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Landtags-Grüne zu Pflicht-Sprachtests
Julia Post: "Die Staatregierung sollte dieses Geld besser direkt in die Finanzierung von Sprachfördermaßnahmen stecken!"
15. September 2024
Die Staatsregierung will eine Pflicht für Sprachtests für alle Kinder in Bayern vor der Einschulung einführen. Alle Kinder mit Sprachförderbedarf sollen dann verpflichtend Sprachfördermaßnahmen wahrnehmen müssen. Die Landtags-Grünen, die sich seit Jahren schon für bessere und mehr Sprachförderung einsetzen, kritisieren die Pläne als unausgereift und nicht umsetzbar. Anstatt neuer Vorgaben und damit verbundenem Bürokratieaufbau bräuchte es zuallererst einen finanziell entsprechend ausgestatteten Haushaltstitel.
Die Antworten der Staatsregierung auf drei Schriftliche Anfragen (SAN) der Landtags-Grünen zu dem Thema zeigen die Mängel der Pläne der Staatsregierung: So sehen diese keine zusätzlichen Finanzmittel für die Kitas vor. Die Kosten bleiben an den ohnehin oft bereits klammen Kommunen und den Kitas hängen. Letztere kommen bereits heute mit dem für sie zur Verfügung stehenden Geld kaum über die Runden.
Bürokratieaufbau anstatt -abbau – und steigende Kosten
Für die Kitas bedeuten die Pläne der Staatsregierung erhöhten Verwaltungsaufwand und dadurch weitere finanzielle Belastung: Sie sollen künftig schriftliche Erklärungen über den Sprachstand aller Kinder ausstellen müssen, die dann an die Grundschulen weitergegeben werden müssen. Damit soll festgestellt werden, welches Kind zum verpflichtenden Sprachtest erscheinen muss. Kostenfaktor laut Staatsregierung: Mehrkosten von 220.000 Euro jährlich, die aber über die bisherige Förderung der Kindertageseinrichtungen mit abgegolten sein sollen. Auch für die Kommunen entsteht ein deutlich höherer Verwaltungsaufwand, der entsprechende Kosten nach sich zieht.
Darüber hinaus ist vorgesehen, dass an den Grundschulen weitere Sprachstandserhebungen 1,5 Jahre vor Beginn der Schulpflicht durchgeführt werden. In Zeiten eklatanten Lehrkräftemangels ist damit zu rechnen, dass diese Tests dann vom bereits bestehendem Personal durchgeführt werden müssen – das dann wiederum zum Unterrichten fehlt, obwohl es gerade hier dringend gebraucht würde.
Bildungspolitik der Söder-Regierung: Rückschritt statt Fortschritt
Mit dem neuen Gesetz von CSU und Freien Wählern entsteht also viel Bürokratie und einiges an Kosten an der falschen Stelle. Aber verbessert dies wirklich die Situation für Bayerns Kinder mit Förderbedarf?
Die Grünen-Landtagsabgeordnete und Kita-Expertin Julia Post erklärt dazu: „Die Söder-Regierung lebt in diesem Gesetz ihre bürokratische Regulierungswut aus, die kein einziges Problem löst, aber viele weitere erschafft. Besonders bitter ist, dass damit noch keinem einzigen Kind geholfen ist. Die Staatregierung sollte dieses Geld besser direkt in die Finanzierung von Sprachfördermaßnahmen stecken! Diese Kurse gibt es ja heute schon – aber sie fallen ständig aus, weil es an Geld und Personal fehlt.“
Hintergrund:
Bereits heute machen in der Regel alle Kindergartenkinder in Bayern einen Sprachtest, das lässt die Antwort der Staatsregierung auf Anfrage der Grünen erkennen* (siehe auch SAN Teil 2, S. 8, Antwort Frage 6.2).
Und es ist zudem bereits heute gesetzlich festgelegt, dass die Kitas für alle Kinder mit festgestelltem Sprachförderbedarf einen Vorkurs Deutsch oder eine gleich geeignete Sprachfördermaßnahme anbieten müssen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 AVBayKiBiG)
Das Problem:
Bereits heute erhalten nicht alle Kinder mit Bedarf die Sprachförderung, die sie brauchen, obwohl sie ihnen bereits heute gesetzlich zusteht – weil beispielsweise wegen Personalmangels viele Sprachfördermaßnahmen entweder gar nicht oder nur unregelmäßig oder in zu großen Gruppen angeboten werden.
