegebedürftigen Menschen in Bayern zeigt eine Entwicklung, je nach Szenario, von 508.108 bis 573.191 Menschen im Jahr 2030. Von 670.697 Betroffenen im Jahr 2030 bis 887.953 im Jahr 2050. (Gutachten Pflege Bayern 2023 bis 2050, S. 390)
Allen Pflegebedürftigen ist der Wunsch nach einem Leben in größtmöglicher Selbstbestimmung und, wann immer es geht, im eigenen zu Hause gemeinsam.
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88% der Deutschen wollen nur dann in ein Pflegeheim gehen, wenn eine Pflege zuhause nicht mehr möglich ist. Deutsche Stiftung Patientenschutz
Die familiäre Pflege oder die Pflege naher Menschen wird ganz überwiegend von Frauen geleistet. Frauen pflegen die Eltern oder Schwiegereltern, oft im Anschluss an die Elternschaft oder sie leisten eben beides gleichzeitig. Die eigene Erwerbsarbeit wird für die Pflege zurückgestellt, ganz aufgegeben oder gar nicht erst wieder aufgenommen, wenn die Kinder größer werden.
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Mittlerweile wird von 70% Frauen als Hauptverantwortliche in der Pflegearbeit gesprochen. Sie leisten bis zu 21 Stunden wöchentlich unbezahlte Sorgearbeit. 65% kombinieren das mit Berufstätigkeit. Gutachten SoVD
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Laut Barmer Pflegereport 2018 gibt es in Deutschland rund 2,5 Millionen pflegende Angehörige, darunter rund 1,65 Millionen Frauen, also knapp 70%. Nur ein Drittel aller Betroffenen geht arbeiten, jeder Vierte aber hat seine Arbeit aufgrund der Pflege reduziert oder ganz aufgeben müssen. Das geht aus der Befragung hervor, die repräsentativ für alle pflegenden Angehörigen in Deutschland steht. Barmer Pflegereport
Pflegende Angehörige an der Grenze der Belastbarkeit.
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Pflege bestimmt bei 85% der Betroffenen tagtäglich das Leben. Die Hälfte von ihnen kümmert sich sogar mehr als zwölf Stunden täglich um die pflegebedürftige Person. Über die Hälfte der pflegenden Angehörigen wünschen sich Unterstützung bei der Pflege. Barmer Pflegereport
Hintergrund Konzept
Die Idee, pflegende Angehörige sozialversicherungspflichtig zu beschäftigen stammt aus dem Burgenland in Österreich. Das dortige Modell sieht jedoch weder vor, die Möglichkeit der Anstellung bei hohem Pflegebedarf zu verweigern (wir sagen: bis Pflegegrad 4 ist das möglich und ab Pflegegrad 5 müssen Profis übernehmen), noch haben sie Anspruch auf Krankheits- oder Urlaubsvertretung. Anders als im Burgenland sind bei uns die Arbeitgebenden nicht die pflegebedürftigen Angehörigen, sondern eine unabhängige Gesellschaft. Die Kritikpunkte der Gegner*innen des Burgenlandmodells haben wir aufgegriffen und wir haben es besser gemacht.