Bildung | Wissenschaft
Schule der Zukunft
„Wie gut bereitet dich die Schule aufs Leben vor?“
07. September 2022
Umfrage unter bayerischen Schüler*innen
Was wünschen sich die Schüler*innen in Bayern? Wie gut fühlen sie sich in der Schule aufs Leben vorbereitet? Das haben wir Landtags-Grüne mehr als 400 Schüler*innen der Mittel-, Realschule, des Gymnasiums und der FOS im Alter von 14 bis 20 Jahren in Bayern während des letzten Schuljahres (März 2022) von einem unabhängigen Institut fragen lassen. (Link zu den Ergebnissen) Das Ergebnis überrascht nicht: Mehr als die Hälfte der Schüler*innen fühlt sich durch die Schule zu wenig auf das Leben vorbereitet. Ob Berufsorientierung, psychische Gesundheit oder finanzielle Bildung – es gibt gewaltigen Verbesserungsbedarf.
- Berufsorientierung
Unabhängig von der Schulart wünschen sich knapp 2/3 der Schüler*innen mehr Vermittlung von Wissen über verschiedene Berufe und Berufslaufbahnen. 60% der Schüler*innen wollen mehr Schulpraktika sowie mehr Besuche von Berufsmessen und Berufsinformationsprojekten. Die Mehrheit der Schüler*innen wünscht sich also Kontakt zu Expert*innen aus der Praxis und zum Berufsleben.
Leider sieht die Realität an den meisten Schulen aber anders aus:
- Gerade an Gymnasien und der FOS sagen 55 % der Schüler*innen, dass sie nie oder selten Wissen über verschiedene Berufe und Berufslaufbahnen vermittelt bekommen.
- 56% der Schüler*innen an Gymnasien haben nie oder selten Einblicke in die berufliche Praxis durch Schulpraktika.
- 62% aller befragten Schüler*innen besuchen nie oder selten Berufsmessen oder Berufsinformationsprojekte.
- Die Schüler*innen, die nie oder selten Berufsorientierung in den genannten Formen erleben, fühlen sich auch schlechter auf die berufliche Zukunft und den Lebensalltag vorbereitet.
Das bedeutet, dass gerade am Gymnasium die Schüler*innen, die das Gymnasium oder die FOS besuchen, nicht wissen, welche Berufe sie später ausüben könnten. Die Folge ist, dass viele (Fach-)Abiturient*innen ein Studium statt einer Ausbildung beginnen. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Wirtschaft. In Bayern blieb 2021 jede sechste Ausbildungsstelle unbesetz.
Der ohnehin in Bayern bestehende Fachkräftemangel wird dadurch noch verschärft, denn die berufliche Bildung ist ein zentraler Baustein der Fachkräftenachwuchssicherung. Zudem verstärkt die geringe Behandlung der Berufsmöglichkeiten im Unterricht die sehr eingeschränkte Wahl der Berufe, die später ergriffen werden. So waren 2021 die am meisten abgeschlossenen Ausbildungsverträge in Bayern bei Männern „Kraftfahrzeugmechatroniker“ und bei Frauen „Zahnmedizinisch Fachangestellte“. Unbekanntere Berufe wie zum Beispiel der der Fassküfer*innen hingegen werden sehr wenig gewählt und sterben nach und nach aus.
Darüber hinaus können durch eine gute Berufsorientierung an den Schulen die Abbruchquoten gesenkt werden. Denn die meistgenannten Gründe für den Abbruch einer Berufsausbildung oder eines Studiums sind: falsche Vorstellungen der Anforderungen und Inhalte sowie mangelnde Identifikation mit dem Berufsfeld.
Grüne Forderungen:
- Einführung von Pflichtpraktika in zwei verschiedenen Berufen, wobei mindestens ein Praktikum in einem Ausbildungsberuf zu absolvieren ist.