Weitere Infos dazu:
Das Angebot an Deutsch-Vorkursen an Grundschulen ist in den vergangenen Jahren trotz des hohen Bedarfs deutlich zurückgegangen, auch aufgrund der Personalsituation: 2020/21 wurden insgesamt 9.191 Wochenstunden angeboten, im darauffolgenden Schuljahr ging die Zahl zurück auf 8.737 Wochenstunden zurück und 2022/23 wurden nur noch 7.771 Wochenstunden angeboten. Binnen zwei Jahren gingen Deutsch-Vorkurse an Grundschulen also um mehr als 15 Prozent zurück. Bei den Vorkursen Deutsch an Kitas wiederum hat die Staatsregierung keinerlei Überblick: In ihrer Antwort auf die Anfrage der Grünen teilt sie mit, dass Zahlen zu den Vorkursen Deutsch in Kitas nicht zentral erfasst werden (vgl. SAN Teil 2, S. 4, Antwort Frage 3.1 und 3.2).
Julia Post: „Das kann man schon fast zynisch nennen: Die Söder-Regierung verkauft ihre Idee für eine Pflicht für Sprachtests an Kitas als große Innovation und lässt sich dafür feiern – obwohl doch schon längst alle bayerischen Kita-Kinder einen solchen Sprachtest machen! Sonst wird sich nichts ändern durch das neue Gesetz. Denn schon jetzt sind Kitas zu Förderangeboten für die entsprechenden Kinder verpflichtet, und schon jetzt funktioniert es nicht! Weil nämlich Geld und Personal für solche Sprachkurse fehlen. Solange also die Söder-Regierung nicht endlich in die Infrastruktur investiert, bewegt sich dieses Gesetz auf dem Niveau von ,Daumen drücken‘.“
Pläne der Staatsregierung? Nicht umsetzbar.
Der Kita-Anteil des Vorkurses Deutsch soll nach dem Willen der Staatsregierung durch das bereits vorhandene Personal in der jeweiligen Kindertageseinrichtung durchgeführt werden (siehe SAN Teil 1, S. 2, Antwort Frage 2.1). Die CSU-FW-Regierung plant, hierfür keine weiteren Stellen zu schaffen.
Mit Blick auf die derzeitige Personallage an Kitas lässt sich schlussfolgern, dass dies im Regelfall nicht umsetzbar sein wird. Denn wäre es so einfach möglich, dann gäbe es doch längst an allen Kitas, in die Kinder mit Sprachförderbedarf gehen, sogenannte Vorkurse Deutsch. Grund: Schon heute gilt nach Art. 12 BayKiBiG, dass die Träger verpflichtet sind, für Kinder mit besonderem Sprachförderbedarf spezifische Maßnahmen sprachlicher Bildung und Förderung sicherzustellen. Doch aktuell gelingt es vielen Einrichtungen ja nicht einmal, die gebuchten Betreuungszeiten für die Kinder und Eltern sicherzustellen.
Die Planungsverantwortung für die Zurverfügungstellung ausreichender Kita-Plätze tragen laut Ministerium weiterhin allein die Kommunen – das gilt auch für die Sprachförderung (siehe SAN Teil 2, S. 10, Antwort Frage 7.1 - 7.3). Doch bereits jetzt sind sehr viele Kommunen in Bayern mit ihren Aufgaben ausgelastet oder überlastet.
Julia Post: „Der CSU-Vorstoß ist ein reines Ablenkungsmanöver! Bei der Sprachförderung hat die Söder-Regierung so viele Fehler gemacht.Weder hat sie die Einhaltung der bisherigen Regeln in der Vergangenheit systematisch überprüft noch hat sie die Sprachförderung evaluiert. Jetzt tut sie so, als würden bloß ein paar Regeln dafür fehlen. Aber das stimmt nicht, diese Regeln gibt es ja bereits! Was die Kitas jetzt vor allem brauchen, sind Geld und Personal. Der Staatsregierung fehlt einfach nur der Wille zur Umsetzung, weil Bildungsgerechtigkeit und benachteiligte Kinder für Markus Söder erst an hinterletzter Stelle kommen.“
Seit vielen Jahren fordern die Landtags-Grünen eine stärkere finanzielle Unterstützung der Kitas, auch im Bereich der Sprachförderung. Um den Personalmangel einzudämmen, müsse die Staatsregierung jetzt besondere Anstrengungen unternehmen, um die Arbeit in Kitas attraktiver zu machen – beispielsweise durch kleinere Gruppen und die Möglichkeit für höhere Gehälter, so Julia Post. „Aber die Söder-Regierung hat kein echtes Interesse an unseren Kitas. Sie hat keine Ahnung, keine Zahlen, sie hat es jahrelang versäumt zu kontrollieren, ob die Sprachförderungen stattfinden oder nicht und warum es nicht klappt.Das geplante Gesetz ist eine Luftnummer! Ohne mehr Geld und Personal wächst nichts – da ist noch nicht mal der Samen gesät!“
Ausgrenzung statt Integration
Es muss – aufgrund der vorherrschenden Personalknappheit – davon ausgegangen werden, dass auch trotz eines neuen Gesetzes der Staatsregierung künftig viele Kitas und Grundschulen keinen Sprach-Vorkurs werden anbieten können. Für die Kinder bedeutet das dann: Sie werden aus ihrem sozialen Gefüge herausgerissen und müssen – vor allem im ländlichen Bereich – über weite Strecken zur entsprechenden Kita (mit Sprachkurs-Angebot) transportiert werden.
