Umwelt | Natur
„Heile Welt“ darf für unsere Enkel nicht zur „einsamen Welt“ werden!
Landtags-Grüne legen Artenschutzgesetz für Bayern vor
12. Juli 2018
Grillenzirpen, Hummelsummen, Vogelgesang: Die harmonische Symphonie des Frühlings in unserer Natur vernehmen wir von Jahr zu Jahr leiser. Gifteinsatz in der Intensiv-Landwirtschaft und der Verlust an geschützten Rückzugsräumen durch zunehmende Zersiedelung und Zerschneidung der Umwelt sowie zunehmender Automobilverkehr sind Ursachen für ein dramatisches Artensterben in Bayern. Alleine die Zahl der Wildbienen und Schmetterlinge in Bayern ist in den vergangenen 30 Jahren um bis zu 75 Prozent zurückgegangen. Und mit ihnen verschwinden auch insektenfressende Vogelarten aus unseren Breiten.
Insgesamt leben in Bayern rund 80.000 Tiere und Pflanzen. Nur für etwa 30 % davon gibt es genügend Erkenntnisse für eine valide Populations-Beurteilung im Sinne der gültigen Roten Listen. Davon wiederum sind aktuell mehr als 40 % gefährdet. Über die anderen 70 % der Arten wissen wir praktisch nichts, weil Daten nicht regelmäßig und konsequent erhoben werden. 95 % der gültigen Roten Listen gefährdeter Tiere in Bayern stammen aus dem Jahr 2003, eine Neubewertung ist überfällig, denn „Vom Wegschauen wird’s nicht besser“, so Grünen-Landtagsfraktionschef Ludwig Hartmann.
Bekannt ist laut Landesamt für Umwelt allerdings, dass sich der 2003 beschriebene Negativtrend verstärkt hat. Die jüngste Rote Liste der Vögel in Bayern aus dem Jahr 2016 stuft nur noch 46 % der Arten als ungefährdet ein. Erschreckend ist, dass sich zunehmend auch ehemals häufige Arten auf der Roten Liste wiederfinden, wie z. B. Kiebitz oder Rebhuhn.
Die CSU-Staatsregierung beschränkt sich beim Thema Artensterben auf wortreiche Absichtserklärungen, aber wenn es konkret werden könnte, lehnt sie jeden Vorschlag ab und beschließt das Gegenteil. Die in den diversen Programmen der Bayerischen Staatsregierung formulierten Ziele (z.B. Biodiversitätsstrategie und Biodiversitätsprogramm) bestehen leider nur auf dem Papier. Im Prinzip sind sich zwar alle einig: Artenvielfalt ist wichtig. Nicht nur für die Arten selbst, sondern auch für den Menschen. Dementsprechend hoch gesteckt sind die Ziele, die leider regelmäßig nicht einmal ansatzweise erreicht werden.
Erschreckend sind die Wissenslücken und die fehlende Evaluierung der diversen Ziele: „Eine quantitative Bilanz zur Veränderung der Gefährdungssituation bedrohter Arten ist in der Bayerischen Biodiversitätsstrategie frühestens für 2020 vorgesehen.“ (Drs. 17/1896). Immerhin: Die Roten Listen aus 2003 wurden in fünf Teilbereichen (Säugetiere, Brutvögel, Libellen, Heuschrecken und Tagfalter) inzwischen fortgeschrieben, mit erschreckenden Ergebnissen.
54 % der 210 beobachteten Brutvogelarten befinden sich laut Beamtendeutsch „in einem ungünstigen Erhaltungszustand“. Bei vielen bekannten Arten, wie Braunkehlchen oder Feldlerche, gibt es einen erheblich verschlechterten Kurzzeittrend.
43 % bzw. 32 von 76 beobachteten Libellenarten gelten als gefährdet, neun Arten stehen aktuell auf der so genannten „Vorwarnliste“, ursächlich ist hier vor allem auch die verbreitete Gewässerüberdüngung aus der Landwirtschaft.
