Umwelt | Natur
Geheimniskrämerei der Söder-Regierung beenden: Gefahrenkarten müssen endlich auf den Tisch!
Wie sich Bayerns Kommunen auf Starkregen und Sturzfluten einstellen können: Risiko kennen, Maßnahmen ergreifen, Katastrophen vermeiden.
29. Juni 2023
Die Fakten sind eindeutig: Die Klimaüberhitzung führt nicht nur zu mehr Trockenheit, Dürren und Wassermangel – sie sorgt auch verstärkt für mehr Starkregen in Bayern. Die Folge: Es kommt immer häufiger zu Sturzfluten, die nach einem Starkregen über bayerische Kommunen hereinbrechen werden. Doch die wenigsten Städte und Gemeinden sind darauf vorbereitet. Zu dem Ergebnis kommt unter anderem auch die Unwetter-Studie: „Starkregen und urbane Sturzfluten – Agenda 2030“ der Technischen Universität Kaiserslautern. Demnach sind die besonders bedrohlichen Faktoren der Überraschungseffekt und die Geschwindigkeit, mit der sich diese Wassermassen aufbauen: Denn Sturzfluten können jede Region und jeden beliebigen Ort treffen. Und bei Starkregen gibt es keine tagelange Vorwarnung wie es etwa bei Hochwasser von großen Flüssen der Fall ist, welches langsam und berechenbar ansteigt. Eine Sturzflut kommt von jetzt auf gleich, und wo, ist kaum vorhersehbar.
Umso wichtiger ist es, dass die Menschen in Bayern sich der Gefahr bewusst sind – und die Kommunen sich mit Weitblick darauf vorbereiten können. Indem sie vorab Maßnahmen ergreifen, die die Folgen von Sturzfluten abmildern können – denn die plötzlichen Überschwemmungen infolge starken Anschwellens oft kleiner Gewässer sind besonders gefährlich.
Die jüngere Vergangenheit hat uns gezeigt, dass die Folgen von Sturzfluten fatal sein können. Die Katastrophe im Ahrtal im Jahr 2021 mit vielen Todesopfern in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zeigt das ungeschönt. Neben den menschlichen Tragödien wurden die Sachschäden von der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Munich Re auf 33 Milliarden Euro geschätzt. Zum Vergleich: Das entspricht fast der Hälfte des gesamten bayerischen Staatshaushalts (2023: 71 Milliarden Euro).
Unsere Antwort auf die voranschreitende Klimakrise und die erhöhte Sturzflutgefahr muss also sein: Risiken erkennen, Maßnahmen ergreifen, Katastrophen vermeiden! Das ermöglichen uns sogenannte Starkregengefahrenkarten. Diese Karten zeigen den Kommunen, aber auch den Bürger*innen Gefahren und Risiken durch Sturzfluten auf. Sie stellen dar, welche Gebiete bei Starkregen wahrscheinlich überschwemmt sein werden und insbesondere, wo mit Sturzfluten und starker Strömung zu rechnen ist.
Für die Menschen im Land sind das wichtige Hinweise, welche Risiken an ihrem Wohnort bestehen, ob beispielsweise Krankenhäuser betroffen sein werden, wo Kellerräume oder das Erdgeschoß überflutet werden könnten. Klar ist: Nur wer das Risiko kennt, kann ausreichend Vorsorge treffen und sich gegen plötzliche Starkregenereignisse und Überschwemmungen rüsten. Die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft (DWA) hat deshalb diese Karten bereits im Juni 2022 in ihrem Positionspapier „Hochwasser und Sturzfluten“ gefordert. Auch die Grüne Fraktion Bayern fordert seit langem eine flächendeckende Sturzflutvorsorge und die Unterstützung der Kommunen durch die Staatsregierung. So braucht es etwa mehr Personal an den Wasserwirtschaftsämtern in Bayern, das den Kommunen beratend zur Seite stehen könnte. Ebenso sind mehr finanzielle Fördermöglichkeiten durch die Landesregierung nötig. Vor allem aber brauchen die bayerischen Kommunen schnellstmöglich landesweite Starkregengefahrenkarten.
Vier Bundesländer in Deutschland haben diese bereits: Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Acht weitere Bundesländer wollen bis Ende 2023 nachziehen; Bayern ist nicht unter diesen Ländern.