- Reduzierung der Lehrplaninhalte, um die flächendeckende und regelmäßige Durchführung von Berufsorientierungsprojekten in Kooperation mit externen Partner*innen wie Kammern, Wirtschaftsverbänden und gemeinnützigen Organisationen zu ermöglichen.
- Vermittlung von Kenntnissen des Berufsbildungssystems, insbesondere der dualen Ausbildung im Rahmen der Lehrkräfteausbildung sowie im Weiterbildungsangebot. Im Studienfach staatsbürgerliche Bildung soll das duale Ausbildungssystem behandelt werden. Praktische Einblicke in regionale Unternehmen und der Austausch mit Ausbildungsbetrieben sollen Teil von Lehrkräftefortbildung sein. Außerdem sollen Trainings in den Bereichen Projektmanagement und Netzwerken verstärkt angeboten werden, um die Vernetzung von Lehrkräften mit der Wirtschaft und die Umsetzung von Berufsorientierungsprojekten voranzutreiben.
- Einstellung eines*r Koordinator*in für Berufsorientierung für jede weiterführende Schule, dem*der im Rahmen von Anrechnungsstunden ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stehen.
2. Psychische Gesundheit
- 3/4 der Schüler*innen aller Schularten wünschen sich mehr Vermittlung praktischer Fähigkeiten im Umgang mit Stress, Druck, Misserfolgen, Mobbing oder Konflikten.
- 2/3 geben an, dass sie diese selten oder nie in der Schule vermittelt bekommen. Dabei sind auch keine Unterschiede zwischen den Schularten festzustellen.
Bereits vor Corona bestanden bei 17,2% der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3-17 Jahren Hinweise auf psychische Auffälligkeiten. Durch Corona verschlechterte sich die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen erheblich. Während der Pandemie betrug der Anstieg, der wegen einer depressiven Episode stationär behandelten 10-14-Jährigen, im Vergleich zu 2019 16%, bei den 15-17-Jährigen sogar 25%. Der Anstieg von stationär behandelten Schulkindern wegen Essstörungen lag bei 22%, der der Jugendlichen bei 40%. Auch im dritten Pandemiejahr fühlen sich acht von zehn Kindern und Jugendlichen durch die Pandemie belastet. Diese Belastung äußert sich auch durch psychosomatische Stresssymptome wie Gereiztheit, Einschlafprobleme und Niedergeschlagenheit. Jede*r 2. Schüler*in erlebt Schule und Lernen als anstrengender als vor der Pandemie. Sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche waren in der Pandemie besonders belastet.
In den Schulen besteht dringender Handlungsbedarf. Schulen sind der Ort, an dem soziale Benachteiligung ausgeglichen werden kann, psychische Auffälligkeiten erkannt und Behandlungen in die Wege geleitet werden können. Zudem kann Neuerkrankungen und Stress durch Prävention entgegengewirkt werden und Schüler*innen können Resilienz aufbauen. Doch bei der derzeitigen Personalsituation können die Lehrkräfte das nicht leisten. Zudem ist zu wenig Zeit im Lehrplan für psychisch belastende Themen wie die Corona-Krise oder der Angriffskrieg gegen die Ukraine. Zwar wurden seit dem Schuljahr 2018/19 bereits mehr Stellenäquivalente für Schulpsycholog*innen geschaffen, diese Stellenäquivalente wurden aber vor Corona festgelegt und reichen aufgrund des nun höheren Bedarfs nicht aus.
Grüne Forderungen:
- Etablierung von multiprofessionellen Teams zur Entlastung der Lehrkräfte (Schulpsycholog*innen, Krankenschwestern oder Sozialarbeiter*innen)
- Mehr Schulsozialarbeiter*innen und Schulpsycholog*innen an allen Schularten
- Breiteres Fortbildungsangebot für Lehrkräfte im Bereich „psychische Gesundheit“ sowie verbindliche Veranstaltungen vor allem zu Themen wie „Depression“ oder „Suizid“ in allen Lehramts-Studiengängen
- Etablierung wirksamer Präventionsprogramme und -maßnahmen für die psychische und physische Gesundheit der Schüler*innen
3. Finanzielle Bildung
- Vermittlung von Basiswissen über Geld und Finanzen findet laut 2/3 der Schüler*innen selten oder nie statt. Besonders an Gymnasien und der FOS sagt fast ein Drittel, dass die Vermittlung nie erfolgt.