45 % der 77 in Bayern verbreiteten Heuschreckenarten stehen auf der Roten Liste, weitere zehn Arten auf der Vorwarnliste, sodass 43 Arten als bestandsgefährdet eingestuft werden müssen. Als Ursachen werden hier der Grünlandverlust und die Intensivierung der Landwirtschaft aufgeführt.
59 % bzw. 100 von 165 Tagfalterarten in Bayern sind offiziell bestandsgefährdet, 17 weitere Arten stehen auf der Vorwarnliste – Bayerns Schmetterlinge sind also weit überdurchschnittlich in ihrem Bestand gefährdet. Die Vorwarnliste ist etwas kürzer, dafür die Rote Liste deutlich länger geworden – kein gutes Zeichen. Hier zählen auch Habitatsverluste durch Überbauung, Aufforstung und Intensivierung zu den Ursachen sowie die Fragmentierung von Habitatsverbünden („Zersiedelung“).
Auch bei den Säugetieren gibt es trotz der Rückkehr einiger hierzulande ausgestorbener Arten (Stichwort „Wolf“) keine Entwarnung. Sinnbild für die gefährdeten Säuger ist der Feldhase, dessen Population stark rückläufig ist und der sowohl unter dem zunehmenden Straßen- und Wegebau als auch der Intensivierung der Landwirtschaft leidet.42 % der 79 heimischen wildlebenden Säugetierarten stehen aktuell auf der Roten Liste. Für Ludwig Hartmann eine Gesamtentwicklung, die Angst macht: „Wir erleben weltweit den größten Artenschwund seit dem Aussterben der Dinosaurier. Und Bayern bildet da keine Ausnahme. Unsere „heile Welt“ wird für unsere Enkel und Urenkel schon eine „einsame Welt“ sein, wenn wir jetzt nicht endlich gegensteuern!“
Die bayernweite Biotopkartierung – einst ein Flaggschiff des bayerischen Naturschutzes - kommt nicht voran. Auf eine mündliche Anfrage erklärt die Staatsregierung: „Es wird davon ausgegangen, dass 2023/2024 alle Landkreise in Bayern ein zweites Mal kartiert sein werden.“ Das Bayerische Naturschutzgesetz fordert dazu „erhaltenswerte Biotope sowie Arten und deren Lebensräume zu erfassen und zu bewerten sowie die geeigneten Biotopverbundbestandteile zu ermitteln, Untersuchungen ökologisch bedeutsamer Flächen durchzuführen, Schutz- und Entwicklungskonzepte des Naturschutzes und der Landschaftspflege auf Grund von Bestandserfassungen wild lebender Tier- und Pflanzenarten eines bestimmten Gebiets zu erarbeiten und fortzuschreiben“.
Das bayerische Arten- und Biotopschutzprogramm (ABSP) wurde in den 90er Jahren erstellt. Es soll die Darstellung und Bewertung der unter dem Gesichtspunkt des Arten- und Biotopschutzes bedeutsamen Populationen, Lebensgemeinschaften und Biotope wild lebender Tier- und Pflanzenarten, insbesondere der in ihrem Bestand gefährdeten Arten und Lebensräume, und die zu deren Schutz, Pflege und Entwicklung erforderlichen Ziele und Maßnahmen sowie Wege zu ihrer Verwirklichung enthalten. Für jeden bayerischen Landkreis wurden mehrere Bände erstellt. Leider war die Staatsregierung nicht in der Lage, die notwendige Fortschreibung sicher zu stellen.