Dennoch könnte in Bayern bereits jetzt schon viel mehr Vorsorge getroffen werden: Denn es gibt im Freistaat bereits Karten*, die konkrete Hinweise auf die Gefährdung durch Starkregen bieten (wenn auch weniger detailreich wie echte Starkregengefahrenkarten). Doch diese bayernweiten Hinweiskarten hält die Staatsregierung zurück. Sie hat sie bis heute nicht veröffentlicht.
Hintergrund: Diese Karten** wurden im Forschungsprojekt HiOS der Technischen Universität München im Auftrag des Landesamtes für Umwelt für Musterkommunen erstellt sowie als bayernweite Hinweiskarten erarbeitet; das Projekt wurde bereits 2020 abgeschlossen. Lediglich einige wenige Kommunen in Bayern haben teils als Teilnehmer am HiOS-Projekt oder über die Förderung des Sturzflutrisikomanagements eigene Karten ins Netz gestellt und ihre Einwohner*innen informiert. Der Großteil der bayerischen Bevölkerung aber weiß nicht, ob er im Falle eines Starkregens massiv von Überschwemmungen direkt betroffen sein könnte – und welche Schutzvorkehrungen im Vorfeld getroffen werden sollten. Die Daten und Karten dazu liegen im Landesamt für Umwelt und warten auf Veröffentlichung.
Von der Söder-Regierung heißt es auf Nachfrage nur, dass sich die Hinweiskarte „Oberflächenabfluss und Sturzfluten“ seit zwei Jahren in der juristischen Prüfung befindet. Ein Datum für die Veröffentlichung nennt sie nicht; vorsorgende Kommunikation und Risikominimierung durch die Söder-Regierung – Fehlanzeige. Der Schutz der Bevölkerung steht hinten an.
Ludwig Hartmann: „Die Söder-Regierung verhält sich fahrlässig. Sie hält seit Jahren ihr Wissen unter Verschluss, ob Menschen in einer direkten Gefahrenzone für Sturzfluten wohnen. Das ist Geheimniskrämerei auf Kosten der Existenzgrundlage und letztlich auch des Lebens der Menschen in Bayern. Wer das Risiko vor Sturzfluten kennt, kann Vorsorge treffen. Wem dieses Wissen vorenthalten wird, der wird im schlimmsten Fall völlig unvorbereitet von den Wassermassen überrascht – alle absehbar schlimmen Folgen inklusive. Deshalb: Hinweiskarten endlich aus der Schublade holen und die Menschen in Bayern über das Risiko von Sturzfluten aufklären!“
Christian Hierneis: „Starkregenereignisse können überall im Land auftreten, jede Kommune kann betroffen sein. Viele Kommunen haben weder die fachlichen noch die finanziellen Möglichkeiten, sich vor Starkregen und Sturzfluten zu schützen. Hier muss der Freistaat mit Rat und Tat, aber auch mit finanziellen Mitteln zur Seite stehen. Deshalb brauchen die Kommunen die fachlichen Grundlagen wie die Hinweiskarten, mehr beratendes Personal und umfangreiche Fördermöglichkeiten. Das betrifft sowohl die Sturzflutvorsorge wie die Klimaanpassung insgesamt. Jeder dafür investierte Euro kann Menschenleben retten und vor hohen Schadensummen bewahren. Bisher lässt die Staatsregierung die Kommunen hier jedoch im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehen.”
**Die sogenannten Fließpfadkarten sind ein Vorläufer der Starkregengefahrenkarten. Sie beruhen auf den landesweit vorliegenden digitalen Geländemodellen. Sie zeigen (in einer Auflösung von 1 m²) eine erste Übersicht der potenziellen Fließpfade, die das Regenwasser bei einem Starkregenereignis nehmen würde. Einbezogen werden Hangneigungen in unterschiedlichen Abstufungen, Landnutzungen und Gebäudeinformationen. Die Fließpfade werden mit einem Puffer von 20 m dargestellt, um die Gefährdung von Gebäuden oder anderer Infrastruktur besser sichtbar zu machen. Die Wirkungen von Gräben, Durchlässen und der Kanalisation sind in der Regel nicht berücksichtigt, so dass diese Karten für städtisch geprägte Flächen nicht herangezogen werden sollten.