Dazu Julia Post: „Kinder aus ihrem sozialen Umfeld zu reißen, damit sie an einer Kita zwischen lauter Unbekannten Deutsch lernen, ist nicht der richtige Weg. Denn Spracherwerb gerade bei kleinen Kindern funktioniert über Bindung und Vertrauen. Und den Eltern dann noch weite Fahrtwege aufzubrummen, das kann doch nicht Sinn der Sache sein!“ Stattdessen müsse die Staatregierung den Kitas endlich mehr Geld für die Finanzierung der Sprachkurse zur Verfügung stellen – damit wirklich jede Kita den sogenannten Vorkurs Deutsch anbieten kann, wie es bereits jetzt der Fall sein müsste. „Die Söder-Regierung muss den Bildungsauftrag der Kitas ernst nehmen und endlich entsprechende Ressourcen für die Sprachförderung zur Verfügung stellen. Denn Sprachkompetenz kommt nicht von Sprachtests, sondern von Spracherwerb. Dafür braucht es die entsprechende Förderung – und nicht noch mehr Bürokratie durch ein schlecht gemachtes Gesetz“, so Julia Post.
Eine weitere Forderung der Landtags-Grünen: Unterstützung im Spracherwerb soll allen Kindern mit Bedarf endlich von Anfang an zur Verfügung stehen, und nicht erst kurz vor Schulbeginn – denn Bildung beginnt nicht erst kurz vor der Schule. Julia Post: „Hier hapert es in Bayern seit vielen, vielen Jahren. Bildungsgerechtigkeit sieht anders aus.“
*Der Einsatz der Beobachtungsbögen Sismik und Seldak ist bereits verbindlich vorgegeben und die Anwendung der Beobachtungsbögen ist auch bereits Fördervoraussetzung für Kitas nach dem BayKiBiG und wird durch die zuständigen Aufsichtsbehörden überprüft (vgl. SAN „Vorkurs Deutsch in der Kita“ im Anhang, Antwort auf Frage 1). In bayerischen Kitas finden damit de facto bereits verpflichtende Sprachtests statt, die, wenn im Sinne der bayerischen Gesetze gehandelt wird (Stichwort: Mangel an Fachkräften), eine entsprechende Sprachförderung nach sich ziehen.
Hintergrundinfos:
Sprache schafft Chancen. Und diese Chancen sollen alle Kinder gleichermaßen haben. Daher braucht es die Sprachförderung schon von Anfang an. Denn Kinder, die unsere Sprache nicht verstehen und nicht sprechen können, tun sich in der Schule schwer und das nicht nur beim Lesen und Schreiben. Sie sind ausgeschlossen und seit Jahren nimmt die CSU-FW-Regierung dies einfach in Kauf.
Insgesamt sieht die Situation bei der Sprachförderung in den Kitas verheerend aus, obgleich der Bedarf offensichtlich ist und seit Jahren sowohl von den Erzieherinnen und Erziehern als auch den Lehrkräften angemahnt wird. Von den rund 8000 bayerischen Kitas, die Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren betreuen, liegt in 1600 Kitas der Migrationsanteil der betreuten Kinder bei über 40 Prozent. Nur 142 dieser Kitas sind Sprach-Kitas (Auskunft Natalie Niedermaier, Sozialministerium, Sprach-Kita Fachgespräch im Sozialausschuss im Januar 2024). Insgesamt haben wir in Bayern nur 464 Sprach-Kitas und 30 Fachberaterinnen und -berater sowie 506 Sprachfachkräfte.
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