In 33 Landkreisen und 3 Städten ist das ABSP älter als 15 Jahre, in 13 Landkreisen und 19 Städten sogar älter als 20 Jahre (Drs. 17/15774). 2008 antwortet die Staatsregierung: „Es ist vorgesehen, in der zweiten Jahreshälfte 2008 die Bearbeitung von 12 weiteren Landkreisbänden öffentlich auszuschreiben. Hierfür sind für die Haushaltsjahre 2008 bis 2012 insgesamt 1,8 Mio. € eingeplant (Drs. 15/10598). 2017 antwortet die Staatsregierung auf die Frage, ob die angekündigte Ausschreibung von 12 Landkreisbänden durchgeführt wurde: „Das zunächst eingeleitete Vergabeverfahren für die Aktualisierung von 12 ABSP-Landkreisbänden wurde aufgrund begrenzter finanzieller Ressourcen eingestellt.“
Beim Gebietsschutz sieht es teilweise dramatisch aus. Das FFH-Gebiet "Paar" zählt mit ca. 2970 ha Größe zu den größeren Natura 2000Gebieten Bayerns. Laut Standarddatenbogen gab es an der Paar 558 ha Flachlandmähwiesen, davon sind gemäß dem aktuellen Managementplan nur noch 18,5 ha übriggeblieben. Bei den Pfeifengraswiesen schaut es kaum besser aus, da sind von ursprünglich 34 ha nur noch ein halber Hektar übrig.
Es besteht dringender Handlungsbedarf!
Deshalb legen wir als Grüne Landtagsfraktion zum Ende der Legislaturperiode den Entwurf für ein Bayerisches Artenschutzgesetz vor. Er umfasst eine Reihe von Änderungen im Bayerischen Naturschutzgesetz sowie Neuregelungen in anderen Gesetzestexten wie dem Wassergesetz, dem Waldgesetz oder dem Agrarwirtschaftsgesetz. Ludwig Hartmann: „Ziel unseres umfassenden Maßnahmenbündels ist es, dem Schutz unserer Tier- und Pflanzenarten einen festen Platz in der bayerischen Gesetzgebung zu verschaffen und die Artenvielfalt in Bayern zu bewahren.“
Im Kern geht es dabei um drei zentrale Ansätze: Wir wollen den Einsatz von Pestiziden und Dünger in der Landwirtschaft und im staatlichen sowie im privaten Bereich drastisch zurückfahren. Wir wollen Lebensräume für unsere Wildtiere und -pflanzen sichern, schützen und wo es geht zusätzlich schaffen. Und wir wollen den Förderrahmen im bayerischen Agrarwirtschaftsgesetz anpassen, damit ökologisch wertvolle Kleinstrukturen erhalten oder neu geschaffen werden können.
Ein paar konkrete Beispiele: In Bayern werden Insektizide häufig auch bei der Bewirtschaftung staatlicher Flächen eingesetzt, finden in Privathaushalten Verwendung, werden sogar in Naturschutzgebieten oder gesetzlich geschützten Biotopen ausgebracht. Das wollen wir stoppen und fordern ein klares Verbot. Und damit Pestizide und Nitrate aus landwirtschaftlicher Düngung nicht in unseren Flüssen und Bächen landen, wollen wir im Bayerischen Wassergesetz zehn Meter breite Gewässerrandstreifen festschreiben, in denen die Ackernutzung verboten ist.
Noch ein Beispiel: Biotope, also weitgehend geschützte Rückzugsräume für unsere Tiere und Pflanzen sind Hotspots der Artenvielfalt. Deshalb genießen zum Beispiel manche Moorwälder oder alpine Hochstaudenfluren besonderen Schutz. In die Liste der gesetzlich geschützten Biotope wollen wir zusätzlich Streuobstbestände, magere Flachlandmähwiesen oder Brenndolden-Auenwiesen aufnehmen lassen – damit Insekten und Vögel bei uns wieder bessere Lebensbedingungen vorfinden. Und wir wollen die Natura-2000-Gebiete, die etwa elf Prozent der Landesfläche ausmachen, stärken und aufwerten.
Mit solchen und weiteren Maßnahmen können wir in Bayern den Artenschutz voranbringen. Beim Kampf gegen das weltweit dramatischste Artensterben seit den Dinosauriern brauchen wir aber natürlich auch bundesgesetzliche, europäische und internationale Regelungen. Auch hierfür werden wir uns stark machen.