- Noch düsterer sieht es bei der Vermittlung des Wissens, wie man seine Finanzen verwaltet und wichtige Versicherungen findet und abschließt, aus: Am Gymnasium und der FOS sagen 54%, dass diese Vermittlung nie, und 30%, dass sie selten stattfindet. Von den Mittel- und Realschüler*innen sagen 32%, dass sie nie, und 42%, dass sie selten stattfindet.
- Acht von zehn Schüler*innen aller Schularten wünschen sich mehr Berücksichtigung dieser Themen im Unterricht.
Der Umgang mit Geld ist ein wesentlicher Bestandteil des jugendlichen Alltags. Für junge Menschen wird die Notwendigkeit für die Rente Vermögen aufzubauen aufgrund des demografischen Wandels immer größer. Das Wissen um den richtigen Umgang mit Finanzen kann einen entscheidenden Einfluss auf die Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen haben. Gerade Mädchen könnten von Wissen über Anlageentscheidungen profitieren, da Frauen deutlich geringeres finanzielles Selbstbewusstsein als Männer haben. Schule sollte daher Schüler*innen mit den notwendigen Alltagskompetenzen für eine ökonomisch selbstbestimmte Lebensgestaltung ausstatten und für das spätere wirtschaftliche Leben sensibilisieren. Mit einmal einer Projektwoche in der Grundschule und einmal einer Projektwoche in den weiterführenden Schulen, wie es die Söder-Regierung vorsieht, kann das nicht geleistet werden.
Grüne Forderungen:
- Mehr Vermittlung von Wissen über den Umgang mit Budgets und Schulden, Bankgeschäfte und Anbietervergleiche, Vermögensaufbau, Versicherungen, Steuern, Private Finanzplanung in allen Schularten
- Ausbau des Fortbildungsangebots für Lehrkräfte zur Vermittlung einer altersgerechten und alltagsnahen finanziellen Grundbildung
- Verstärkte und flächendeckende Zusammenarbeit mit externen Expert*innen zum Beispiel von der Verbraucherzentrale
4. Thema „Konkrete Alltagskompetenzen, Lebensbezug, Praxis im Unterricht“
61 % der Schüler*innen an Gymnasien bzw. der FOS fühlen sich sehr schlecht oder eher schlecht auf ihren späteren Lebensalltag vorbereitet. Das spiegelt auch der ausgeprägte Wunsch nach mehr konkreten Alltagskompetenzen, Lebensbezug und Praxis im Unterricht wider.
Grüne Forderungen:
- Die Schulprojektwoche zur Alltagskompetenz in jeder Jahrgangsstufe durchzuführen
- Um für alle Kinder und Jugendlichen qualitativ hochwertige Angebote mit möglichst wenig finanzieller Eigenbeteiligung zu ermöglichen, braucht es mehr Geld. Für die Projekte engagierte Expert*innen oder Projektpartner*innen sollen angemessen für Ihre Leistungen bezahlt werden.
- Ergebnisse der Umfrage als pdf
- Pressepapier
- Beschluss des Landtags "Berufsorientierung stärken"!
- Konzeptpapier "Schule der Zukunft"
- Antrag: Schulprojekte im Bereich Alltagskompetenzen und Lebensökonomie angemessen fördern
- Antrag: Jugendarmut bekämpfen und Jugendhilfe stärken V Schul- und Jugendsozialarbeit im Freistaat stärken und ausbauen
- Antrag: Projekttage Alltagskompetenz in Eigenverantwortung der Schulen
- Antrag: Kriseninterventions- und -bewältigungsteam bayerischer Schulpsychologen (KIBBS) stärken